Logo der Apotheken Umschau

Dass das Leben zu Ende gehen kann, erfuhr Louisa an einem regnerischen Montagmorgen vor vier Jahren. Ich brachte ­meine damals dreijährige Tochter in die Kita, uns kamen weinende Eltern entgegen. Sie standen in Grüppchen zusammen oder hielten sich in den Armen. Was wir hörten, war für uns alle ein Schock: Ein Junge aus unserer Kita war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ich nenne ihn für diesen Text Malte, obwohl er eigentlich anders hieß.

Wir Eltern waren entsetzt, sprachlos. Allein der Gedanke an den Verkehrsunfall erschüt­terte mich. Und jedes Mal, wenn ich mir vornahm, mit Louisa über Malte zu sprechen, kamen mir die Tränen. Ich versuchte ihr zu erklären, was mich so fassungslos machte: dass Malte schon als Kind gestorben war und eben nicht erst als Mann, der alt und schwach war und sein Leben schon gelebt hatte.

Wie stellst du dir das Sterben vor?

Ein Buch, das mir in dieser Zeit half, meiner Tochter das Unerklärliche irgendwie begreifbar zu machen, war „Geht Sterben wieder vorbei?“ von Mechthild Schroeter-Rupieper, die als eine der Begründerinnen der Familientrauerarbeit in Deutschland gilt. Hier wird mit liebevoller Klarheit erzählt, dass Tote keinen Schmerz empfinden oder frieren, wenn sie im Sarg liegen. Der leblose Körper wird wie ein Gummi­handschuh beschrieben, den man aufpusten kann. Entweicht die Luft, bleibt nur noch eine Hülle übrig.

Malte blieb lange Zeit Thema in unserer Familie. Und je älter Louisa wurde, desto mehr Fragen hatte sie: Was passiert mit Malte, wer passt auf ihn auf? Muss ich auch irgendwann sterben, Mama? Und: Wo komme ich dann hin?

Normalerweise fehlen mir auch bei schweren Themen nicht die Worte. Das Problem war nur: Auf viele Fragen meiner Tochter hatte ich selbst keine Antworten. Wie soll man auch etwas erklären, das man selbst nicht versteht? Ein Leben nach dem Tod? Das wäre schön. Aber ob es das gibt, kann auch ich nur hoffen – sicher weiß ich es nicht.

Kindern ein Gesprächsangebot schaffen

Ich frage Dr. Franziska Röseberg, Diplom-Psychologin am Helios Klinikum Bonn/Rhein-Sieg. Die Expertin für familienorientierte Trauer­begleitung sagt: „Kinder sind wissbegierig, sie wollen geradezu naturwissenschaftlich ergründen, was der Tod ist und mit Mensch und Tier macht.“ Deshalb sei es wichtig, dem Kind ein Gesprächsangebot zu machen und zu fragen, was es selbst übers Sterben und die Zeit danach denkt. Viele Kinder haben sehr konkrete Vorstellungen davon. Etwa, dass jeder im Himmel ein ­eigenes Zimmer hat und mit einem Fernglas die Menschen auf der Erde beobachtet.

Das Wichtigste sei, mit Kindern in Verbindung zu bleiben, emotional verfügbar zu sein. „Signalisieren Sie: Ich bin für dich da, wir können ­immer sprechen“, sagt die Expertin. Aber was, wenn meine Tochter ganz konkret wissen will, was nach ihrem Tod mit ihr passiert? „Auch Erwachsene dürfen zugeben, dass sie etwas nicht genau wissen. ‚Aber ich stelle mir vor, dass Tote in den Himmel kommen‘, könnte man beispielsweise sagen“, sagt die Psychologin.

Wichtig sei, authentisch zu bleiben und keine Geschichte zu erzählen, die man selbst nicht glaubt, nur damit das Kind sich besser fühlt. Kinder würden das spüren, so Röseberg. „Manche Menschen glauben an Wiedergeburt. Andere sind der Meinung, dass die Seele nicht weiterlebt, dass alles mit dem Tod zu Ende geht. Jede dieser Versionen hat ihre Berechtigung. Man darf aber auch sagen, dass man sich selbst unklar darüber ist, was nach dem Tod kommt.“ Die Expertin erklärt mir auch, dass man konkrete Worte finden soll: „­Tante Erna ist tot“ sei besser als „Tante Erna ist für immer eingeschlafen“. Solche Formulierungen können für Kinder irreführend sein.

Eine Gelegenheit für Dankbarkeit

„Damit Kinder keine Angst vor dem Tod entwickeln, ist es wichtig, ihn nicht zum Tabu zu machen. Man sollte ihnen klarmachen, dass die aller­meisten als alte Menschen sterben. Und: Solange sich jemand an einen Verstorbenen er­innert, kann er nicht ganz weg sein. Das ist ein tröstlicher Gedanke für Kinder“, sagt Franziska Röseberg. Am Ende unseres Gesprächs sagt die Psychologin noch, dass der Tod eine wunder­bare Gelegenheit sei, um mit Kindern über Dankbarkeit zu sprechen. Denn gerade weil das Leben endlich ist und jeder Tag nur einmal kommt, ist es ein Geschenk, für das wir dankbar sein dürfen.

Ich bin bis heute beeindruckt, mit wie viel ­Liebe und Ruhe die Kita damals mit Maltes Tod umgegangen ist: Ein Trauerraum nur für Kinder wurde errichtet. Für Malte gab es einen Gottesdienst, bei dem ein Gitarrist die Titelmelodie von „Feuerwehrmann Sam“ spielte. Die ganze Kita sang mit. Wir ließen Luftballons in den Himmel steigen mit Botschaften für Malte. Louisa diktierte mir, was ich auf ihre Karte schreiben sollte: „Ich vermisse es, mit dir zu spielen.“

35259259_2ddafa91a1.IRWUBPROD_5YL7.jpeg

Kinderbücher zu Trauer und Tod

Stirbt ein geliebter Mensch oder das Haustier, haben Kinder viele Fragen. Wir haben gemeinsam mit der Stiftung Lesen diese zehn einfühlsamen Bücher zum Thema Tod ausgewählt. zum Artikel