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Was ist das Hochstapler-Syndrom?

Menschen, die am sogenannten Hochstapler- oder Impostor-Syndrom leiden, halten sich selbst für Betrüger (engl. „impostor“). Obwohl sie im Beruf, der Schule, Ausbildung oder im Studium sehr erfolgreich sind, haben sie das Gefühl, den Erfolg nicht verdient zu haben. Sie führen ihn nicht auf eigene Fähigkeiten oder Fleiß zurück – sondern auf Glück und Zufall. Und schlimmer: Weil sie das tun, glauben sie, ihr Umfeld zu täuschen. Sie haben Angst, die anderen könnten das bemerken und sie enttarnen.

Denn obwohl die guten Leistungen objektiv messbar sind oder das Umfeld die Betroffenen als kompetent wahrnimmt: Die Selbstzweifel bleiben groß. Immer steht die Angst im Raum, nicht so gut, so klug, so leistungsfähig zu sein, wie alle denken. „Hochstapler-Gefühle haben die meisten Leute irgendwann einmal“, sagt Dr. Monika Klinkhammer. Sie ist Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin und arbeitet als Coach mit Betroffenen.

Viele Menschen erleben in bestimmten Lebenssituationen Hochstapler-Gefühle – etwa nach Beförderungen. Das ist meist unproblematisch und geht schnell vorüber. Wenn sie jedoch anhalten oder intensiver werden und im Alltag belasten, besteht Handlungsbedarf. Denn dann könnte man vom Impostor-Syndrom betroffen sein.

Verschiedene Bezeichnungen

Im deutschen Sprachraum ist neben dem englisch gefärbten ‚Impostor-Syndrom‘ ebenso vom Hochstapler-Syndrom die Rede. Manchmal spricht man auch vom Impostor-Phänomen oder vom Impostor-Selbstkonzept. Damit ist dasselbe gemeint. Das Wort ‚Impostor-Selbstkonzept‘ etwa soll ausdrücken, dass es sich weniger um eine Krankheit handelt — sondern eher um eine Art der Selbstbetrachtung.

Wie entsteht das Impostor-Syndrom?

Man geht davon aus, dass einige Persönlichkeitsmerkmale das Impostor-Syndrom fördern. Etwa ein hoher Perfektionismus und ein geringes Selbstwertgefühl. Einen großen Einfluss hat wahrscheinlich auch das familiäre Umfeld. Leute mit dem Impostor-Syndrom wachsen oft in Familien auf, in denen man gefühlt vor allem für Leistungen geliebt wird. Typisch ist auch, dass einem Kind vermittelt wird, das soziale oder einfühlsame Kind der Familie zu sein, während eines als „das kluge Kind“ gilt. Selbst wenn das „soziale Kind“ zeigt, dass es genauso klug oder sogar klüger als sein Geschwister ist, wird das vielleicht nicht anerkannt: Die alte Rollenzuschreibung bleibt. Solche Rollen können sich dann im Laufe des Lebens verfestigen.

Wer ist besonders häufig vom Hochstapler-Syndrom betroffen?

Die erste wissenschaftliche Untersuchung zu dem Phänomen fand 1978 statt. Dort fiel zwei US-amerikanischen Psychologinnen auf, dass erfolgreiche Frauen an übertriebenen Selbstzweifeln leiden. Heute weiß man: Prinzipiell betrifft es alle Geschlechter in allen Berufsgruppen. „Laut den meisten Umfragen sind aber Frauen in Aufstiegssituationen häufiger als Männer betroffen“, sagt Klinkhammer. Ganz sicher wisse man das jedoch nicht.

In bestimmten Berufsfeldern, etwa in der Wissenschaft und im medizinischen Bereich, tritt das Impostor-Syndrom öfter auf. Eine Studie mit Assistenzärzten und Assistenzärztinnen in den USA ergab: Drei Viertel der Befragten waren deutlich oder schwer vom Impostor-Syndrom betroffen.

Auch ethnische Minderheiten in einem Bereich leiden wahrscheinlich häufiger an den Hochstapler-Gefühlen.

Impostor-Syndrom: Bin ich betroffen?

Haben Sie auch das Gefühl, ihr Umfeld zu täuschen und häufig Angst davor, aufzufliegen? Ob Sie vom Impostor-Syndrom betroffen sind, können Sie selbst mit folgenden Tests abschätzen:

Wenn Sie sich unsicher sind oder weitere Probleme haben, sprechen Sie am besten mit einer Ärztin oder einem Arzt. Manchmal gibt es auch niederschwellige Angebote, etwa psychologische Beratungen an Unis.

Sollte ich mein Impostor-Syndrom therapieren lassen?

Wer am Impostor-Syndrom leidet, empfindet das oft als große Belastung. Die Angst, zu versagen und entlarvt zu werden, stellt einen ständigen psychischen Druck dar. Das kann unter anderem zu Burnout, Depressionen und Ängsten führen.

Das Hochstapler-Syndrom ist aber keine anerkannte psychische Erkrankung. Es gibt auch keine festgelegten Kriterien, anhand derer es von einer Ärztin oder einem Arzt diagnostiziert werden könnte. Eine Psychotherapie ist in extremen Fällen trotzdem ratsam. Wer stark am Impostor-Syndrom leidet, sodass die Lebensqualität nachhaltig eingeschränkt ist, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Vor allem dann, wenn psychische Erkrankungen wie Depressionen hinzukommen.Erkundigen Sie sich vorab bei Ihrer Krankenkasse, unter welchen Bedingungen und ob sie zumindest einen Teil der Kosten übernimmt.

Oft sind die Hochstapler-Gefühle aber nicht so stark ausgeprägt, dass sie zu schweren psychischen Leiden führen. Dann kann man selbst daran arbeiten. Einige Tipps dazu gibt es gleich weiter unten im Artikel.

Was kann man gegen die Ängste machen?

„Das Wichtigste ist, sich dieser Hochstapler-Gefühle bewusst zu werden“, sagt Coach Klinkhammer. Dann gebe es einige Strategien, um dagegen vorzugehen. Man müsse den Schritt gehen: Das Gefühl entspricht nicht der Realität.

Um das zu schaffen, könne man zum Beispiel ein Erfolgstagebuch führen. Darin notiert man gute (Arbeits-)Zeugnisse, eine gut gemeisterte Aufgabe, Lob von Kollegen und Kolleginnen. Das macht klar: Die können sich nicht alle geirrt haben. Oder man macht sich bewusst, dass selbst das Worst-Case-Szenario keine Katastrophe ist. Denn nur, weil man eine Aufgabe mal schlechter erledigt, ist man deshalb noch kein Hochstapler.

Es kann auch helfen, sich Vorbilder zu suchen, die zu ihren beruflich schwierigen Momenten stehen. Das zeigt, dass jeder Stärken und Schwächen hat. „Niemand ist perfekt. Wer sich ständig mit besonders erfolgreichen Menschen vergleicht, vergisst das manchmal“, sagt Klinkhammer. Letztlich müsse man lernen, wie man in Zukunft gut mit belastenden Erlebnissen umgehen kann. Häufig kommen die Hochstapler-Gefühle in bestimmten Situationen vor. Etwa in Meetings oder bei Präsentationen. „Wenn ich das weiß, kann ich trainieren, in und nach solchen Situationen lockerer zu bleiben“, erklärt Klinkhammer.

Wenn man das nicht alleine schafft, helfen vielleicht Coachings – manchmal werden diese sogar vom Arbeitgeber angeboten.


Quellen:

  • Bravata D, Watts S, Keefer A et al.: Prevalence, Predictors, and Treatment of Impostor Syndrome: a Systematic Review. Journal of General Internal Medicine: https://www.springermedizin.de/... (Abgerufen am 25.10.2023)
  • Fleischhauer M, Wossidlo J, Michael L et al.: The Impostor Phenomenon: Toward a Better Understanding of the Nomological Network and Gender Differences . Frontiers in Psychology: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 25.10.2023)
  • Shanafelt T, Dyrbye L, Sinsky C et al.: Imposter Phenomenon in US Physicians Relative to the US Working Population. Mayo Clinic Proceedings: https://www.mayoclinicproceedings.org/... (Abgerufen am 25.10.2023)
  • Huecker M, Shreffler J, McKeny P et al.: Imposter Phenomenon. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 25.10.2023)
  • Klinkhammer M, Saul-Soprun G: Das „Hochstaplersyndrom“ in der Wissenschaft. Organisationsberatung, Supervision, Coaching: https://www.monikaklinkhammer.de/... (Abgerufen am 25.10.2023)
  • Bhama A, Ritz E, Anand R et al.: Imposter Syndrome in Surgical Trainees: Clance Imposter Phenomenon Scale Assessment in General Surgery Residents . J Am Coll Surg.: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 30.10.2023)