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Ich habe mich mit Dr. Isabel Maurus im Münchner Stadtwald zum Joggen verabredet. Sie leitet die Forschungsgruppe Sportpsychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem begleitet sie als Schirmherrin die Laufgruppe des Münchner Bündnis gegen Depression. Dort treffen sich Betroffene jeden Montag, um gemeinsam zu laufen. Maurus weiß, wie Bewegung bei psychischen Erkrankungen hilft. Wir treffen uns am Parkplatz eines Waldfriedhofs im Südwesten Münchens. Sie kommt mit dem Rad, ich mit dem Auto.

Frau Maurus, was passiert im Gehirn bei regelmäßiger Bewegung?

Maurus: In Bewegung verbessert sich die Gehirn-Gesundheit auf vielen Ebenen. Ganz kurz gesagt: Der Puls und die Durchblutung gehen hoch und der Körper schüttet Botenstoffe und Wachstumsfaktoren aus. Diese wiederum helfen, die Regeneration von Nervenzellen, anderen wichtigen Zellen im Gehirn und von Gefäßen zu fördern und diese sogar neu zu bilden.

Das mit dem Puls kann ich bestätigen. Wir traben los, mein Herz pocht und ich atme schneller. Zu Beginn fällt es mir schwer, dabei zu reden. Mein Körper ist mit sich selbst beschäftigt.

Ist es besser, an der frischen Luft aktiv zu sein?

Maurus: Die frische Luft ist nicht allein ausschlaggebend, sondern vielmehr auch die Zeit im Grünen. Der Anblick von Bäumen, Bächen und Wiesen kann das Stresslevel senken. Aber wenn jemand gerne Teamsport in der Halle macht, ist das genauso super – Hauptsache, es macht Spaß!

Dr. Isabel Maurus hat selbst lange Triathlon betrieben.

Dr. Isabel Maurus hat selbst lange Triathlon betrieben.

Das merke ich auch bei unserem Lauf. Wir starten an einer Hauptstraße und biegen auf einen Kiesweg in einen dichtbewachsenen Mischwald ein. Obwohl ich laufe, beruhigt sich im Wald meine Atmung.

Die Laufgruppe des Münchner Bündnis gegen Depression trifft sich jede Woche. Warum sind solche positiven Beispiele so wichtig?

Maurus: Solche Initiativen sind wichtig, um eine Versorgungslücke zu schließen. Für Herzinfarkt-Patienten zum Beispiel gibt es Herzsportgruppen. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen mangelt es jedoch an Angeboten. Dabei sind Depressionen bei der Laufgruppe gar nicht unbedingt Thema. Es geht vielmehr darum, gemeinsam den Kopf frei zu bekommen und etwas für sich zu tun.

Wir müssen stärker betonen, wie wichtig regelmäßige Bewegung auch für die psychische Gesundheit ist.

Warum mangelt es an solchen Angeboten?

Maurus: Jeder weiß, wie gut Sport für das Herz-Kreislaufsystem, für Muskeln und Knochen ist – selbst dafür tun viele zu wenig. Bei der Psyche gibt es noch mehr Nachholbedarf. Wir müssen stärker betonen, wie wichtig regelmäßige Bewegung auch für die psychische Gesundheit ist.

Wie hilft Bewegung Menschen mit psychischen Erkrankungen?

Maurus: Auch hier hat Sport Effekte auf vielen Ebenen, unter anderem im Bereich der Neurotransmitter. Ganz allgemein vermag regelmäßiger Sport die Stimmung und den Antrieb zu verbessern und Angstsymptome zu lindern.

Ich fühle mich schon mitten auf der Strecke besser. Das Laufen verselbstständigt sich und ich atme immer leichter.

Maurus: Es konnte auch gezeigt werden, dass Sport die geistige Leistungsfähigkeit verbessert und Demenzerkrankungen vorbeugt. In unserer Klinik untersuchen wir aktuell die Benefits von Sport für Menschen mit Schizophrenie. Im Rahmen von Studien bieten wir hier Trainingsprogramme an.

Also eine Art Bewegung auf Rezept?

Maurus: So das Ziel. In der Gegenwart beinhaltet die Therapie bei psychischen Erkrankungen bisher in erster Linie nur Medikamente und, meist mit einiger Wartezeit, einen Psychotherapieplatz. Im Gegensatz dazu ist Bewegung immer und sofort verfügbar. Außerdem hat Sport nur positive Nebenwirkungen – wie eben zum Beispiel, dass das Risiko für Herzkreislauferkrankungen gesenkt wird und man sich wohler und zufriedener in seiner Haut fühlt.

Stichwort Selbstwirksamkeit.

Maurus: Ja, das begeistert mich an Sport zur Therapieergänzung: Man meistert schwierige Situationen aus eigener Kraft. Medikamente helfen mir, aber ich helfe mir durch Bewegung, deshalb sollte Bewegung in die Therapie integriert werden.

Wie motiviert man Menschen zu Bewegung, die zum Beispiel in einer depressiven Phase sind?

Maurus: Das ist eine große Herausforderung. Wer keine Energie hat, kann mit unrealistischen Sportplänen wenig anfangen. Es hilft, ohne Druck und große Ansprüche einfach irgendwie zu starten. Sich aufraffen und allein schon zehn Minuten um den Block zu gehen. Zu versuchen, die Treppen anstatt dem Aufzug zu nehmen. Auch das ist eine Leistung, auf die man aufbauen kann. Regelmäßigkeit ist dann wichtig. Ein langer Spaziergang, ein lockerer Lauf, so steigert man sich Schritt für Schritt. Hilfreich sind da vor allem Verabredungen mit Familie, Freunden oder eben Gruppen.

Gibt es Sportarten, die besser auf die Psyche wirken als andere?

Maurus: Das wird aktuell noch erforscht. Eine Zukunftsvision wäre, jedem den am besten geeigneten Sport und wie viel davon empfehlen zu können. Ganz allgemein finde ich aber auch individuelle Präferenzen sehr wichtig. Denn nur Sport, der einem etwas gibt, wird man langfristig fortsetzen.

Unser Waldlauf wirkt jedenfalls: Mittlerweile bin ich so vertieft im Gespräch, die Beine laufen von alleine und die Bäume ziehen links und rechts an mir vorbei.

Wie kann sich die Behandlung weiter verbessern?

Maurus: Es sollte Standard werden, dass wir die Patientinnen und Patienten fragen: Wie viel bewegen Sie sich? Im Alltag wird das zu selten gemacht. Die Antwort sagt viel über den Gesundheitszustand und mögliche Risiken aus. Am Ende muss das Ziel sein, möglichst viele Menschen an den positiven Wirkungen von Sport teilhaben zu lassen – vor allem Leute, die noch nie mit Sport zu tun hatten.

Was raten Sie diesen Personen?

Maurus: Am Anfang sollte man sich überlegen: Wie integriere ich Bewegung am besten in meinen Alltag? Was, wann, wo und mit wem? Es ist sehr wichtig, etwas zu finden, das einem Spaß macht. Und man sollte sich überlegen, was mögliche Hindernisse sein könnten. So hat man die besten Chancen, dauerhaft dabei zu bleiben und Routinen zu entwickeln. Dann muss man sich nicht jedes Mal aufs Neue überwinden, sondern hat jede Woche etwas, auf das man sich freuen kann.

Joggen und währenddessen ein Interview führen? Sehr zu empfehlen. Selten kamen mir fünf Kilometer so kurz vor. Der Parkplatz ist in Sicht. Wir laufen entspannt aus.

Wie ist es, jemand aus einem Tief heraus zu begleiten?

Maurus: Das ist sehr erfüllend und meine Hauptmotivation. Dabei sehe ich jeden Tag, wie wertvoll Bewegung als Ressource für unsere körperliche, aber vor allem auch für die mentale Gesundheit ist, beides gehört fest zusammen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Maurus: Wir dürfen Patientinnen und Patienten auch nach einer Therapie nicht alleine lassen. Wir müssen Sie unterstützen und Möglichkeiten zeigen, wie sie dranbleiben und weiterhin an Bewegungsangeboten teilnehmen können.