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Hape Kerkeling tut es, Clint Eastwood auch, Barbara ­Becker und Lady Gaga sowieso – meditieren. ­Von den Vorteilen der Medita­tion wollen viele von uns profitieren. Umfragen zufolge gibt es allein in Deutschland an die 16 Millionen Menschen, die eine der vielen Formen praktizieren oder damit liebäugeln.

Unterschiedliche Bedeutung je nach Kultur

Auch wenn Medita­tion gerne mal mit Buddhafigur und Klangschale daherkommt, sind die Techniken von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Im Christentum ist zum Beispiel das Gebet eine Form von Meditation. Genauso kann sie völlig frei sein von Religion oder Spiritualität. Was aber Ziel aller Methoden ist: Sie trainieren den Geist, damit wir mit den ­Gedanken mehr bei uns sind, die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt richten. Mit der gewünschten Folge, dass wir entspannter sind, leistungsfähiger, gesünder.

Immer mehr Deutsche fühlen sich gestresst

Für Niko Kohls ist Meditieren so selbstverständlich wie Zähneputzen. Warum wir neben der täglichen Mundhygiene noch die Psychohygiene brauchen? So schützen wir unsere seelische Gesundheit und fühlen uns wohler. Kohls, Professor für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg, weiß, wie wichtig solche Schutzmaßnahmen sind. Er forscht schwerpunktmäßig zu Selbstregulation, Stressbewältigung und Resilienz. Das alles sind Fähigkeiten eines Menschen, schwierige Lebenskrisen besser zu über­stehen.

Dass sich viele Menschen in Deutschland mehr und mehr gestresst fühlen, ist kein Geheimnis. Vielleicht zählen Sie sich selbst dazu? Eine Studie der Techniker Krankenkasse zeigt, dass anhaltender Stress jede dritte Frau und jeden fünften Mann belastet. So weit, so schwierig. Denn Stress kann nachweislich krank machen. Er lässt das Herz schneller schlagen, treibt den Blutdruck in die Höhe. Stress kann Magenprobleme verursachen und unsere Konzentrationsfähigkeit massiv schwächen.

Das Gute: Mit regelmäßiger Meditation ­können Menschen lernen, sich besser auszubalancieren. Und dafür müssen sie nicht stundenlang im Lotussitz die Gedanken auf null bringen. „Wer täglich ein paar Minuten investiert, der gewinnt mehr Lebensqualität, Freude und innere Ruhe“, so Kohls. Es lohne sich auf jeden Fall, das Ganze mal vier Wochen lang auszuprobieren. „Dann schleifen sich neue Gewohnheiten ein und das Hirn baut sich um“, erklärt der Experte.

Kleine Schritte, großer Erfolg

Kohls schwört auf kleine Einheiten im Alltag: „Schon kurze Mini-Meditationen, etwa dreimal hintereinander tief in den Bauch atmen, helfen, dass wir uns besser konzentrieren und mit unseren Gefühlen, Sorgen und dem Stress um uns herum gesünder umgehen.“ Denn im Alltagstrubel vergessen viele, auf die eigenen Emotionen zu achten. Stattdessen ist der Blick in unserer leistungsgetriebenen Gesellschaft konsequent darauf gerichtet, was wir noch alles schaffen wollen und müssen. Wer also dazu neigt, sich schnell aufzuregen, sich zu ärgern oder unangenehm gestresst zu fühlen, der kann durch Meditationstechniken mehr Eigenkontrolle und Achtsamkeit erlangen. Probieren Sie es doch einfach mal aus!

Für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger empfiehlt Kohls eine ­Minute achtsames Atmen. In Präsenz-Kursen oder online gibt es verschiedene Angebote, die den Start erleichtern. Die meisten Menschen schaffen es nach Erfahrung des Wissenschaftlers nur 30 Sekunden, bis die Aufmerksamkeit weggeht und die Gedanken wieder wild kreisen. Doch wir können lernen, unsere Aufmerksamkeit immer wieder herzuholen. Ohne zwingend den Anspruch zu haben, an gar nichts zu denken. Aber zumindest im Augenblick zu bleiben und nicht die nächste Einkaufsliste oder das Fernsehprogramm für den Abend ­gedanklich durchzugehen. Das ist wichtig. Denn so erfassen wir, was wir eigentlich wollen und brauchen. Wir ermöglichen uns innere Ruhe und verhindern neuen, krank machenden Stress.

Ein Ansatz, den auch Susanne Baumgartner an interessierte Patientinnen und Patienten weitergibt. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapeutin und ärztliche Leiterin des Sonnenparks Lans, einer Reha-Einrichtung für psychisch kranke Menschen. Meditation könne nicht die ­Psychotherapie ersetzen, sagt Baumgartner: „Aber sie gibt den Anreiz, unsere ­Gedanken ohne Bewertung kennen- und ­annehmen zu lernen. Diese Form der ­Annahme verändert uns und unsere Sicht auf die Dinge und das Leben.“ Entsprechend habe Meditation auch Einfluss auf unseren Umgang mit anderen Menschen.

Die meisten Menschen, die bei Susanne Baumgartner in Reha sind, können ihre Probleme klar benennen. Sie haben auch Ideen, wie sie ihre Schwierigkeiten überwinden könnten – sei es am Arbeitsplatz, in der ­Beziehung, in der Familie. Nur die Umsetzung fällt trotz allen Wissens schwer. Dabei spielt Angst eine zentrale Rolle. Steht eine mögliche Veränderung an, dann blicken wir Menschen in die Zukunft und zählen uns alle Schwierigkeiten auf, die kommen könnten. Diese Tendenz sei evolutionsbiologisch tief in uns verankert, erklärt Baumgartner und empfiehlt: „Meditation kann helfen, Situationen unvoreingenommen und bewertungsfrei anzugehen. Allein die Übung darin macht uns in vieler Hinsicht frei.“ Wenn wir hingegen Ängsten und Stress freien Lauf lassen, steuern diese unser Leben. „Dann läuft ein sehr krank machender Mechanismus in unserem Körper ab“, so die Psychiaterin.

Stress hat nicht nur Auswirkungen auf unsere Psyche

Stress wirkt sich auf unser Nerven-, ­Hormon- und Immunsystem aus. Er hat Einfluss auf unsere Wahrnehmung, auf Sprache und Denken. Bei chronischer Anspannung werde das Stresshormon Cortisol vermehrt ins Blut ausgeschüttet, so Baumgartner, was dazu führe, „dass unsere ­Zellen schneller altern, weil durch dieses Hormon Reparaturenzyme blockiert werden“. Regelmäßiges Meditieren reduziert Stress und damit auch die Ausschüttung des Cortisols, was wiederum den Alterungsprozess der Zellen verlangsamt.

Achtsamkeitsübungen können einer klinischen Studie aus dem Jahr 2022 zufolge ­dazu beitragen, Angstzustände deutlich zu mindern. Allerdings empfiehlt Baumgartner Menschen mit Angststörungen, sich klarzumachen, dass in der Ruhe, auf die sie sich beim Meditieren einlassen, tief lie­gende Ängste hochkommen können. Angstpatienten seien Menschen, die extreme Kontrolle brauchten und mit Arbeit, Aktivitäten oder Geschäftigkeit ihre Angst stets unter Kontrolle hielten. Bei Personen mit psychotischen Grunderkrankungen rät die Psychiaterin generell vom Meditieren ab.

Welche Meditationstechnik die wirksamste ist, spielt sowohl für Susanne Baumgartner als auch für Niko Kohls eine untergeordnete Rolle. Es gibt Menschen, die kaum still sitzen können. Für sie wäre der Zwang in die totale Ruhe schier unmöglich. Ob also mit Yoga, geführter Meditation, Atemtechniken, im Liegen, sitzend oder beim achtsamen Joggen, ob mit vor sich hin gemurmelten Sätzen oder in kompletter Stille – die geeignete Meditationsmethode kann und darf ­jeder und jede für sich selbst finden.

Wenn Menschen die positiven Effekte ­erleben, werden sie die Praxis ohnehin ausdehnen, so Baumgartner: „Wer die Erfahrung macht, dass er nicht mehr ­eine Marionette seiner eigenen, unsicher machenden Gedanken ist, wird Meditation als befreiend erleben und langfristig in sein Leben integrieren.“ Kohls ergänzt: „Es geht auch nicht darum, sich in Ekstase und Meditationsdauerwettbewerben zu überbieten. Wer mag, kann gerne acht Stunden meditieren. Aber das ist nicht der einzige Schlüssel zum Glück.“ Mini-Einheiten machten mehr Sinn als eine lange Session, die nicht mehr viel mit dem Alltag zu tun hat. Wer etwa vor einem beruflichen Treffen eine Minute in die Stille geht und sich fragt, was gleich wirklich wichtig ist, der wird feststellen, dass die Interaktionen freundlicher werden.

Meditation gebe ihm die Möglichkeit, seine Gedanken zu sammeln, sagt Schauspieler Clint Eastwood. Sie müssen es dem Hollywood-Star nicht gleich nachmachen und ­jeden Tag meditieren. Beginnen Sie mit ­einigen ruhigen Atemzügen. Vielleicht gleich jetzt?

“Die Entspannung kommt erst später“

Meditation ist Übungssache, sagt unser Experte. Haben Sie Geduld
mit sich und probieren Sie verschiedene Techniken aus

Dr. Ulrich Ott ist Psychologe an der Justus-Liebig-Universität Gießen

Dr. Ulrich Ott ist Psychologe an der Justus-Liebig-Universität Gießen

Herr Dr. Ott, warum tut uns Meditation denn so gut?

Ein ganz wichtiger Gesundheitsaspekt ist, dass Meditation unsere Körperwahrnehmung verbessert. Sie bekommen irgendwann besser mit, was in Ihrem Körper ­passiert. Ob Sie Hunger oder Durst haben, müde sind oder vielleicht mal das Fenster aufmachen müssten, um zu lüften. Ganz viele kleine Signale, die unser Körper ­eigentlich ständig sendet, die wir aber oft ignorieren.

Woher weiß ich, welche Technik die richtige für mich ist?

Mein Rat wäre, es einfach auszuprobieren. Denn von der Wissenschaft her sind wir noch nicht so weit, dass wir sagen, füll den Fragebogen hier aus und dann wissen wir, welche Technik für dich optimal ist.

Apropos optimal: Wie löse ich mich von dem Gedanken, alles perfekt machen zu müssen?

Wir sollten nicht damit anfangen, auch noch diesen letzten inneren Winkel unserer Psyche mit Regeln und Disziplin zu kondi­tionieren. Sondern auf spielerische Art schauen, wozu unser Geist in der Lage ist. Eine häufige Frage ist auch, wie oft und lange man meditieren sollte, um diesen oder jenen Effekt zu erzielen. Als ob das ein ­Medikament wäre, das man einnimmt. Deshalb stelle ich mir auch keinen Wecker. Denn woher soll der Wecker wissen, wie lange ich meditieren will? Mit der Zeit ­bekommt man ein Gefühl dafür, wann die Meditation vorbei ist. Es wäre unnatürlich, wenn ich dann noch zwei Minuten warten müsste, bis der Wecker klingelt. Oder ich bin gerade in die Meditation versunken und dann fängt es plötzlich an zu klingeln.

Und wenn mir meine Gedanken keine Ruhe lassen?

Es ist völlig natürlich, dass ständig Gedanken auftauchen. So ist unser Gehirn organisiert. Deshalb sind Geduld und Ausdauer so wichtig. Das ist bei mir nicht anders, obwohl ich schon sehr lange meditiere. Manchmal beschäftigt mich ein Gedanke so sehr, dass ich sage, jetzt ist nicht die Zeit zu meditieren, sondern jetzt muss ich untersuchen, was das eigentlich für ein Thema ist, das mich so beschäftigt.

Meditation ist also nicht immer nur ­Entspannung?

Gerade am Anfang ist Meditation ein ständiges Bemühen, den abschweifenden ­Gedanken zu begegnen. Unser Geist will nicht nur beobachten. Das geht vielleicht ein paar Atemzüge gut und dann kommt ein Einfall, der uns wegträgt. Dann geht es darum, sich in den Atem zurückzuholen. Das gelingt dann wieder ein bisschen, dann driftet man wieder ab. Je länger Sie trainieren, desto länger sind die Phasen, in denen Sie die Aufmerksamkeit halten können. Das ist auch ein Teil von Meditation: dass plötzlich Platz ist für die unerledigten Dinge, die im Hintergrund ablaufen. Die Entspannung selbst ist erst die zweite Phase.

Um Meditation ist ein regelrechter Hype entstanden. Hat dieser Trend auch Schattenseiten?

Ich denke, dass lange Zeit zu positiv über Meditation berichtet wurde. Und dass ­dadurch der Eindruck entstehen konnte, dass es quasi ein Allheilmittel ist, das für jeden gut ist. Und auch bei allen Arten von Krankheiten gute Wirkung bringt – leicht und schnell. Das ist natürlich zu schön, um wahr zu sein. Hinzu kommt, dass gerade im Internet oft die Qualitätssicherung fehlt. Dann kann es passieren, dass Menschen auf sehr fortgeschrittene Meditationen ­stoßen, die ihnen nicht guttun. Deshalb empfehle ich Kurse mit einer Lehrerin oder einem Lehrer, die wissen, was sie tun. Auch in den Kursen der Krankenkassen ist man in der Regel gut aufgehoben.


Quellen:

  • Ott U: Meditation und Wissenschaft . Online: https://www.ulrichott.de/... (Abgerufen am 16.10.2023)
  • Baumgartner S: Zentrum für psychosoziale Gesundheit, Sonnenpark Lans. Homepage: https://www.promente-reha.at/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Kohls N: Mehr Lebensfreude durch Achtsamkeit und Resilienz, Gelassener und stärker durch die richtige Balance. Südwest Verlag: https://www.penguin.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Complementary Medicine Research Volume 26, Issue 6: Meditation in Deutschland, Eine national repräsentative umfrage. Karger: https://karger.com/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Techniker Krankenkasse: "Ent­spann dich, Deutsch­land!" , TK-Stress­studie 2021 . Online: https://www.tk.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Max-Planck-Gesellschaft: Haaranalysen zeigen: Meditation verringert Langzeitstress, Studie. Online: https://www.mpg.de/... (Abgerufen am 15.11.2023)
  • Hoge A, Bui E, Mete M et al.: Mindfulness-Based Stress Reduction vs Escitalopram for the Treatment of Adults With Anxiety Disorders, A Randomized Clinical Trial. Jama Psychiatry: https://jamanetwork.com/... (Abgerufen am 15.11.2023)
  • Statista Global Consumer Survey: So verbreitet sind Meditations-Apps, Digital Health. Online: https://de.statista.com/... (Abgerufen am 15.11.2023)