Phobien (phobische Störung)
Was ist eine Phobie?
Wer an einer Phobie leidet, fürchtet sich stark und lang anhaltend vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation – zum Beispiel vor einer Spinne oder vor dem Besuch beim Zahnarzt. Kennzeichnend für eine Phobie ist eine unangemessene Angst und eine körperliche Reaktion, die durch die Situation oder die bloße Vorstellung der Situation ausgelöst wird.
Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen in Deutschland. Unter ihnen tritt die spezifische Phobie am häufigsten auf. Fast jeder Zehnte leidet mindestens einmal im Leben daran. Oft beginnt eine spezifische Phobie bereits im Kindesalter, manchmal entsteht sie erst zwischen 30 und 40 Jahren.
Typische Merkmale der Phobie
Angst ist eine wichtige Empfindung. Sie dient als innerer Gefahrenmelder. Bestimmte Merkmale deuten jedoch auf eine krankhafte Angst hin, eine Angststörung:
- Körperliche Reaktion: Die Angst ist stark ausgeprägt, führt zu unangenehmen körperlichen Symptomen, für die sich keine organischen Ursachen finden – wie Herzrasen, Zittern, Atemnot, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden oder Schwitzen. Schon beim Gedanken an den Angstauslöser bekommen Betroffene heftige Angstgefühle, die sie kaum kontrollieren können. Die Furcht steigert sich manchmal zur Panikattacke.
- Unangemessen starke Angst: Objektiv betrachtet ist die Angst unangemessen – es gibt keinen objektiven Grund, sich so sehr zu fürchten. Die Betroffenen wissen das oft, können die Angst aber trotzdem nicht unter Kontrolle halten.
- Vermeidungsstrategie: Viele fürchten angstbesetzte Momente schließlich so sehr, haben so viel "Angst vor ihrer Angst", dass sie versuchen, angstauslösende Situationen und Objekte, so gut wie möglich zu vermeiden. Diese Flucht vor der Angst führt meist zu einer Verstärkung der Angst. Sie breitet sich leicht auf weitere Lebensbereiche aus und kann schließlich den Alltag massiv einschränken.
Wie werden Phobien klassifiziert und welche Phobien gibt es?
Die Angststörungen werden in vier Gruppen unterteilt, wobei es fließende Übergänge geben kann.
- spezifische Phobie
- Panikstörung/Agoraphobie
- generalisierte Angststörung
- soziale Phobie
Die einzelnen Gruppen werden in unserer Bildergalerie näher aufgeführt und beschrieben (siehe separater Kasten unten).
Welche Phobien gibt es?
Ursache: Wodurch entsteht eine Phobie?
Eine Phobie entsteht meist nicht durch eine einzelne Ursache. Verschiedene Auslöser wirken in unterschiedlicher Gewichtung zusammen.
Manche Auslöser bereiten den Weg, machen generell anfälliger für Angststörungen – wie eine bestimmte Erziehung, die persönliche Veranlagung, die individuelle Besonderheiten im Bereich des Hirnstoffwechsels. Schlechte Erfahrungen können eine Rolle spielen, bestimmte Umstände die Angst verfestigen wie etwa übermäßig besorgte Angehörige.
Erfahrungen
Angst kann bis zu einem gewissen Grad erlernt sein. Ein Beispiel: Ein kleines Kind fürchtet sich. Zufällig befindet sich in diesem Moment ein Hund in der Nähe. Obwohl das Tier gar nichts mit der Angst des Kindes zu tun hat, verknüpft das Kind das Tier aber unbewusst mit seinen Angstgefühlen. Von nun an löst plötzlich jeder Hund Angstgefühle aus, ohne dass es einen nachvollziehbaren Grund dafür gäbe.
Erziehung
Eltern und andere Bezugspersonen leben bestimmte Verhaltensweisen vor. Reagieren sie zum Beispiel übertrieben aufgeregt beim Anblick einer Spinne, können die Kinder das Verhalten übernehmen. Vor allem bei spezifischen Phobien – wie einer Spinnenphobie – scheint dieser Mechanismus wichtig zu sein.
Menschheitsgeschichte
Wissenschaftler beobachten außerdem, dass manche Objekte leichter Phobien auslösen als andere. So fürchten sich deutlich mehr Menschen vor einer Schlange als vor einem Fernseher – wahrscheinlich, weil die Furcht vor Schlangen im Laufe der Menschheitsgeschichte über Generationen erlernt wurde – also Warnung vor einer realen Gefahr.
Erlebnisse
Ganz bestimmte Situationen können unter ungünstigen Umständen zum Ausgangspunkt einer phobischen Störung werden.
Veranlagung
Angsterkrankungen treten manchmal in Familien gehäuft auf. Es scheint wohl eine gewisse Bereitschaft dafür zu geben, die sozusagen vererbt wird. Das bedeutet aber nicht, dass Angehörige von Angstpatienten in jedem Fall erkranken.
Hirnstoffwechsel
Unsere Hirnzellen kommunizieren über Botenstoffe. Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein gestörtes Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe im Gehirn Ausgangspunkt für die Entstehung von Phobien sein können. Ärzte verschreiben zur Therapie von schweren Angststörungen manchmal Medikamente, die den Hirnstoffwechsel beeinflussen und die Symptome auf diese Weise lindern können.
Innere Konflikte
Die Tiefenpsychologie deutet krankhafte Furcht als Ausdruck eines inneren, nicht lösbaren Konfliktes. Hinter dem Symptom Angst stehen in Wirklichkeit unbewusste, verdrängte Gefühle, so die Theorie.
Diagnose: Wie wird eine Phobie festgestellt?
Anamnese und körperliche Untersuchung
Viele Patienten wenden sich zunächst an ihren Hausarzt. Manchmal wird bei der Anamnese (Gespräch über die Krankheitsgeschichte) über allgemeine Beschwerden wie Schlafstörungen oder Schmerzen berichtet, ohne dass dem Betroffenen eine Angststörung bewusst ist. Sie spüren vor allem körperliche Symptome der Angst wie Herzrasen, Schwindel oder Übelkeit. Daher ist zu Beginn ein gezieltes Erfragen von Angst von Seiten des Arztes nötig. Er erkundigt sich nach den Beschwerden und den Umständen, unter denen Angstsymptome auftreten.
Weiterführende Diagnostik und Laboruntersuchungen
In jedem Fall muss zunächst geklärt werden, ob eine körperliche Ursache hinter den Symptomen stecken könnte – zum Beispiel eine Herzerkrankung, eine Erkrankung der Atemwege, eine neurologische Erkrankung wie beispielsweise eine Migräne oder eine Stoffwechselstörung wie beispielsweise eine Schilddrüsenüberfunktion oder Diabetes mellitus. Dazu können neben einer körperlichen Untersuchung beispielsweise eine Elektrokardiografie oder Bluttests zum Einsatz kommen.
Der Arzt wird außerdem prüfen, welche Medikamente der Patient einnimmt. Manchmal können sie Ängste auslösen oder verstärken.
Gespräch und Fragebögen
Beim Verdacht auf eine ausgeprägte, behandlungsbedürftige Angsterkrankung wird der Arzt üblicherweise an einen Spezialisten überweisen – einen Psychiater oder Psychotherapeuten.
Der Spezialist wird sich ausführlich mit dem Patienten unterhalten. Er fragt, in welchen Situationen die Ängste auftreten, ob der Patient bestimmte Gelegenheiten oder Objekte bewusst vermeidet oder ob die Furcht "aus heiterem Himmel" entsteht. Mit Hilfe standardisierter Fragebögen kann der Psychiater oder Psychotherapeut genauer einschätzen, welche Angststörung vorliegt und wie sehr die Ängste den Alltag des Patienten behindern.
Ängste können auch Symptom einer anderen psychischen Krankheit sein, beispielsweise einer Depression, einer Zwangsstörung, einer Alkoholsucht oder einer Drogenabhängigkeit. Nicht selten liegen auch mehrere Krankheiten gleichzeitig vor.
Therapie: Wie wird eine Phobie behandelt?
Es gibt verschiedene Wege, eine Phobie zu behandeln: Psychotherapeutische Methoden, vor allem die Verhaltenstherapie, haben sich bewährt. Auch Medikamente können in bestimmten Fällen sinnvoll sein. Eine Kombination verschiedener Methoden ist ebenfalls denkbar. Die Therapie kann einzeln oder in Gruppen, ambulant oder in einer Klinik stattfinden.
Welche Therapie im Einzelfall die beste ist, müssen Patienten individuell mit ihrem behandelnden Spezialisten besprechen. Üblicherweise sind Phobien gut behandelbar. Ohne Therapie bessern sich Angsterkrankungen nur selten. Entscheidend für einen Behandlungsbeginn sind neben dem persönlichen Leidensdruck des Patienten auch die durch die Angsterkrankung entstehenden psychosozialen Einschränkungen.
Psychotherapie
Eine kognitive Verhaltenstherapie konzentriert sich nicht etwa nur auf eine reine Verhaltensänderung, wie viele glauben. Am Beginn stehen ausführliche Gespräche. Patient und Therapeut versuchen zu klären, in welchen Situationen die Angst entsteht, welche Funktion sie im Leben des Patienten hat, und welche Faktoren sie aufrechterhalten. Ziel ist es, ein Stück weit zugrundeliegenden Problemen auf den Grund zu gehen.
Der Therapeut erarbeitet mit dem Patienten gemeinsam ein Erklärungsmodell der Phobie und leitet daraus mögliche Therapieschritte ab. Diese werden mit dem Patienten gemeinsam besprochen und es werden gemeinsame Ziele erarbeitet. Wichtig ist, dass der Patient aktiv mitarbeitet, darüber Bescheid weiß, wie die Behandlung abläuft und sich frei entscheidet.
Bei spezifischen Phobien helfen oft Konfrontationsübungen. Der Patient setzt sich dabei ganz bewusst seinen angstauslösenden Objekten und Situationen aus (Exposition). Hier gibt es verschiedene Varianten:
- Die Exposition kann in sensu (also in der Vorstellung) oder in vivo (in der Realität) erfolgen.
- Eine Exposition in sensu kann graduiert mit Entspannung (= systematische Desensibilisierung) oder massiert ohne Entspannung (= Implosion) durchgeführt werden.
- Die Durchführung einer Exposition in vivo kann ebenfalls entweder graduiert (= schrittweises Vorgehen) oder massiert (= Flooding – ein schnelles, intensives Erleben der Angst) gestaltet werden.
Durch die Konfrontationstherapie lernen die Betroffenen vermiedene Objekte und Situationen wieder aufzusuchen und sich ihrer Angst schrittweise zu stellen. Neben der Erfahrung, dass die Angst nicht ins Unermessliche steigt, sondern nach einer gewissen Zeit meist von alleine wieder abflaut geht es vor allem darum, dass die Patienten positive Neuerfahrungen machen. Diese neuen Erfahrungen, wie beispielsweise "ich kann die Situation bewältigen, meine Befürchtungen sind nicht eingetreten, ich bin kompetent, ich habe/erlerne neue Fertigkeiten" tragen wesentlich zu einem neuen Selbstvertrauen und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit bei. Um eine Übertragung dieser neuen Erfahrungen auf möglichst viele Situationen zu ermöglichen sind Wiederholungen der Expositionen und eine Durchführung in unterschiedlichen Kontexten (zum Beispiel bei der Behandlung der Höhenphobie: unterschiedliche Gebäude, Tageszeiten, eigene Befindlichkeit sowie mit und ohne therapeutische Begleitung) wichtig. Positive Erinnerungen (wie beispielsweise Fotos von erfolgreichen Expositionen) können eine positive Abspeicherung der Erfolgserlebnisse fördern.
Gruppentherapie bei Sozialphobie
Bei der Behandlung der sozialen Phobie hat sich neben der Einzeltherapie eine Gruppentherapie als hilfreich erwiesen. Dabei haben Patienten Gelegenheit, ihre tatsächliche Wirkung auf andere in einem geschützten Rahmen zu überprüfen und Situationen in Rollenspielen zu testen. Als weiterführend Übung könnten sie zum Beispiel fremde Personen auf der Straße nach etwas Bestimmtem (zum Beispiel Weg, Uhrzeit) fragen.
Den Betroffenen soll im Rahmen der Behandlung die Fähigkeit vermittelt werden, die aufkommende Angst bedingungslos anzunehmen und zu erkennen, welche Handlungsmöglichkeiten trotz der Angst noch für die Betroffenen bestehen. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Erfahrung einer Erwartungsverletzung, zu erkennen, dass die erwarteten Befürchtungen nicht eingetreten sind, sowie neuen Erfahrungen von Selbstvertrauen oder Selbstwirksamkeit, die für die Betroffenen schwierigen Situationen meistern zu können.
Weitere Verfahren
Entspannungstechniken wie progressive Muskelrelaxation nach Jacobson oder autogenes Training können die Therapie unterstützen.
Tiefenpsychologische Verfahren gehen den tieferliegenden Ursachen einer Angststörung intensiver auf den Grund. Ihr Ziel ist es, die inneren Konflikte aufzudecken, die der eigentliche Grund der Phobie sein könnten (siehe Kapitel Ursachen). In ausführlichen Gesprächen suchen Patient und Spezialist nach Lösungsmöglichkeiten. Solche Therapien können mehrere Monate bis Jahre dauern.
In jüngster Zeit werden bei Angsterkrankungen zusätzlich zur kognitiven Verhaltenstherapie auch sogenannte achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Therapieverfahren eingesetzt. Bei der MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) lernen die Betroffenen unter anderem eine achtsame Grundhaltung einzunehmen, Gedanken und Ereignisse zu akzeptieren, ohne sie zu bewerten. Dies kann – vereinfacht gesagt - hilfreich sein, mehr im Hier und Jetzt zu leben, mehr Akzeptanz gegenüber Gefühlen und Gedanken zu entwickeln, Vermeidungsverhalten abzubauen und Ängste zu bewältigen.
Auch Ausdauersport, wie beispielsweise dreimal die Woche zu laufen, kann bei Panikstörungen/Agoraphobie ergänzend zu anderen Therapieverfahren empfohlen werden. Sportanfänger und Menschen über 35 Jahre sollten sich zum geeigneten Trainingspensum ärztlich beraten lassen.
Bei den Konfrontationsverfahren werden neben der Exposition in vivo und in sensu auch zunehmend Expositionen in der virtuellen Welt angewandt (Exposition in virtuo). Diese werden vor allem für die Behandlung von spezifischen Phobien (zum Beispiel Höhenangst, Flugangst) eingesetzt.
Medikamente
Wenn die Phobie das Leben des Betroffenen sehr stark einschränkt und die Therapie behindert oder wenn eine weitere psychische Erkrankung vorliegt, kann der Spezialist unter Umständen Medikamente verschreiben. Zum Einsatz kommen vor allem Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI). Diese Substanzen beeinflussen den Stoffwechsel der Hirnbotenstoffe Serotonin oder Serotonin und Noradrenalin. In manchen Fällen können auch trizyklische Antidepressiva oder MAO-Hemmer hilfreich sein. Allerdings vergehen meistens ein paar Wochen, bis die genannten Medikamente ihre volle Wirkung entfalten.
Im Ausnahmefall kann der Arzt auch beruhigende Medikamente verordnen. Dabei ist zu beachten, dass die immer noch am häufigsten verwendeten Medikamente – die sogenannten Benzodiazepine – rasch abhängig machen können. Sie sollten wirklich nur im Notfall verordnet werden. Es gibt auch beruhigende Medikamente, die kein Abhängigkeitsrisiko aufweisen.
Auch bestimmte sogenannte atypische Neuroleptika können sich bei Betroffenen mit Angststörungen positiv auswirken, ohne dass ein Abhängigkeitsrisiko besteht.
Patienten sollten sich bei ihrem Arzt zu den Medikamenten ausführlich beraten lassen – über mögliche Nebenwirkungen und Vorteile.
Unser beratender Experte:
Professor Dr. Ulrich Voderholzer ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee und Experte für Zwangserkrankungen, Schlafstörungen und Depressionen. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Vorstand des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. (DGZ) und veröffentlichte zahlreiche Publikationen.
Achtung: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.