Kinderhospiz: „Der Fokus liegt klar auf dem Leben“
Sie sagen, viele Kinder kommen nicht zum Sterben ins Kinderhospiz – sondern machen dort Urlaub! Wie kann man sich das vorstellen?
Claudia Artl: Für unsere Gäste ist es ein bisschen wie Ferienlager. Wir sind viel mit ihnen draußen im Garten oder gehen spazieren. Wir frühstücken immer gemeinsam. Wir feiern jedes Fest, das es zu feiern gibt. Es wird viel gelacht, wir sind ein fröhliches Haus! Bei uns liegt der Fokus ganz klar auf dem Leben und nicht auf dem Sterben. Im Unterschied zum Erwachsenenhospiz nehmen wir auf, sobald ein Kind eine Diagnose hat – und nicht erst in der letzten Lebensphase. Der Krankheitsverlauf kann sich ja über Jahre hinweg hinziehen.
Wer kann zu Ihnen kommen?
Wir nehmen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 27 Jahren auf. Unsere Gäste haben eine lebensverkürzende, fortschreitende Erkrankung. Oft sind sie schwerst mehrfach-beeinträchtigt: etwa nach einem Sauerstoffmangel bei der Geburt, bei genetisch bedingten Krankheiten, Herz- oder Stoffwechselerkrankungen. Oft ist die Erkrankung der Kinder so selten, dass es dafür noch keine Diagnose gibt. Viele Gäste haben ein Krampfleiden, können nicht mehr selbstständig essen oder sich bewegen. Natürlich kommen auch Gäste mit ihrer Familie in der letzten Lebensphase zu uns.
Darf die Familie mitkommen?
Natürlich! Für die Eltern haben wir ein Elternappartement. Wenn die Familie möchte, kann sie auch im Zimmer des erkrankten Kindes übernachten. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass das Kind allein bei uns bleibt und die Eltern sich in der Zeit etwas erholen. 28 Tage im Jahr können Gäste zu uns kommen. Auch für gesunde Geschwisterkinder gibt es Angebote. Im Alltag kann es passieren, dass für sie wenig Zeit bleibt – weil die Eltern durch die Pflege des anderen Kindes so belastet sind.
Wie kann man sich den Alltag im Hospiz vorstellen?
In vielen Fällen übernehmen wir die Pflege. Dann haben die Eltern wirklich Zeit, mit dem Kind im Garten zu sein oder zu kuscheln und müssen den Fokus nicht immer auf Medikamentengabe oder Windelwechsel haben. Für Kinder mit einer schweren Behinderung haben wir viele Angebote: zum Beispiel ein hauseigenes Bewegungsbad. Für viele ist das eine ganz neue Erfahrung! In unserer Arbeit versuchen wir, so gut es geht, die Fähigkeiten der Gäste zu erhalten. Dafür stimulieren wir die unterschiedlichen Wahrnehmungskanäle: Wir arbeiten zum Beispiel viel mit Naturmaterialien oder Düften. Bei uns gibt es Musik- und Kunsttherapie, auch tiergestützte Therapie wird angeboten. Manchmal wollen die Gäste aber auch einfach nur in den Arm genommen werden und kuscheln.
Müssen Eltern etwas beachten, wenn sie ihr Kind alleine im Hospiz lassen möchten?
Wichtig ist, dass es eine Notfallvereinbarung gibt. Es kann sein, dass das Kind stabil ist, während die Eltern im Urlaub sind – und dann bekommt es plötzlich eine Lungenentzündung. Deshalb sollte vorher festgelegt werden, was in dem Fall passiert. Soll das Kind in die Klinik, sollen lebenserhaltende Maßnahmen getroffen werden? Wir zwingen natürlich niemanden – aber es ist gut, wenn sich die Eltern damit auseinandersetzen.
Im Hospiz ist man auch mit dem Tod konfrontiert.
Ja, manche Kinder kommen zum Sterben zu uns. Viele Eltern können es sich nicht vorstellen, dass das Kind in der eigenen Wohnung verstirbt. Wir haben bestimmte Rituale im Haus, an denen man erkennt, dass ein Kind verstorben ist. Zum Beispiel eine große Erinnerungskerze im Gemeinschaftsraum, die dann entzündet wird. So wissen die anderen Eltern im Haus Bescheid und können sich auf die veränderte Situation einstellen.
Wie fangen Sie die Eltern auf, wenn das passiert?
Wenn ein Kind verstirbt, wird es noch einmal gewaschen. Viele sind am Anfang unsicher, aber wir raten dazu und bieten den Eltern an, das gemeinsam mit uns zu tun. Das sind eigentlich immer sehr intime und schöne Momente – das ist das Letzte, was die Eltern aktiv für ihr Kind tun können.
Außerdem bieten wir den Eltern viele Gespräche an, zum Beispiel mit einer Seelsorgerin. Die betroffenen Familien können sich auch untereinander austauschen, zum Beispiel beim "Offenen Familientreff" oder in einer Trauergruppe für Väter und Geschwister.
Es gibt viele Eltern, die auch nach dem Tod ihres Kindes zu Besuch kommen. Als Pflegekräfte können wir mit ihnen noch einmal über die Zeit bei uns sprechen und von schönen Momenten erzählen, die wir mit ihrem Kind gehabt haben. Für Eltern kann das tröstend sein.