Logo der Apotheken Umschau

Warum wir länger ausatmen sollten

Wir atmen 12- bis 20-mal pro Minute, ohne uns darüber Gedanken zu machen. Unser Atemzentrum im Hirnstamm steuert das. Aber natürlich können wir den Vorgang auch gezielt beeinflussen: „Die Frequenz ändern, Luft anhalten, die Tiefe variieren oder aktiv ausatmen“, sagt Prof. Dr. Wolfram Windisch, Chefarzt der Lungenklinik der Stadt Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.

Doch was soll längeres Ausatmen bringen? Heike Höfler, die seit Jahrzehnten Atemgymnastik-Kurse anbietet und auch einen Ratgeber zum Thema verfasst hat, sagt: „Viele atmen zu oberflächlich, zu kurz und zu schnell.“ Je vollständiger wir verbrauchte Luft ausatmen, umso mehr frischer Sauerstoff kann nachströmen. Längeres Ausatmen vermittelt dem vegetativen Nervensystem, dass alles in Ordnung ist. Das entlastet das Herz und senkt den Blutdruck.

Bauchatmung bewusst nutzen

Viele Menschen in Heike Höflers Kursen wissen nicht, was die Bauchatmung sein soll: „Sie benutzen ihr Zwerchfell kaum noch zum Atmen, obwohl das der wichtigste Atemmuskel ist.“ Das Zwerchfell aber sollte wie jeder Muskel trainiert werden. Vor allem beim Sitzen oder unter Stress und Anspannung werde der Bauch eingezwängt.

Prüfen Sie mal selbst: Atmen Sie eher in den Brustkorb als in den Bauch? Geht Letzteres im Stehen vielleicht sogar leichter?

Die Bauchatmung erweitert das Atemvolumen und kann über das vegetative Nervensystem zu einer besseren Entspannung verhelfen. Außerdem, so Heike Höfler, würden bestimmte Bereiche der Lunge ohne Bauchatmung gar nicht mehr richtig belüftet werden: „Fehlende Ausdehnung kann den Brustkorb unbeweglich machen.“ Eine bewusste und ruhige Atmung in den Bauch und in die Flanken kann dagegen sogar Rückenverspannungen lösen.

Atemübungen gegen Schlafprobleme

Ein Drittel der Berufstätigen in Deutschland hat Schlafprobleme. Atemübungen helfen dabei, loszulassen, denn sie aktivieren den Parasympathikus – den Teil des Nervensystems, der uns zur Ruhe bringt.

Ein Klassiker gegen Einschlafstörungen ist die Box-Atmung nach dem Muster von Einatmen/Pause und Ausatmen/Pause. Dabei während des Einatmens und der Pausen bis vier zählen, während des Ausatmens bis sechs. Dann wieder von vorn beginnen. Heike Höfler rät, wichtig seien vor allem das längere Ausatmen und der Fokus auf Bauchatmung. So stelle sich nach kurzer Zeit tiefe Entspannung ein.

Nasenatmung der Mundatmung vorziehen

Aktuell ein großes Hype-Thema, finden Wolfram Windisch und Heike Höfler viel Gutes daran. „Die Nase befeuchtet die Luft, wärmt und filtert sie“, sagt Windisch. Das beuge Infekten vor. Höfler bestätigt: „Die Nasenatmung ist klar der Mundatmung vorzuziehen, sie fordert die Atemmuskeln mehr.“ Sich jedoch den Mund während der Nacht zuzukleben, wie es Promis über soziale Netzwerke verbreiten, hat hingegen keine ­wissenschaftlich belegten positiven Effekte.

So kann die richtige Atemtechnik bei Krankheit helfen

Bei Asthma oder COPD, der chronisch obstruk­tiven Lungenerkrankung, ist das Ausatmen erschwert. „Die meisten Menschen haben aber nicht wegen des Sauerstoffmangels Luftnot, sondern aufgrund einer gestörten Atemmechanik“, erklärt Wolfram Windisch. „Bei COPD ist die Lunge überbläht und drängt das Zwerchfell nach unten.“ Das behindere die Atmung.

Wichtig sei, verordnete Medikamente konsequent zu inhalieren und sich eine richtige Atemtechnik dafür anzueignen. „Viele inhalieren falsch“, sagt er und empfiehlt, die Youtube-Anleitungen der Deutschen Atemwegsliga anzuschauen sowie bei Arzt oder Ärztin nachzufragen, ob eine Atemphysiotherapie infrage kommt.

Mit guter Atemtechnik gegen Long Covid

Schätzungsweise 6 bis 15 Prozent der Corona-­Infizierten trifft Long Covid. Kurzatmigkeit und Husten können noch Monate nach einer Infektion anhalten. „Neue Studien zeigen, dass wahrscheinlich ein Befall der Atemmuskulatur zugrunde liegt“, sagt Wolfram Windisch. „Das erklärt, warum Lunge und Herz bei Betroffenen gut funktionieren, die Atmung aber eingeschränkt ist.“

Gut, dass sich die Atemmuskeln trainieren lassen wie der Bizeps. „Ein Ansatz ist“, so Windisch, „mithilfe von speziellen Geräten eine Art Krafttraining für die Atemmuskulatur zu absolvieren.“ Dies müsse jedoch noch weiter wissenschaftlich untersucht werden.

Sport steigert die Sauerstoffaufnahme

Sportler atmen meist ökonomischer. Schon zwei Wochen mit viel Sport können die maximale Sauerstoffaufnahme um 15 bis 25 Prozent ansteigen lassen. Langfristig wächst durch regelmäßiges Training das Lungenvolumen und die Atemfrequenz sinkt. Das bedeutet, dass fitte Menschen seltener einatmen müssen als Untrainierte, um dieselbe Menge Sauerstoff aufzunehmen. Weil der Effekt des Trainings so groß ist, raten Fachleute selbst Lungenerkrankten zu für sie geeignegem Sport.

Drei Übungen: Die Lunge mal wieder durchlüften

1. Besser Schlafen

Rückenlage, die Beine aufgestellt, ein gerolltes Handtuch quer über dem Bauch gespannt. Der Atem fließt Richtung Handtuch, länger aus als ein. Hebt und senkt sich das Tuch?

2. Dehnungsatmung

Linke Hand auf die Rippen legen, rechten Arm über den Kopf nach nach links strecken. Beim Einatmen vorstellen, wie die rechten Rippen auseinanderfächern. Seite wechseln.

3. Zwerchfell-Massage

Wieder Rückenlage. Unterhalb des Brustbeins ist das Zwerchfell befestigt. Greifen Sie unter die Rippen und spüren Sie, wie die Finger beim Einatmen hochgedrückt werden.

Die Fachgesellschaft der European Respiratory Society empfiehlt etwa fünfmal 30 Minuten Training pro Woche. Atemexpertin Höfler rät ebenfalls: „Bei körperlicher Aktivität lastet man die Lunge einfach mehr aus.“ Und diese passe sich den höheren Anforderungen an. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass alle Trainierten ökonomischer atmen. „Auch viele Leistungssportlerinnen und -sportler könnten ihre Bauchatmung durchaus noch verbessern“, sagt Heike Höfler.

Tiefe Atmung hilft ­gegen Angst und Stress

Sind wir gestresst, begibt sich der Körper in den Flucht- und Kampfmodus: Das Herz klopft schneller, Muskeln spannen sich an, Blutdruck und Atemfrequenz steigen. Den Puls können wir nicht beeinflussen, wohl aber die Atmung – und so dem Körper vorgaukeln, dass gar kein Anlass für Stress besteht. „Beim Meditieren spürt man, wie eine bewusste Steuerung der Atmung Körper und Geist beruhigt“, sagt Lungenspezialist Wolfram Windisch. „Schon die alten Griechen sahen eine Verbindung zwischen Atmung und Seele.“

Der aus dem Altgriechischen stammende Fachbegriff „Phrenicus“ für den Zwerchfellnerv bedeutet zugleich „Herz“, „Geist“, „Sinn“, „Seele“, „Verstand“. Allerdings gibt Windisch zu bedenken, dass es besser wäre, auch den Stress zu reduzieren: „Die Atmung passt sich immer der Situation an. Wir sollten sie daher als Barometer sehen und bei Stressatmung die Umstände verändern.“

Wie bewahrt man Ruhe, wenn es doch mal hektisch wird? Atemexpertin Heike Höfler rät zu einer bewussten, tiefen Bauchatmung. Mit ihr beruhigen sich Kopf und Körper in kurzer Zeit.