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In einer Untersuchung aus Großbritannien und China wurden fast 400. 000 Personen länger als zehn Jahre begleitet. Das Ergebnis: Die Konzentration der Luftverschmutzung am Wohnort der Teilnehmenden war mit einem gesteigerten Risiko verbunden, ­später eine Depression oder Angststörung zu entwickeln. Das Risiko einer Depression war bei der höchsten Luftverschmutzung im Vergleich zur geringsten um 16 Prozent erhöht. Bei Angststörungen um 11 Prozent.

Haben Luftschadstoffe negativen Einfluss auf unser Gehirn?

Eine andere britische Untersuchung, die eine ­Reihe von Studien auswertete, zeigt ein ähnliches Bild. Die Ergebnisse sorgen in der Fachwelt für Aufsehen, weil plötzlich ganz neue ­Ursachen für seelische Leiden in der Diskussion stehen. Über Jahrzehnte hätten die Wirkungen von Luftverschmutzung auf Herz und Lungen im Vordergrund gestanden, sagt Psychologe Omar Hahad von der ­Universität Mainz. „Aber da die Herz-Hirn-Achse sehr wichtig ist, hat man damit ­begonnen, sich die Effekte von Luftschadstoffen auf das Gehirn anzuschauen.“

Untersuchungen würden eindeutig zeigen, dass vor allem bestimmte Arten von Feinstaub und Stickstoffdioxid sowohl die Häufigkeit als auch das Neuauftreten von psychiatrischen Erkrankungen erhöhen.

Barbara Hoffmann, Umweltepidemiologin an der Uniklinik Düsseldorf, ist dagegen nicht ganz überzeugt. „Die Studienlage ist beim Zusammenhang von Luftschadstoffen und psychischen Störungen noch gering“, so ihr Einwand. Deshalb sei es noch nicht allgemeiner Konsens, dass ein Zusammenhang besteht. „Es gibt aber einen klaren Verdacht.“

Könnten Studien falschliegen?

Ja. Es gibt viele Risikofaktoren für psychische Leiden. Neben einer genetischen ­Veranlagung sind das etwa Missbrauch in der Kindheit, Drogen, Einsamkeit – oder ein niedriger sozialer Status. Der könnte Studien zu Luftverschmutzung und seelischen Erkrankungen verfälschen. Denn Menschen, die sozial und wirtschaftlich schlechter dastehen, leben oft an großen Straßen und in Gegenden mit schlechter Luft. Gleichzeitig haben sie ein höheres Risiko für psychische Störungen wie Depressionen, da sie aufgrund ihrer schwierigen ­Lage oft mehr Stress haben und härter ­arbeiten müssen.

Sind vielleicht nicht Luftschadstoffe an dem erhöhten Risiko schuld, sondern wirtschaftliche Sorgen? „Der Einwand ist berechtigt“, räumt Omar Hahad ein. In Studien würden solche Faktoren ­jedoch berücksichtigt. Was dafür spricht, dass Luftschadstoffe tatsächlich Auswirkungen auf die Seele haben: Je stärker man ihnen ausgesetzt ist, desto höher ist das ­Risiko für bestimmte psychische Leiden.

Ist die Luft in Deutschland schlecht?

2022 gab es das fünfte Jahr in Folge keine Überschreitung der Feinstaubgrenzwerte in Deutschland. Auch der Jahresmittelgrenzwert für Stickstoffdioxid wurde nur in wenigen Fällen überschritten, das zeigt die Auswertung der Messdaten der Länder und des Umweltbundesamtes.

Zieht man jedoch die deutlich niedrigeren Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heran, liegen bundesweit etwa drei Viertel der gemessenen Jahresmittelwerte für Stickstoffdioxid über den WHO- Leitwerten, auch die Werte für Feinstaub liegen oft darüber.

Stickoxide entstehen bei der Verbrennung, etwa im Straßenverkehr. „Hier sind die Hotspots besonders in den großen Städten an stark befahrenen Straßen“, so Umweltepidemiologin Barbara Hoffmann. Feinstaub sei im Vergleich dazu relativ gleichmäßig übers Land verteilt. Die EU-Kommission stuft Luftverschmutzung als erhebliche ­Gesundheitsbelastung ein. In Deutschland sterben jährlich etwa 28 000 Menschen aufgrund von schlechter Luft. Mittlerweile gibt es einen Vorschlag der Kommission für ­eine neue Luftqualitätsrichtlinie, mit deutlich niedrigeren Grenzwerten ab 2030.

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Tod durch verschmutzte Luft

Eine große europäische Studie zeigt: Auch eine verhältnismäßig niedrige Verunreinigung der Atemluft erhöht das Risiko für einen frühzeitigen Tod zum Artikel