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Dass Irren menschlich ist, schrieb bereits vor über 2000 Jahren der Philosoph Seneca nieder. Weniger bekannt, aber nicht ganz unwichtig, ist sein Nachsatz: „Aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch.“ Schon damals war also klar: Fehler passieren jedem, entscheidend aber ist der richtige Umgang mit ihnen. Doch wie genau sieht dieser aus? Wie gelingt es, aus Misserfolgen zu lernen?

Niemand macht alles richtig. Einen Fehler zuzugeben, fällt dennoch sehr vielen Menschen schwer. Dabei ist dies die Voraussetzung, um überhaupt daraus lernen zu können. Denn um einen Fehler nutzen zu können, müsse man ihn erst einmal erkennen und annehmen, sagt Susanne Narciss, Inhaberin der Professur für die Psychologie des Lehrens und Lernens an der Technischen Universität (TU) Dresden.

Das Negative als Stärke

Dass im Scheitern offenbar eine lehrreiche Kraft liegt, deuten auch verschiedene Untersuchungen an. Laut einem Artikel des US-amerikanischen Sozialpsychologen Professor Roy Baumeister und anderen Forschenden im Review of General Psychology reagieren Menschen sowohl körperlich, kognitiv und auch emotional stärker auf negative Momente als auf positive.

Dadurch schenke man diesen Momenten mehr Aufmerksamkeit, verarbeite sie womöglich gründlicher und könne eher daraus lernen, so die Folgerung der wissenschaftlichen Auswertung. Um tatsächlich aus Fehlern lernen zu können, müssen jedoch bestimmte Bedingungen erfüllt sein.

Das Ego kann im Weg sein

Beim Lernen aus Fehlern kann einem das eigene Ego im Weg stehen. Das fanden zum Beispiel Forscherinnen der University of Chicago he­raus, ihre Arbeit haben sie im Fachmagazin Psychological Science veröffentlicht.

Die Teilnehmer sollten dabei verschiedene Fragen beantworten und dabei zwischen zwei Antwortmöglichkeiten wählen. Diejenigen, die öfter falsch­­lagen, konnten sich anschließend an den Inhalt schlechter erinnern. Den Grund führen die Forscherinnen auf das eigene Selbstwertgefühl zurück. „Fehler-Feedback schwächt die Lernmotivation, weil es das Ego bedroht“, schreiben sie in ihrem Bericht.

Die Teilnehmer würden nach der negativen Rückmeldung abschalten und aufhören, die Information weiter zu verarbeiten. Um aus eigenen Misserfolgen lernen zu können, gelte also vor allem eines: das Feedback vom eigenen Ego zu trennen.

Das unterstreicht auch Psychotherapeut Markus Bramer aus München. Wichtig sei, sich den Unterschied zwischen einem einzelnen Fehler und seiner Gesamtpersönlichkeit bewusst zu machen. Schließlich würden einem täglich viel mehr Handlungen gelingen als Fehler unterlaufen. Hierbei könne es helfen, sich bewusst zu werden: Jeder Mensch macht Fehler. Ausnahmslos. Eine Erfolgsgeschichte ohne Fehler gibt es nicht.

Offen über Fehler reden

Ein wichtiger Schritt für den Lernprozess ist, darüber zu sprechen. Um das Scheitern aus der Tabuecke zu holen und ihm sogar eine Bühne zu geben, wurden 2012 in Mexiko sogenannte Fuck-up-Nights ins Leben gerufen.

Vor wenigen Jahren hielten sie auch in Deutschland Einzug in die Gründerszene. Bei diesen Veranstaltungen werden Fehler nicht verschwiegen, sondern gefeiert. Erfolgreiche Unternehmer berichten hier von den Brüchen in ihrer Karrierelaufbahn – und wollen so das Publikum inspirieren, Rückschläge auch als Chancen wahrzunehmen.

Wie entscheidend eine offene Fehlerkultur für das Lernen ist, unterstreicht auch Pädagogin Susanne Narciss: „Wichtig ist, dass zum Beispiel Eltern, Lehrer und Führungskräfte die Grundhaltung vertreten, dass Fehler gemacht werden dürfen und diese sogar wichtige Gelegenheiten für die Weiterentwicklung der eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten bieten.“

In der Schule müsse klar kommuniziert werden, dass Fehler ein Teil von Lern- und Übungsprozessen seien. „Es geht nicht darum, die oder der Beste zu sein und einem sozialen Vergleich standzuhalten. Sondern darum, dass jeder für sich selbst optimal dazulernen kann.“

Wo liegt die Chance?

Aus Misserfolgen könne man wichtige Schlüsse ziehen, betont Narciss: „Ein Fehler kann zum Beispiel Informationen liefern, welches Wissen oder welche Fertigkeiten man sich noch aneignen sollte, um eine Aufgabe richtig zu bearbeiten.“ Dann kann man den Arbeitsprozess entsprechend anpassen. So sollten zum Beispiel Lehrer Fehler nicht einfach übergehen, indem sie die korrekte Lösung geben. Sondern eine Lerngelegenheit für die ganze Klasse daraus machen.

Dass Fehler auf dem Weg zum Erfolg dazugehören, zeigen auch viele berühmte Beispiele. So unternahm Thomas Alva Edison Tausende Versuche, bis es ihm gelang, die elektrische Glühbirne zu entwickeln. Als ein Mitarbeiter nach unzähligen Fehlschlägen zu ihm gesagt haben soll „Wir sind gescheitert“, erwiderte Edison: „Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.“

Auch auf die eigenen Stärken eingehen

Wer aus seinen Fehlern lernen will, sollte Vorwürfe an sich selbst möglichst vermeiden, rät Psychotherapeut Bramer. Sonst bestehe die Gefahr, in Selbstkritik zu verharren. „Stellen Sie nicht die unangemessene Erwartung an sich, keinen Fehler begehen zu dürfen.“

Habe man etwas falsch gemacht, könne es helfen, sich gezielt auf die eigenen Stärken und liebenswerten Eigenschaften zu fokussieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass Fehler schöngeredet werden. Im Gegenteil: Es gehe auch darum, Verantwortung zu übernehmen.

Mit dem Blick in die Zukunft

Bramer empfiehlt, die Gründe für den Fehler wertneutral zu erörtern. Statt in der Vergangenheit zu verharren, helfe dabei ein lösungsorientierter Blick in die Zukunft. „Ersetzen Sie Gedanken wie ‚Hätte ich nur ...‘ durch die Vorstellung ‚Zukünftig werde ich ...‘, nachdem Sie sich über die Fehlerursachen bewusst geworden sind.“

Sich Fehler zu erlauben, heißt auch, das Unvorhersehbare, Ungewisse und nicht Planbare im Leben anzuerkennen. Susanne Narciss: „Wer Angst hat, Fehler zu machen, meidet die Situation, in der diese Fehler passieren können. Doch wenn man sich der Situation nicht stellt, kann man aus dem Fehler nichts lernen.“