Peter Zwanzger: „Das Gesicht der Angst entscheidet“
Wir haben mit Professor Dr. Peter Zwanzger gesprochen, was der Unterschied zwischen Phobien und Ängsten ist, wann man von einer Angststörung spricht und welche Therapiemöglichkeiten es dann gibt. Zwanzger ist Ärztlicher Direktor am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn und Vorstand der Gesellschaft für Angstforschung (GAF).
Herr Prof. Dr. Zwanzger, wie definieren Sie Angst?
Angst ist keine Krankheit sondern eine Emotion. Sie schützt und warnt uns. Dieses Gefühl ist seit Jahrtausenden verankert. Einfach ausgedrückt hilft uns das Angstzentrum im Gehirn, Gefahren zu erkennen und einzuordnen. Ihm verdanken wir, dass wir nicht unachtsam über die Straße gehen, keine falschen Aktien kaufen, uns gut für eine Prüfung vorbereiten. All das funktioniert eigentlich hervorragend.
Wann wird Angst krankhaft?
Wenn sie zu lange oder zu oft auftritt. Und ganz wichtig: Wenn sie uns in Situationen begegnet, die objektiv ungefährlich sind. Anders als bei Krankheiten wie Diabetes haben wir in der Psychiatrie noch keine Hinweise im Blut, nach denen man suchen kann. Wir können die Symptome beobachten, welches Gesicht die Angst hat.
Angststörungen, Phobien oder Panikattacken werden umgangssprachlich oft synonym benutzt.
Man muss da unterscheiden: Die Phobie bezieht sich auf bestimmte Wesen oder Situationen, also zum Beispiel Spinnen. Kommen die Betroffenen in Kontakt, bricht Panik aus. Herzrasen. Schweißausbrüche. Übelkeit. Verschwindet die Spinne wieder, löst sich die Furcht.
Wer eine generalisierte Angststörung hat, macht sich allgemein unverhältnismäßige Sorgen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die Schweißausbrüche bekommen, sobald ihr Kind aus dem Haus ist. Sie beschäftigen sich mit nichts anderem, bis es wieder da ist. Panikattacken können sich auch zu einer Störung entwickeln, wenn sie ohne Auslöser und häufig vorkommen.
Was sind die Ursachen?
Genetische Muster erhöhen das Risiko, krank zu werden. Aber: Nur weil Sie mit bestimmten Reifen fahren, also bestimmte Genmuster haben, ist ein Unfall nicht vorprogrammiert. Kommt aber hinzu, dass die Reifen nicht zum Untergrund passen, es regnet und sie eine Kurve fahren, könnten Sie verunglücken. Biologische und psychologische Faktoren spielen immer eine Rolle. Auch die Eltern und aktuelle Ereignisse beeinflussen, wie wir mit Angst umgehen. Will sagen: Angsterkrankungen haben mit der gesamten Biografie der oder des Betroffenen zu tun.
In den Medien tauchen immer wieder außergewöhnlich klingende Ängste auf wie die Angst vor Hühnern oder vor dem Tanzen. Sind die wissenschaftlich belegt?
Ja und nein. Mich erreichen viele skurrile Anfragen, von der Angst vor langen Wörtern bis hin zur Angst vor Schrauben. Es ist nicht möglich, sich mit jeder ernsthaft zu befassen. Das hat auch mit Respekt vor schwer leidenden Patientinnen und Patienten zu tun. Aber: Selbst die Spinnenphobie hängt damit zusammen, dass Spinnen vor langer Zeit gefährlich waren. Das kann man heute nicht mehr nachvollziehen und tritt dennoch auf. Ob bei einer bestimmten „Phobie“ wirklich eine Erkrankung vorliegt, ist im Einzelfall zu entscheiden.
Ab wann sollte man sich Hilfe suchen?
Wenn man bestimmte Dinge nicht mehr kann, die man sonst immer konnte. Und: Wenn das Umfeld einem signalisiert, dass man sich anders verhält. Rufen Sie bei einem Beratungsdienst an – bei der Caritas, dem sozialpsychiatrischen Dienst oder einer Beratungshotline. Im Falle von Ängsten gibt es auch auf der Website der deutschen Angstselbsthilfe viele Kontaktmöglichkeiten. Man kann auch das Gespräch mit der Hausärztin oder dem Hausarzt suchen. Dort kann ein Beratungsgespräch in einer psychologischen Praxis vereinbart werden.
Funktioniert unser deutsches Therapie-System?
Wir haben in Deutschland viel mehr psychotherapeutische Praxen als andere Länder. Dennoch finden viele Menschen keine Therapieplätze. Das Problem ist: Es gibt zu wenig Notfallsprechstunden und Flexibilität in der Therapiegestaltung. Ein freier Platz wird für 20 oder 40 Sitzungen bei der Krankenkasse beantragt, selbst wenn nicht alle Sitzungen notwendig sind. Das ist so, als würde ich vier, fünf Mal zur Hausärztin oder zum Hausarzt gehen, egal, ob ich Nasenspray abholen will oder richtig schwer krank bin.
Wie kann ich mir selbst helfen?
Emotionen können sich verselbstständigen und verfestigen, wenn man sich von ihnen einnehmen lässt. Als ängstliche Person sollte ich versuchen das Gefühl nicht zu verdrängen und die angstauslösende Situation nicht zu meiden. Sprechen Sie auch mit Angehörigen, Freundinnen und Freunden, um sich eine Rückmeldung einzuholen.
Wie hilft man als angehörige Person?
Angehörige sollten einfühlsam sein, können aber nicht die Therapeutin oder den Therapeuten ersetzen. Es gilt: Zuhören, unterstützen und ganz wichtig – die Betroffenen motivieren, sich therapeutische Hilfe zu suchen.