Stottern: Wörter auf dem Sprung

Sprachloser Erfolg: Der stotternde Rowan Atkinson spielte sich als stummer „Mr. Bean“ mit brillianter Mimik ins Rampenlicht. Inzwischen überzeugt er auch in Sprechrollen, zum Beispiel als tollpatschiger Agent Johnny English
© Mauritius Images/Collection Christophel
Marilyn Monroe, Bruce Willis, Ed Sheeran, "der Graf" von Unheilig – sucht man im Internet nach prominenten Stotterern, tauchen immer dieselben Namen auf: Ziemlich wenige, dafür dass ein Prozent aller Menschen stottern. Allerdings ist es auch nicht leicht, mit Sprechstörung Karriere zu machen, zeigt eine großangelegte Langzeitstudie im Journal of Fluency Disorders: Sie kommt zu dem Schluss, dass Menschen, die mit 16 Jahren stotterten, zwar ähnliche Ausbildungsabschlüsse schafften wie andere – dass sie mit 50 Jahren aber einen niedrigeren Jobstatus hatten.
Was die genannten Prominenten von den meisten anderen Stotternden unterscheidet? Sie konnten ihre Schwäche nutzen. Marilyn Monroe hat ihre Worte angeblich deshalb gern ins Mikrofon gehaucht, um ihre Sprechstörung zu überspielen. Bruce Willis kam zum Theaterspielen, weil ihm dies als Kind zur Therapie empfohlen wurde. Ed Sheeran hat sein Stottern in den Griff gekriegt, als er angefangen hat, Eminem-Songs nachzusingen. Und "der Graf" sagt, dass er sich beim Singen frei fühlt und nicht darüber nachdenkt, ob er bei einem Wort kleben bleibt.
Stottern isoliert
Typisch für Stotternde ist ein anderes Bild. Es sind nicht Rampensäue, sondern Menschen, die sich zurückziehen. Viele neigen zu sozialen Ängsten – möglicherweise als Folge des Stotterns. Professor Martin Sommer, Oberarzt an der Klinik für Klinische Neurophysiologie an der Universität Göttingen, erklärt: "Stottern ist eine relativ schwierige Behinderung, die unterschätzt wird. Denn viele Betroffene vermeiden es zu sprechen, um nicht aufzufallen."
Wer nur leicht stottert, nutzt oft andere Strategien: "Stotternde ersetzen Wörter, stellen Sätze um oder sagen im Extremfall sogar etwas ganz anderes, als eigentlich geplant. Nur um zu verhindern, dass sie als Stotternde geoutet werden", sagt Dr. Alexander Wolff von Gudenberg, Leiter der Kasseler Stottertherapie.
Aber wie kommt es dazu, dass bei manchen Menschen der Redefluss stockt? "Ob jemand zu stottern anfängt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: verursachenden, auslösenden und aufrechterhaltenden", erklärt Neurologe Sommer.
Zu den verursachenden Faktoren zählen die Gene – Stottern gilt als zu 80 Prozent erblich bedingt. Zwillingsstudien zeigen, dass bei eineiigen Geschwistern häufiger beide betroffen sind als bei zweieiigen. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Jungs und Männer stottern deutlich häufiger als Mädchen und Frauen.
Es begann, als der Hund starb
Die meisten beginnen zwischen zwei und sechs Jahren zu stottern. Das spricht für die auslösenden Faktoren. Und oft können ihre Eltern einen ziemlich genauen Zeitpunkt beschreiben: "Es hat angefangen, als der Kindergarten losging." Oder: "Es begann, als unser Hund gestorben ist."
Sommer gibt zu bedenken: "Nur weil zwei Dinge gleichzeitig stattfanden, müssen sie nicht miteinander zu tun haben. Im Nachhinein ist es unmöglich nachzuweisen, ob es tatsächlich eine ursächliche Verknüpfung gibt."
Bleiben die aufrechterhaltenden Faktoren: Denn während 80 Prozent der stotternden Kinder wieder ganz von allein damit aufhören, bleibt die Sprechstörung bei den restlichen bestehen. Ein Prozent der Erwachsenen stottern. Die Ursachen dafür liegen im Gehirn. Genauer gesagt, in der linken Hirnhälfte, wo Sprache und Sprechen vorwiegend
verankert sind.
"Wir gehen davon aus, dass es sich beim Stottern um eine neuronale Entwicklungsstörung handelt, die bei einigen wieder verschwindet, bei anderen bleibt", erklärt Sommer. Forscher der Universität Michigan untersuchten in einer Langzeitstudie 87 Kinder zwischen drei und zwölf Jahren. Von denen, die im Verlauf der Studie zu stottern anfingen, hörten einige von allein wieder auf. Die Studie zeigte, dass bei denen, die langfristig stotterten, die sogenannte graue Substanz reduziert war. Zudem waren Faserbahnen, die die verschiedenen Sprechregionen im Gehirn miteinander verknüpfen, schwächer ausgeprägt.
Verhaltenstherapie kann helfen
In die Therapie fließen diese Erkenntnisse bislang noch nicht ein. Stottern wird derzeit hauptsächlich verhaltenstherapeutisch behandelt. Und während Forscher davon ausgehen, dass im Kindesalter noch eine Heilung möglich ist, gilt Stottern im Erwachsenenalter als unheilbar.
"Allerdings ist es durch intensives Training möglich, die Sprechflüssigkeit deutlich zu verbessern. In vielen Fällen sogar so weit, dass man in Alltagssituationen gar nicht mehr als Stotterer wahrgenommen wird", sagt Gudenberg.
Die beiden großen Schulen der Verhaltenstherapie – die globale und die lokale Sprechrestrukturierung – haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen: Bei der globa- len, dem sogenannten fluency shaping, geht es darum, das gesamte Sprechverhalten so zu verändern, dass das Stottern gar nicht mehr auftritt.
"Das geschieht durch weiches, gebundenes Sprechen", sagt Gudenberg. "Man verändert das gesamte Sprechmuster, um wirklich ein Handwerkszeug zu haben." Das sei zwar keine Garantie, dass man nicht trotzdem hängenbleibt, "aber man hat ein deutlich besseres Kontrollgefühl".
Langfristiges Lernen
Ein Jahr dauert es, bis das Gelernte in Fleisch und Blut übergeht. Aber auch danach muss man bei sprachlichen Anforderungen noch vorher üben. In den zweiwöchigen Intensivkursen der Kasseler Stottertherapie arbeiten die Teilnehmer am PC, in Kleingruppen, in Großgruppen, sie telefonieren, halten Vorträge in Schulen, befragen auf der Straße Passanten und führen Verkaufsgespräche.
Die lokale Sprechrestrukturierung, die sogenannte Stottermodifikation, kommt erst zum Einsatz, wenn der Redefluss stockt. Ansonsten wird die persönliche Sprechweise beibehalten. "Ziel ist hier, mit diesen typischen Block-Ereignissen klarzukommen, indem man zum Beispiel langsam aus dem Wort herausgleitet", erklärt Sommer. Denn für Stotternde ist es nicht einfach, kontrolliert weiterzusprechen, wenn sie einmal kleben bleiben.
Aufhören heißt dranbleiben
Und obgleich einige Anbieter das gern versprechen: Man kann sein Stottern nicht innerhalb von acht Tagen loswerden. "Wenn ein Tennisspieler seine Vorhand ändert, muss er auch tausendmal denselben Schlag machen", sagt Gudenberg. "Das ist beim Sprechen ähnlich – beides sind ja motorische Abläufe."
Die stärkste Motivation, um lange am Ball zu bleiben, sei das Gefühl, sein Sprechen besser kontrollieren zu können, weiß Gudenberg: "Dass man sich endlich ohne Angst morgens ein Brötchen beim Bäcker holen kann oder keinen Bogen mehr ums Telefon macht."