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Was versteht man unter Autismus?

Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine neurologische Entwicklungsstörung. Sie tritt zuerst in der Kindheit auf, beeinflusst aber das gesamte Leben der Betroffenen. Menschen mit Autismus tun sich mit dem Austausch und der Kommunikation mit anderen schwer. Die Symptome von Autismus und ihre Schwere variieren dabei stark von Person zu Person. Daher bezeichnet man Autismus als „Spektrum“.

Bei einem Teil der Betroffenen ist die Intelligenz vermindert und die Entwicklung der Sprache gestört. Andere wiederum sind im Vergleich weniger stark beeinträchtigt, sie haben einen „hochfunktionalen Autismus“. Sie können bei normaler oder überdurchschnittlicher Intelligenz trotz ihrer sozialen Schwierigkeiten in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens durchaus gut funktionieren. Sie haben etwa in der Schule gute Noten oder sind am Arbeitsplatz erfolgreich.

Weltweit ist rund ein Prozent der Bevölkerung von Autismus betroffen. In Deutschland haben geschätzt rund 0,4 Prozent diese Störung. Zur Häufigkeit von Autismus im Erwachsenenalter gibt es hingegen keine verlässlichen Zahlen.

Bei Menschen mit Autismus fehlt das intuitive Verständnis für die Interaktion mit anderen.

Wie äußert sich Autismus?

„Bei Menschen mit Autismus fehlt das intuitive Verständnis für die Interaktion mit anderen“, erklärt die Diplom-Psychologin Dr. Tanja Richter-Schmidinger, Leiterin der Spezialsprechstunde für Autismus im Erwachsenenalter am Universitätsklinikum Erlangen. „So wissen sie oft nicht, was das Gegenüber von ihnen will, und wie sie sich verhalten sollen.“ Das führe zu Missverständnissen. Zudem haben sie Probleme, mit anderen Menschen Gespräche anzufangen und am Laufen zu halten. Vor allem Smalltalk fällt ihnen schwer. Aber auch nonverbale Kommunikation sei für sie eine Herausforderung, beispielsweise den direkten Blickkontakt mit dem Gegenüber zu halten.

Warum ist der Alltag für autistische Menschen oft schwer?

Meist kämpfen die Betroffenen schon in der Kindheit mit Problemen, die sich dann aber bis ins Erwachsenenalter halten. Nicht nur die zwischenmenschlichen Problemen sind für sie belastend. Auch ihre Neigung zu starren Verhaltensmustern, einem weiteren zentralen Symptom der Störung, bringt Schwierigkeiten mit sich.

Autisten hängen an starren Routinen oder Ritualen, die sie einhalten wollen. Manche möchten zum Beispiel jeden Tag zur exakt gleichen Zeit essen oder am liebsten jeden Tag das gleiche Hemd tragen. Ändert sich der gewohnte und gewünschte Tagesablauf, kann das für großen Stress sorgen. Stresspotential bietet darüber hinaus Reizüberflutung. Viele Betroffene sind überempfindlich gegenüber äußeren Reizen. Sie empfinden etwa tickende Uhren, summende Elektrogeräte oder leichte Berührungen als belastend.

Werden Autisten vollkommen von Reizen überflutet, kann es bei ihnen sogar zum einem Meltdown (deutsch: Kernschmelze) kommen. Die Betroffenen rasten auf Grund der Überforderung aus, schreien, schimpfen oder schlagen andere Menschen.

Mit welchen Erkrankungen geht Autismus oft einher?

Autismus kommt selten alleine, sondern hat vielfach noch Begleiterkrankungen mit im Gepäck. Ein hoher Prozentsatz leidet zusätzlich unter Depressionen, Angststörungen oder ADHS.

Warum bleibt Autismus bei Erwachsenen oft unentdeckt?

„Menschen mit hochfunktionaler Autismus-Spektrum-Störung verfügen über recht gute Fähigkeiten, ihre Beeinträchtigungen unter Anstrengungen in Teilen zu kompensieren.“ Das sagt die Psychiaterin Mandy Roy, Leitende Oberärztin in der Autismus-Ambulanz an der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll in Hamburg.

Sind die Symptome in der Kindheit noch zu beobachten, tun Betroffene häufig als Erwachsene viel, um im Alltag nicht aufzufallen. Sie üben beispielsweise vor dem Spiegel ihre Mimik zu kontrollieren, um sozial weniger desinteressiert zu wirken. Oder sie unterdrücken ihren Hang zu Routinen, man spricht bei diesen Kompensationsstrategien von „Masking“ (deutsch: Maskieren).

Warum haben Betroffene nicht schon in der Kindheit eine Diagnose erhalten?

„Wenn ein Autist eine durchschnittliche oder überdurchschnittliche Intelligenz hat, in der Schule gute Leistungen erbringt, ansonsten eher zurückhaltend ist, fallen seine Probleme unter Umständen gar nicht auf“, so Mandy Roy. „Vor allem früher blieben die autistischen Probleme in der Schule oft unerkannt, und diese Menschen sind heute im Erwachsenenalter.“ Auch die Betroffenen selbst müssten erst einmal verstehen, was bei ihnen anders ist. „Und so kommt es, dass Betroffene teilweise erst im Erwachsenenalter und heutzutage oft mit Hilfe von Informationen aus dem Internet auf den Verdacht kommen, autistisch zu sein.“

Was kann ich tun, wenn ich glaube, Autismus zu haben?

„Hat man bei sich selber einen Autismus-Verdacht, kann man sich an seinen Hausarzt, einen Psychiater oder einen Psychotherapeuten wenden“, sagt Tanja Richter-Schmidinger, die Psychologin aus Erlangen. „Wenn sich dann dort der Verdacht erhärtet, sollte man sich an eine Spezialsprechstunde wenden.“ Die Autismus-Diagnostik sei recht aufwändig, das könnten ambulante niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten gar nicht leisten.

Spezialsprechstunden werden in Spezialambulanzen für Autismus angeboten. Insgesamt gibt es in Deutschland nur wenige Spezialambulanzen für Erwachsene. „Leider ist die Versorgungssituation für erwachsene Autisten aktuell noch sehr dürftig“, bestätigt Mandy Roy. „Denn Autismus im Erwachsenenalter ist erst in den letzten Jahren zunehmend in den Blick der Psychiatrie gerückt.“ Meist gebe es Spezialambulanzen nur an Hochschulkliniken. Die schlechte Versorgungssituation führe bei vielen Betroffenen zu einem großen Leidensdruck.

Wie läuft die Diagnose von Autismus?

Bislang gibt es keine verlässlichen biologischen Methoden wie Labortests, um eine Autismus-Spektrum-Störung zu diagnostizieren. Die Diagnose wird daher anhand von speziellen Interviewfragebögen und Testaufgaben gestellt. „Man prüft zunächst, ob es auch andere Ursachen gibt, die die Probleme der Betroffenen erklären könnten“, sagt Tanja Richter-Schmidinger. Außerdem werde nach etwaigen Begleiterkrankungen wie beispielsweise ADHS oder Depressionen gesucht. Anschließend erarbeite man standardisiert rückblickend und aktuell Autismus-Symptome, berücksichtige Vorbefunde, Zeugnisse und Beobachtungen von Bezugspersonen. „Und aus all dem ergibt sich dann die Diagnose.“

Gibt es Therapien für Menschen mit Autismus?

Autismus kann man nicht „wegtherapieren“, weder mit Medikamenten noch mit Psychotherapie. Hinzu kommt: Es gibt für Erwachsene im deutschsprachigen Raum kein anerkanntes Therapiekonzept. Gleichwohl können Betroffene im Rahmen einer Psychotherapie lernen, mit ihren Schwierigkeiten besser umzugehen und damit ihren Leidensdruck zu senken „Man kann etwa mit dem Patienten ein soziales Kompetenztraining durchführen“, sagt Mandy Roy. Steht ein Vorstellungsgespräch an, bietet sich ein Rollenspiel mit dem Patienten an, in dem man diese Situation im Voraus übt. „Davon profitieren Patienten in der Regel“, so Roy.

Auch ein Stressmanagement kann hilfreich sein. Autistische Menschen fühlen sich eben schnell überfordert durch zu viele Sinneseindrücke und durch ihre Mitmenschen. „Insofern hilft es ihnen, sich in ihrem Tages- oder Wochenplan Zeit einzurichten, in der sie sich wieder entspannen können.“

Ist es sinnvoll, erwachsene Autisten beruflich zu unterstützen?

Studien zeigen: Es lohnt sich, den Patienten bei der Berufsfindung zu unterstützen. Viele hochfunktionale Autisten sind gut ausgebildet. „Aber sie haben wegen ihrer geringen sozialen Kompetenz Schwierigkeiten, einen Job zu finden“, sagt Mandy Roy. „Daher kann man als Therapeut mit dem Betroffenen überlegen, den Arbeitgeber über die Probleme von Autisten aufzuklären und gemeinsam Lösungsstrategien für Schwierigkeiten zu entwickeln."

Was können Betroffene selbst tun?

Als Erwachsener mit Autismus macht es Sinn, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Gerade wenn sich nicht gleich ein Therapieplatz findet. Den Austausch mit anderen autistischen Menschen empfinden Betroffene als hilfreich. Es kann ein Gefühl wechselseitigen Verstehens und Zugehörigkeit entstehen. Teilnehmer von Selbsthilfegruppen erzählen von Erleichterung, da sie dort auf Menschen mit ähnlichen Schwierigkeiten treffen.


Quellen: