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Dem Nachbarn im Garten helfen? Klar, dann fällt Sport heute eben aus. Bis zum Ende der Woche die Aufgabe der kranken Kollegin übernehmen? Natürlich, dann wird eben am späten Abend zu Hause sauber gemacht. Dem Freund das Auto leihen? Sicher, dann geht es mit dem Bus eben eine Stunde früher los zum eigenen Termin. Äh …

Stopp! Wenn alle Zusagen so unbequem werden, sollte man doch eigentlich auch mal ablehnen – oder etwa nicht?! Die meisten halten es auch so. Aber für eine besondere Gruppe Menschen ist NEIN sagen alles andere als einfach. Die Rede ist von sogenannten People Pleasern. Die Bezeichnung stammt aus dem Englischen: ‚People‘ heißt Menschen und ‚to please‘ bedeutet gefallen.

Was ist ein People Pleaser?

„People Pleaser sind Menschen, die das Wohlbefinden anderer über ihr eigenes stellen. Sie wollen niemanden verstimmen“, erklärt Psychologin Dr. Ulrike Bossmann, die ein Buch zu dem Thema geschrieben hat und Betroffene in ihrer täglichen Arbeit berät. Vorneweg: Grundsätzlich sind Hilfsbereitschaft, Verträglichkeit und Empathie tolle Eigenschaften, die wichtig für unser Zusammenleben sind. Aber wenn man nur für sein Umfeld lebt, kann das schon zum Problem werden. Eine Krankheit mit festen Kriterien mag People Pleasing nicht sein. Dennoch gibt es typische Merkmale des Phänomens, die belastend sind und Energie rauben.

People Pleasing geht weit darüber hinaus, anderen jede Bitte zu gewähren. Manche Menschen haben Schwierigkeiten, in Diskussionen ihre Meinung zu äußern und erst recht, für ihre Ansichten und Werte einzustehen. Nach Treffen, Gesprächen oder einer Feier gehen sie die Situation gedanklich immer wieder durch und sind besorgt, komisch rübergekommen zu sein oder andere verärgert zu haben. Wenn sie hingegen etwas für sich selbst machen, plagt sie im Anschluss das schlechte Gewissen. Schließlich hätten sie ihre Zeit vielleicht sinnvoller für Familie, Arbeit oder Freunde nutzen können.

Bin ich ein People Pleaser/ eine People Pleaserin?

Wenn Sie meist mit Ja antworten, ist die Sache klar.

• Sie können schlecht nein sagen und sich schwer abgrenzen?

• Sie gehen Konflikten lieber aus dem Weg?

• Sie machen sich permanent Sorgen, was andere von Ihnen denken?

• Sie haben ein schlechtes Gewissen, wenn Sie mal etwas für sich selbst tun?

• Sie neigen zum Perfektionismus, um keine Angriffsfläche für Kritik zu bieten?

Was bedeutet People Pleasing für die Gesundheit?

Was immer People Pleaser anpacken, sei es privat oder im Job, tun sie mit hohem Anspruch an sich selbst und neigen zum Perfektionismus. Sie wollen so gute Ergebnisse abliefern, dass sie erst gar keine Angriffsfläche für Kritik bieten und alle zufrieden sind. Je länger dieses Gefallenwollen andauert, desto mehr verlieren sie sich selbst aus dem Blick. Nur logisch, dass ein solches Verhalten Stress bedeutet. „Seine Gefühle unterdrücken, Aufgaben übernehmen, ohne auf die eigenen zeitlichen und energetischen Ressourcen zu achten, erschöpft einfach“, macht Psychologin Bossmann klar. Dadurch steige das Risiko für Burn-out, Depressionen und Angsterkrankungen.

Permanenter Stress könne auch zu Lasten der Herz-Kreislauf-Gesundheit gehen. Wer anderen keine Umstände machen wolle, kümmere sich oft zu wenig um das eigene körperliche Wohlergehen. Das sei eine große Gefahr in Hinblick auf die medizinische Versorgung bei Notfällen. Bossmann liefert ein typisches Beispiel: Insbesondere bei ältere Frauen, bei denen erste Symptome eines Schlaganfalls auftreten, komme es vor, dass sie erst nach Hause gingen. Dort versicherten sie sich bei anderen rück, ob sie tatsächlich medizinische Hilfe in Anspruch nehmen sollen oder nicht. Weil sie anderen nicht zur Last fallen wollen, verstreicht wertvolle Zeit bis mit einer Therapie begonnen werden kann. Vergleichbare Ergebnisse gibt es für die Behandlung von Herzinfarkten.

Was bewirkt People Pleasing in Beziehungen?

Auch auf Liebe und Partnerschaft kann People Pleasing Einfluss haben. Eine Beziehung mag harmonisch erscheinen. Aber im Laufe der Zeit zeigt sich, dass die Harmonie nur besteht, weil er oder sie die persönlichen Bedürfnisse zurückhält. Diese Erfahrung macht Psycho- und Paartherapeutin Ramona Zenger aus Zürich häufig. „People Pleaser neigen dazu, sich eine Partnerin oder einen Partner zu suchen, der eher dominant ist. Das verstärkt das Ungleichgewicht in der Beziehung.“ Die Folge: Unzufriedenheit und Frust. Erfreulicherweise gelinge es vielen Betroffenen mit der Zeit, mehr für sich einzustehen, berichtet Zenger aus ihrem Praxisalltag. Das sorge teils für Zündstoff beim Paar, mal auch für eine Trennung. Im Idealfall hebt es die Partnerschaft aber auf eine neue, gleichberechtigtere Ebene.

Was sind die Ursachen für das People Pleasing?

Warum setzen sich Menschen überhaupt dem ganzen Stress aus, es allen recht machen zu wollen? Dafür gibt es viele Faktoren, die zur Entstehung von People-Pleasing-Tendenzen beitragen. Erlebnisse in der Kindheit sind erfahrungsgemäß besonders bedeutsam. „Eine Emotion, die eine große Rolle spielt, ist Scham“, erklärt Bossmann. Ein Beispiel könnte sein, dass man als Kind ständig für sein Wesen oder seine Interessen abgewertet worden ist – wie bei übersprudelnder Freude ermahnt zu werden, nicht immer zu laut und wild zu sein. Psychologin Bossmann: „Wer wiederholt beschämt wird, bekommt das Gefühl ,Ich bin als Mensch falsch‘.“ So jemand werde sehr sensibel für die Reaktionen aus dem Umfeld, passe sich lieber an und verberge immer mehr von sich selbst.

Wer wiederholt beschämt wird, bekommt das Gefühl ,Ich bin als Mensch falsch‘.

Betroffen sind laut Bossmann deutlich mehr Frauen als Männer. Das hängt auch damit zusammen, wie wir großwerden. So werde Mädchen nach wie vor eher beigebracht, nachgiebig zu sein oder die Rolle der Kümmerin zu übernehmen als Jungen. Auch die sogenannte Parentifizierung kann zum People Pleasing führen. Mit dem Begriff ist eine Rollenumkehr gemeint: Kinder übernehmen dann emotionale Aufgaben ihrer Eltern. Zum Beispiel werden sie verantwortlich gemacht für die Gefühle von Mutter oder Vater oder die Atmosphäre in der Familie. Statt zu spielen trösten sie nach einem Streit der Eltern Mama oder Papa, bleiben zu Hause, obwohl die Familie nichts gemeinsam unternimmt. Sie passen ihr Verhalten so an, dass die Situation nicht eskaliert.

Was hilft gegen das People Pleasing?

Wie kommt man aus dem People Pleasing bloß wieder raus? Ulrike Bossmann empfiehlt, sich zwei Wochen zu beobachten: In welchen Situationen neige ich zum People Pleasing? Was davon nervt mich? Hat man das herausgefunden, fängt man am besten klein an. „People Pleaser gehen ohnehin schon so hart mit sich ins Gericht, sie dürfen es sich leicht machen.“

Bossmann rät, zunächst einen Tag in der Woche einzuführen, an dem man bewusst kein People Pleaser ist. Betroffene müssten nicht von heute auf morgen alles ändern. Anfangen könnte man so: Zunächst am Ende eines Tages überlegen, wo man heute übermäßig gefällig war. Im zweiten Schritt gedanklich dann nochmal in die Situation gehen und sich überlegen, was man anders machen würde – und das auch konkret formulieren. Wer solche Trockenübungen öfter wiederholt, tut sich im Ernstfall leichter, für sich einzustehen.

Für People Pleaser ist es wichtig, durch solche Nicht-People-Pleasing-Tage zu erkennen, dass keine Katastrophe passiert, wenn man Kritik äußert oder nein sagt. Es sei menschlich, andere Menschen mal zu verärgern oder zu enttäuschen, betont Psychologin Bossmann. „Man ist deshalb kein schlechter Mensch und gute Beziehungen halten das aus.“

Darüber hinaus sei es für People Pleaser wichtig, ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse zurückzuerlangen. Hier könne man sich in jeder Situation, in der man zum People Pleasing neigt, überlegen: Was gewinne ich, wenn ich ablehne oder widerspreche? Das kann die Zeit sein, ein Buch zu lesen oder aber auch respektiert zu werden. Außerdem rät Bossmann, sich über zwei Wochen dreimal täglich einen Wecker zu stellen, kurz innezuhalten und zu überlegen: Wie geht es mir gerade? Was bräuchte ich gerade? Hilfreich ist dabei auch die Frage „Worauf hätte ich Lust, wenn ich jetzt machen könnte, was ich möchte?“