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Manchmal ist es ein wüstes Schimpfen, manchmal nur ein leises Murren. „Siehst du, das hast du jetzt von dem Stück Sahnetorte!“, schleudert uns die innere Stimme beispielsweise entgegen, wenn die Zuckerwerte nach dem Cafébesuch viel zu hoch liegen. Oder: „Wolltest du nicht eigentlich Sport machen und liegst jetzt wieder auf der Couch?“, sobald wir unser Bewegungspen­sum schleifen lassen.

Dieser interne Meckerkasten wird in der Psychologie als der innere Kritiker bezeichnet. „Man geht davon aus, dass die negative Stimme in uns sämtliche äußeren kritischen Stimmen bündelt und widerspiegelt, die uns von Kindheit an beurteilten“, erklärt die Bremer Psychotherapeutin Angelika Rohwetter, die ein Sachbuch zum Thema verfasst hat. „Das können elterliche Einwände wie ‚Lass das, das kannst du noch nicht‘ sein, negative Kommentare in der Schule oder kritische Bemerkungen aus dem Freundeskreis.“

Prägende Kindheit

Die Summe aller Erfahrungen und Glaubenssätze aus den prägenden Kindheits- und Jugendjahren bestimmt also den Tonfall unseres inneren Dialoges. „Wir sind mit dieser inneren Stimme, wie sie jetzt klingt, nicht auf die Welt gekommen“, sagt Dr. Sandra Kamping, Expertin für Psychodiabetologie und chronische Erkrankungen aus Hamburg. „Wer etwa mit dem Motto ‚Erst die Arbeit, dann das Vergnügen‘ aufgewachsen ist, wird sich schwertun, das dreckige Geschirr einfach mal stehen zu lassen, um ein Mittagsschläfchen zu halten.“ Besonders harsch fällt das Urteil meist dann aus, wenn wir den eigenen Ansprüchen nicht genügt haben.

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Futter für den Kritiker

Eine chronische Erkrankung wie Diabetes, die mit klaren Vorgaben verbunden ist, was den Lebensstil betrifft, gibt dem inneren Kritiker häufig ordentlich Futter. „Kritisch mit sich selbst sind meist Patientinnen und Patienten, die ohnehin auf eine gute Stoffwechsellage achten und gut über ihre Krankheit informiert sind“, sagt Sandra Kamping. „Beim Thema Selbstvorwürfe spielen allerdings auch neue Technologien wie Glukosesensoren eine Rolle, die durch eine Fülle von Informationen ihre Nutzer überfordern können und etwa falsch berechnete Mahlzeiten sofort anzeigen.“ Die Betroffenen fühlen sich so direkt für vielleicht nicht so günstige Entscheidungen verantwortlich. Die Folge: Gewissensbisse oder Schuldgefühle.

Motivation statt Vorwürfe

Aber lässt sich dieser nervige Nörgelfritze nicht einfach abstellen? „Nein, los wird man die innere Stimme nicht, sie ist ein Anteil unseres Ichs“, so Angelika Rohwetter. „Aber wer ihr genau zuhört und mit ihr in Dialog tritt, wird bald feststellen: Diese Selbstkritik erfüllt eigentlich eine Schutzfunktion, will mir gar nicht schaden.“

Der Ton macht die Musik — auch im Gespräch mit dem inneren Kritiker. So hat der Miesepeter keine Chance:

Die gute Absicht erkennen: „Sei doch nicht so träge!“ heißt übersetzt: „Ich möchte dich gesund halten und dafür ist Bewegung einfach unerlässlich!“ Mit etwas Übung formuliert die innere Stimme das in Zukunft auch genau so.

Den Wahrheitsgehalt überprüfen: „Das kannst du nicht! Du bist nicht gut genug!“ Sagt wer? Hinter solchen Vorwürfen stecken oft ganz frühe negative Bewertungen, die keinerlei Gültigkeit in Ihrem Erwachsenendasein haben. Am besten entgegnen Sie im Geiste freundlich, aber bestimmt: „Das stimmt nicht. Ich meistere mein Leben jeden Tag und habe wie jeder Mensch Stärken und Schwächen.“

Der inneren Jury danken: „Vorsicht! Tu das nicht!“ Gerade wenn Ihre innere Stimme regelmäßig warnt und bremst, können Sie ihr danken und sie gleichzeitig in ihre Schranken weisen: „Danke, dass du auf mich aufpassen möchtest, aber das musst du nicht, ich bin kein Kind mehr. Du brauchst nicht immer Alarm schlagen, sei lieber mein nachsichtiger Ratgeber und Begleiter.“

Entscheidend ist, wie man auf die Kommentare der inneren Jury reagiert. Lasse ich mich ausbremsen und blockieren? Oder hinterfrage ich, wie ich mein Verhalten künftig besser an bestimmte Situationen anpassen kann? Lasse ich mich von der inneren Stimme auch motivieren? Die richtige Balance zwischen Selbstkritik und Selbstfürsorge ist der Schlüssel. Dazu gehört: genau hinhören. Wie spreche ich mit mir selbst? Würde ich so auch mit einer guten Freundin umgehen?

Akzeptanz und Achtsamkeit lernen

Es folgt die Feinarbeit: Wovor will der innere Kritiker warnen oder schützen? Wie kann ich ihm (oder ihr) einen netteren Tonfall angewöhnen? „Gerade bei einer Erkrankung wie Diabetes, die es verbietet, Entscheidungen rein nach dem Lustprinzip zu treffen, ist eine wohlwollende, tröstende Stimme hilfreich“, so Rohwetter.

Durch Akzeptanz und Achtsamkeit kann es gelingen, eine verantwortungsbewusste Haltung einzunehmen, die innere Stimme so klingen zu lassen: „Ich passe gut auf dich auf, wir treffen gemeinsam die bestmöglichen Entscheidungen.“ Wenn doch mal etwas nicht optimal läuft: registrieren, nicht in Selbstanklage versinken. Und am besten direkt alternative Handlungsmuster entwickeln, die künftig eher zum Erfolg führen.