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Der Abend hätte so nett sein können: Nadine und Klaus waren gerade vom Wandern im Allgäu zurück, Thomas und Berrit aus dem Strandurlaub an der Nordsee. Aber Jan schwärmte nur von seinem Segeltörn durch die Ägäis, von weißen Dörfern, Ankern in felsigen Buchten, leckeren Fischtellern. Nadines Anekdote von einer Begegnung mit einer verirrten Kuh unterbrach er, um von springenden Delfinen zu berichten, und als die anderen sich neugierig über Berrits mitgebrachte Bernsteinfunde beugten, platzte er mit seiner Geschichte über seine eigene Wattwanderung vor Jahren heraus. „War ein richtig schöner Abend“, freute er sich beim Abschied. Die anderen lächelten müde.

Mehrheit hält sich für gute Zuhörer

Irgendeinen Jan kennt jeder. Einen, der ständig unterbricht, lieber redet als reden zu lassen. Hat unsere Gesellschaft das Zuhören verlernt? „In unserer schnelllebigen Zeit geht es viel um Selbstdarstellung, darum, möglichst laut zu trommeln“, erklärt die Berliner Rhetorik- und Kommunikationstrainerin Beatrix Schwarzbach. „Und die sozialen Medien befeuern diesen Trend auch noch.“ Ausrufezeichen hinter den eigenen Sätzen statt interessierter Fragen ans Gegenüber. Dabei halten sich Umfragen zufolge 82 Prozent der Erwachsenen für gute Zuhörer.

Wie Sie Menschen stoppen, die sehr viel reden

Die meisten Menschen merken nicht einmal, wenn sie anderen ins Wort fallen. Außerdem: zuhören zu können bedeutet, aufmerksam zu sein. Und das sind die ständigen Wortführerinnen und Wortführer nicht. Wichtig ist zu verstehen, mit welchen Signalen man andere ermutigt, einem das Wort zu klauen.

„Viele Menschen, die immer wieder unterbrochen werden, nehmen sich im Gespräch eher zurück, bleiben passiver, sitzen vielleicht sogar zurückgelehnt – so dass die redende Person großen Raum einnimmt“, erklärt Schwarzbach. „Stattdessen muss man mehr Energie zeigen als der andere. Als erstes sollte man sich selbst nach vorne lehnen und aufrichten – sich ebenfalls Raum nehmen und dadurch Anschubenergie durch den Körper erzeugen.“ Auch das ist Kommunikation. Und oft sogar wirkungsvoller als Worte.

Alleinunterhalter wie Jan stoppt man außerdem, indem man alle bestärkenden Signale einstellt: „Nicht nicken, nicht lächeln“, rät Schwarzbach. „Das verunsichert Vielredner, und sie machen eher mal eine Pause.“ Gute Gelegenheiten, sich Gehör zu verschaffen, sind der Moment direkt vor dem Ende eines Satzes, kurze Pausen oder ein abgeschlossener Gedanke. Dann hörbar einatmen und mit dem Ausatmen zu sprechen beginnen.

Ein Trick, damit Vielredner kürzer sprechen

Nicht jede Wortabschneiderin, nicht jeder Wortabschneider übrigens ist ein Selbstdarsteller, der sein Gegenüber zum Claquer degradiert. Manche Menschen bemerken ihre beschränkte Gesprächsbereitschaft tatsächlich nicht: Da freut man sich, nach Jahren wieder eine alte Bekannte zufällig auf dem Markt zu treffen, geht mit ihr spontan einen Kaffee trinken – und wird von ihr mit Erzählungen aus ihrem Alltag überhäuft. Versuche, selbst ein bisschen zu berichten, wie es einem ergangen ist, gehen gnadenlos unter.

Die beste Gegenwehr: gedanklich vorbereiten, was man unbedingt erzählen möchte – das, sagt Schwarzbach, steigert die innere Energie. Dann das Problem offen ansprechen, etwa so: „Wir haben jetzt noch eine halbe Stunde, ich fand sehr interessant, was du mir erzählt hast, ich habe dir auch lange zugehört, und jetzt ist es mir total wichtig, dir auch etwas zu erzählen.“ Unwahrscheinlich, dass sich das Gegenüber da noch zu unterbrechen traut.

Einen Extra-Trick, um den Wortschwall von Leuten einzudämmen, hat das Max-Planck-Institut für Psycholinguistik 2019 in einer Studie herausgefunden: Blinzeln. Offenbar bewirken Lidschläge des Zuhörers, dass Leute kürzer sprechen. Sie signalisieren: Die Info reicht mir, ich habe verstanden.

Wann man Vielredner unterbrechen muss

Manchmal sind es enge Freunde oder gar der Partner, die uns unterbrechen. Dahinter steckt oft das „Closeness-communication bias“ – eine Art Missverständnis aus nächster Nähe. Jemand, der uns gut kennt, meint zu wissen, was man sagen will. Vervollständigt deshalb ungebeten die Sätze des anderen, würgt ihn ab, kommentiert: Ich weiß schon, was kommt. Gerade, wenn einem die andere Person wichtig ist, muss man sich dagegen wehren. Mit klaren Worten.

Es sind oft Menschen mit ausgeprägt narzisstischen Zügen, die sich gerne reden hören und die Beiträge ihres Gegenübers allenfalls als Quelle für Stichworte schätzen, an die sie eigene Erzählungen anknüpfen. Mit bloßer Veränderung der Körpersprache richtet man bei solchen Charakteren wenig aus, weiß der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger.

Eine typische Situation: Das Familientreffen, bei dem Onkel Karl stundenlang begeistert von seinem Oldtimerhobby schwadroniert oder Tante Helga allen Anwesenden ohne Punkt und Komma alle Pflänzchen ihres Gemüsegartens erklärt. Ein Job für den Gastgeber – das Gespräch moderieren: „Das ist toll, dass du soviel Freude an deinem Hobby hast, aber jetzt wüsste ich gerne mal von Sonja, wie ihr Urlaub war!“

Auch sonst kann es mal angesagt sein, Menschen selbst zu unterbrechen: wenn die Umstehenden sichtbar genervt sind, wenn jemand menschenfeindliche Dinge äußert oder ungestützte Behauptungen. Oder um einer Person, die rüde unterbrochen wurde, zurück ins Gespräch zu verhelfen.

Manchmal hilft nur die Flucht vor dem Dauerredner

Schwieriger ist es allerdings, wenn man einem Dauerredner alleine ausgeliefert ist, auf einer Party etwa: „Da hilft oft die Intervention des Absurden“, empfiehlt Psychotherapeut Krüger. „Ein Satz wie: Heute hat es noch gar nicht geregnet. Oder fragen: Bist du glücklich?“ Das verunsichert den Dauerredner, stoppt ihn häufig. Aber: „Ein quasselnder Narzisst hat kein Interesse an dem, was man selbst erzählen möchte“, warnt Krüger. „Da hilft nur die Flucht: Vorgeben, dass man mal aufs Örtchen muss oder sich unbedingt etwas vom Buffet holen möchte – und sich aus der Situation stehlen.“

Rund ums Unterbrechen greift übrigens die Geschlechterfrage: „Frauen haben meist erheblich mehr Sozialkompetenz und wenn sie fragen, wie es einem geht, wollen sie es wirklich wissen. Männer geben dagegen schnell Ratschläge und erklären einem die Welt“, sagt Krüger. Vor allem Frauen gegenüber geben sie gerne die gönnerhaften Besserwisser.

Ein quasselnder Narzisst hat kein Interesse an dem, was man selbst erzählen möchte.

Das Phänomen ist von Studien aus Harvard, Princeton und der Universities of California und Southern California untermauert und hat sogar einen Namen: Manterrupting – von den englischen Worten für „Mann“ und „unterbrechen“. Nur eine unangenehme Eigenschaft? Manchmal steckt auch eine Machtdemonstration dahinter, denn der Zuhörer steht in der wahrgenommenen Hierarchie unter dem, der redet: Kinder hören Eltern zu, Mitarbeiter ihrem Chef.

Psychotherapeut Krüger machte sich einmal im Biergarten den Spaß, verschiedene Paarungen zu beobachten und stoppte mit seiner Uhr dabei einen Wortschwall von satten 15 Minuten, in denen ein Mann seine Begleiterin einfach nicht mehr zu Wort kommen ließ. „Da gibt es nur eines: aufstehen und gehen“, rät Krüger.

Wie sich Dauerjammerer bremsen lassen

Es gibt allerdings auch Zeitgenossen, die keine Bühne brauchen, sondern einfach nur ein offenes Ohr für ihre Probleme, ihre Situation. Die aus jedem Nicken, jedem mitfühlenden „Ach je!“ ihres Gegenübers eine Bestätigung dafür ziehen, dass sie mit ihrer Sicht der Dinge doch recht haben und sofort mit ihren Gedanken dazu fortfahren und jeden Versuch einer ernsthaften Auseinandersetzung in ihrem Redefluss ertränken. „Auf Bahnfahrten oder im Restaurant ist man ihnen oft gnadenlos ausgeliefert“, sagt Krüger.

Ein kleiner Trick, um Dauerjammerer aus dem Konzept zu bringen: in Opposition gehen, mit den Worten „Da kann man nichts machen“, abblocken. Mitgefühl zeigen? Bloß nicht. Auch hier gilt: Nicken, Lächeln, verständnisvolle Gesten oder Zwischenbemerkungen feuern sie nur an. „Wenn ein Freund oder eine Freundin sich ihren Kummer von der Seele reden möchte, ist das natürlich etwas anderes“, sagt Krüger. „Aber grundsätzlich gilt: Ein Gespräch darf nicht zum Monolog werden.“

Und wenn man sofort unterbrochen wird, wenn man in einer Kontroverse seine Meinung sagt? Tatsächlich wird Studien zufolge in einem Menschen mit fester Überzeugung ein Angstreflex aktiviert, wenn er mit der Gegenmeinung konfrontiert wird, Angst wiederum blockiert Hinterfragen und Nachdenken – und damit jede Gesprächskultur. Die Verunsicherung durch Krieg und Corona, sind Experten überzeugt, hat das Phänomen noch verstärkt.

„Die meisten Menschen wollen immer lernen, wie man redet“, wundert sich Schwarzbach immer wieder. „Dabei ist gerade die Fähigkeit, zuhören zu können, so wertvoll.“


Quellen:

  • Statista: Sind Sie stets ein guter Zuhörer, gleichgültig, wer Ihr Gesprächspartner ist?. https://de.statista.com/... (Abgerufen am 15.01.2024)
  • Hömke P et al.: Eye blinks are perceived as communicative signals in human face-to-face interaction. https://pure.mpg.de/... (Abgerufen am 15.01.2024)
  • Hancock A, Rubin BA: Influence of Communication Partner's Gender on Language. https://www.deepdyve.com/... (Abgerufen am 15.01.2024)
  • Savitsky K et al.: The closeness-communication bias: Increased egocentrism among friends versus strangers. https://www.sciencedirect.com/... (Abgerufen am 15.01.2024)