So können Sie psychischen Krisen vorbeugen
Endlich scheint die dunkle Zeit überwunden. Jetzt bloß nicht grübeln, sondern nach vorn schauen! Wer eine Phase einer psychischen Erkrankung durchlebt hat, möchte vor allem eins: das Kapitel schließen – und die schlimme Zeit hinter sich lassen. Doch leider bleibt es häufig nicht bei der einen Krise. „Viele psychische Erkrankungen verlaufen in wiederkehrenden Episoden“, erklärt Dr. Christa Roth-Sackenheim, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
Ist die Seele erkrankt, wächst diese nicht einfach wieder zusammen wie ein gebrochenes Bein. Sie bleibt verletzlich, das Risiko eines Rückfalls hoch.
Das Risiko richtig abschätzen
So durchleben Patientinnen und Patienten mit Depressionen in mehr als zwei Drittel der Fälle mindestens eine weitere Krankheitsphase. Bei anderen Erkrankungen liegt der Anteil sogar noch höher, etwa bei bipolaren Störungen, bei denen depressive und manische Phasen mit krankhafter Hochstimmung im Wechsel auftreten, sowie bei Leiden aus dem Spektrum der schizophrenen Psychosen. Typisch hierfür sind unter anderem Wahnsymptome, Halluzinationen und Veränderungen des Denkens.
Doch kehrt die Krankheit nicht immer zurück. „Um das Risiko abzuschätzen, ist ein ausführliches Anamnesegespräch wichtig“, sagt Roth-Sackenheim. Wie hat sich die Krankheit entwickelt? Gab es belastende Umstände? Jeder Mensch hat eine Art psychischen Schutzschild, individuelle Fähigkeiten, Krisen zu bewältigen – man spricht auch von Resilienz. Doch gibt es genauso wunde Punkte. „Irgendwann wird es zu viel“, sagt Professor Frank Padberg von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Gerade während der aktuellen Pandemie häufen sich die Belastungen. Zu finanziellen Schwierigkeiten kommen Zukunftsängste, vielleicht ein schwerer Krankheitsfall in der Familie oder Gefühle von Einsamkeit. Tritt eine Krankheitsepisode in einer solchen Phase hoher Belastung auf, ist die Prognose oft günstig. „Gerät der Mensch nicht erneut in eine derart extreme Situation, kann er sein künftiges Leben lang durchaus gesund bleiben“, sagt Psychiater Padberg.
Medikamentöse Behandlung wirkt oft unterstützend
Gab es bereits Fälle von psychischen Erkrankungen oder Suiziden bei nahen Angehörigen, weist dies dagegen auf ein erhöhtes Rückfallrisiko hin. „Dies spricht für eine erhöhte Verletzlichkeit der Psyche“, sagt Roth-Sackenheim. Oft ist es dann sinnvoll, langfristig Medikamente einzunehmen. Eine Rolle spielt auch die Dauer der Erkrankung. Je länger die psychische Krise anhält, desto größer die Rückfallgefahr. „Medikamente sind bei der Therapie dann meist ebenfalls unverzichtbar“, sagt die Psychiaterin.
Nach der ersten Krankheitsepisode kann allerdings niemand sicher sagen, ob es die einzige im Leben bleibt oder nicht. Ob dauerhaft Medikamente wie etwa Antidepressiva nötig sind, zeigt sich manchmal erst im Verlauf.
Von diesen gibt es heute eine breite Palette mit verschiedenen Wirkansätzen. Teilweise lehnen Betroffene Psychopharmaka ab, aus Angst, sie könnten die Persönlichkeit verändern. Das Gegenteil sei der Fall, sagt Padberg: „Es sind psychische Erkrankungen, die biologische Abläufe im Gehirn verändern und so die Persönlichkeit überlagern.“ Medikamente wirken dem entgegen.
Dennoch hat er Verständnis, wenn Patientinnen und Patienten versuchen wollen, ohne Medikamente auszukommen, sobald es ihnen besser geht. Keinesfalls sollten sie diese selbstständig absetzen. Das kann zu schweren Absetzsymptomen führen. Stattdessen kann man die Dosis unter Rücksprache mit der behandelnden Fachärztin oder dem Facharzt verringern.
Wissen über die eigene Erkrankung sammeln
Doch sind Medikamente nicht die einzige wirksame Säule der Behandlung. Wichtig ist zudem, über die eigene Krankheit Bescheid zu wissen: Wie entsteht eine psychische Störung? Wie verändert sie Betroffene? Wer dies besser versteht, kann lernen, damit umzugehen.
Vermittelt wird dies zum Beispiel in psychoedukativen Gruppen, wie sie viele Einrichtungen anbieten. „Das ist keine Psychoanalyse, bei der man auf der Couch liegt und redet“, erklärt Roth-Sackenheim. Zu vergleichen sei Psychoedukation eher mit einer Schulung. Themen sind etwa Stressmanagement oder Schlaf.
Frühe Warnzeichen erkennen und ernst nehmen
Gesenkt wird das Rückfallrisiko auch durch eine Psychotherapie, zum Beispiel mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung. „Dort geht es ganz viel um lebenspraktische Fragen“, erklärt Padberg. Etwa darum, die persönlichen Warnzeichen für einen herannahenden Schub zu ergründen.
Erkennen Betroffene frühzeitig, wenn sich die ersten Wolken vor die Seele schieben, lässt sich der Absturz oft verhindern. Etwa wenn bei einer bipolaren Erkrankung das Schlafbedürfnis auf wenige Stunden sinkt oder Freunde darauf hinweisen, im Gespräch nicht mehr zu Wort zu kommen. Dann sollte man etwas unternehmen und die Warnzeichen für eine beginnende manische Phase ernst nehmen.
Dazu gehört, sich zeitnah therapeutische Hilfe zu holen. Mitunter muss in Absprache mit der Ärztin oder dem Arzt die Dosis der Arzneien erhöht werden. „Gegensteuern kann man auch durch das richtige Gesundheitsverhalten“, sagt Padberg. Dazu gehört vor allem, Stress zu verringern. Er gilt als Beschleuniger für Krankheitsphasen.
Eine weitere wichtige Säule für seelische Stabilität ist soziale Unterstützung. „Mit Vertrauten über Probleme zu sprechen kann sehr helfen“, sagt Padberg. Dazu sind allerdings Mut und Offenheit nötig – am besten in einem vertrauten Kreis. Oft bedeutet das, die eigene Scham zu überwinden.
Aus seiner Erfahrung weiß Padberg, dass viele Menschen Angst haben, Bekannte und Angehörige könnten sich abwenden, wenn sie mit psychischen Problemen konfrontiert werden. Das Gegenteil sei dabei oft der Fall. Ein Ort, um offen zu sprechen, kann auch eine Selbsthilfegruppe sein.
Manchmal zeigt sich in der Behandlung, dass hinter einer besonders verletzlichen Seele unbewältigte Erfahrungen in frühen Lebensphasen liegen. „Dann kann eine tiefenpsychologisch fundierte oder psychoanalytische Psychotherapie sinnvoll sein“, sagt Padberg. Nicht nur schwere traumatische Erfahrungen hinterlassen Narben.
Auch wer vernachlässigt und entwertet wurde oder häufig Konflikte durchleben musste, trägt dies oft ein Leben lang unbewältigt in sich. Die Folge kann eine anhaltende depressive Grundstimmung sein. Eine Psychotherapie kann helfen, die Verletzungen zu verarbeiten.
Zusätzlich kann jeder Mensch selbst viel tun, um den Schutzschild der eigenen Seele zu stärken. Am Anfang sollte eine Art „Innenschau“ stehen, rät Roth-Sackenheim. „Viele Menschen haben sich zuvor kaum Gedanken darüber gemacht, was ihnen guttut und was sie belastet“, sagt die Psychiaterin. Eine psychosomatische Reha kann die nötige Ruhe geben, um wichtige Fragen für sich zu beantworten – und das Leben in einzelnen Schritten positiv zu verändern.
Die richtige Nahrung für die Seele
Ein wichtiger Stabilitätsanker für die Seele ist ein gesunder Lebensstil: Einfluss darauf haben regelmäßige Bewegung genauso wie eine ausgewogene Ernährung. Letztere wirkt sich vermutlich auch über die im Darm lebenden Mikroorganismen aus, das sogenannte Mikrobiom. „Wir sind gerade erst dabei, diese Einflüsse zu verstehen“, sagt Roth-Sackenheim.
Was aus Studien bereits bekannt ist: Menschen, die sich ungesund ernähren, etwa viel Zucker oder Fast Food zu sich nehmen, leiden häufiger an psychischen Störungen. Zwar beweist dies noch nicht, dass die Ernährung die Ursache für seelische Probleme ist. Dennoch häufen sich die Hinweise, dass eine Kost mit viel Ballaststoffen und pflanzlichen Lebensmitteln eine Wohltat für das Gemüt ist.
Wichtig für eine stabile Psyche ist, ausreichend zu schlafen – wobei gerade Menschen, die zu Depressionen neigen, gleichzeitig darauf achten sollten, nicht zu lange im Bett zu verweilen. Besser ist ein regelmäßiger Tagesablauf. „Ich sage immer: Leben Sie spießig!“, so Roth-Sackenheim. Der Seele zuliebe.