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„In diesem Text geht es um sexuelle und sexualisierte Gewalt. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.“[1] So etwa kann eine Triggerwarnung aussehen. Vor was der Hinweis warnt, ist natürlich von Inhalt zu Inhalt unterschiedlich: Alkohol, Gewalt, Rauchen, tragischer Tod der Eltern... . Verwendet werden sogenannte Trigger-Warnungen häufig bei Video-Streaming-Diensten, vor Podcasts, manchmal Sachtexten und zunehmend sogar in Romanen.

Auf Zielgruppen abgestimmt

Für Eltern und Filmfans gibt es auch eigene Seiten, auf denen sie nachlesen können, was ein Film an möglicherweise verstörenden Inhalten enthält. Flimmo.de bietet eine Liste mit Triggerwarnungen zu Kinderserien und –filmen. Das englischsprachige Portal imdb.com benennt für viele Filme und Serien detailliert alle Szenen mit Gewalt, Nacktheit oder Drogenkonsum.

Triggerwarnungen richten sich vor allem an Menschen, die traumatisiert wurden. Diese haben psychisch belastende Ausnahmesituationen erlebt, leiden nun darunter und befinden sich vielleicht in Therapie. Aber die Hinweise sind auch für Menschen ohne traumatische Vorgeschichte da: Dann sollen die Warnungen ganz allgemein verhindern, dass jemand mit Inhalten in Kontakt kommt, die belasten können oder einfach zu viel für sie oder ihn sind.

Problematik von Triggerwarnungen

Der Begriff werde zwar mittlerweile nahezu inflationär verwendet, so Professor Martin Teufel, Direktor der LVR-Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Essen. Nichtsdestotrotz sind Triggerwarnungen wenig erforscht. „Es gibt wenige Erkenntnisse, die bei näherer Betrachtung auch noch sehr unterschiedlich ausfallen. Ich denke, es kommt immer auf den Einzelfall an“, so Teufels Einschätzung.

Da Triggerwarnungen aber immer allgemeine Warnungen sind, stellt sich die Frage: Wie können sie auf den Einzelfall eingehen? Andererseits gibt es auch keine Hinweise dafür, dass Triggerwarnungen schaden. Doch Kritiker von Triggerwarnungen merken an, dass die Warnungen selbst Trigger sein könnten - also Auslöser, die bei Lesenden oder Zuschauerinnen und Zuschauern Erinnerungen an schlimme Erlebnisse zurückholen.

Warnung als Auslöser?

Dieses erneute Erleben vergangener Traumata bezeichnen Psychologen mit dem Begriff „Re-Traumatisierung“. Ausgerechnet der gutgemeinte Warnhinweis selbst würde also in diesem Fall Schaden anrichten. „Der Re-Traumatisierungs-Begriff wird kontrovers diskutiert“, sagt Martin Teufel. Aber gebe es das Phänomen überhaupt? In seiner Klinik sei ihm noch keine Patientin und kein Patient begegnet, der oder die aufgrund einer Triggerwarnung erneut traumatisiert worden sei.

Ebensowenig kennt Teufel Fälle, in denen ein Buch oder Film einen Menschen traumatisierte, weil da eine Triggerwarnung am Anfang fehlte. Sind Triggerwarnungen also ein Modewort und im Prinzip Unfug? Schließlich lässt sich bislang weder ihre nützliche noch ihre schädliche Wirkung belegen.

Hilfreich für Traumatherapie

Die Diplom-Psychologin und Traumatherapeutin Dr. Stefanie Wekenmann vom Universitätsklinikum Tübingen hat für die Apotheken Umschau sogar eine kleine Umfrage unter Traumapatientinnen und -patienten gemacht. Außerdem verschaffte sie sich einen aktuellen Überblick im Fachkollegium, was es von Triggerwarnungen halte. Auf Expertenseite habe es keine konkrete Haltung pro oder contra gegeben. Stefanie Wekenmann: „Unser Ziel ist es, Leute mit Hilfe von Training zu befähigen, selbst unterscheiden zu können, was für sie geeignet ist und was nicht.“

Auch bei Patientinnen und Patienten gehen die Ansichten auseinander. „Manche prüfen Bücher, Filme, Hörspiele vorher genau. Sie informieren sich, ob etwas Verstörendes vorkommen könnte – das ist dann die Entscheidung für möglichst viel Sicherheit“, so Wekenmann. Aber es gebe genauso Betroffene, die den Weg der bewussten Auseinandersetzung mit schwierigen Themen bevorzugten. Sie bestünden gar nicht auf Warnungen, weil sie sich selbst und ihre Fähigkeit prüfen wollen, Reizthemen und schwierige Inhalte auszuhalten. „Sie entscheiden sich für die ‚Überraschung‘, vertrauen der eigenen Stärke oder testen sie“, fasst die Psychologin zusammen.

Unerwartete Schockmomente

Für Triggerwarnungen spricht also, dass Menschen mit Trauma eine Orientierung erhalten. Vor allem, wenn ein schockierender Inhalt plötzlich und überraschend kommt, sind Vorwarnungen für Professor Claus-Christian Carbon prinzipiell eine gute Idee. Der Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg denkt an eine Vorlesung über Verkehrspsychologie, die er einmal gehalten hatte.

Dabei zeigte er ein englisches Video, das eine fiktionale, drastische Unfalldarstellung mit Jugendlichen enthielt. Keiner der Beteiligten hatte überlebt. Solche Darstellungen sind in deutschen Videos unüblich. Deshalb habe er eine Triggerwarnung vorweggeschickt, bevor er auf Play drückte: „Weil man es hier aus dem Kontext heraus und aufgrund deutscher Sehgewohnheiten nicht erwarten konnte.“

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Gründe gegen die Warnungen, sagt Claus-Christian Carbon: „Man kann durch die Warnung, dass irgendwann in einem Film ein extremer Inhalt kommt, auch in eine innere Anspannung verfallen. Der Zuschauer gerät quasi in permanente Habachtstellung.“ Zudem sieht Martin Teufel keine psychologische Notwendigkeit, vor wirklich allem warnen zu wollen, was Angst auslösen könnte: „Angst ist etwas, das uns als Menschheit schon sehr lange überleben lässt: ‚Da kommt ein Tiger, ich laufe weg!‘ Wir sind quasi darauf eingestellt, mit Angst klarzukommen.“

Vermeidung als Schlüssel

Nicht alles, was einem Menschen Angst macht, muss vermieden werden. Bei Prüfungsangst etwa triggert die Aussicht auf den Test die Ängste eines Kindes. Aber Prüfungsangst ist dennoch weitgehend normal. Wenn ein Mensch jedoch vor Angst seinen gewohnten Alltag nicht mehr leben und leisten kann, ist es ratsam, wenn er sich Hilfe holt – und im Rahmen einer Therapie dann eventuell auch Trigger erst mal vermeidet.

Stefanie Wekenmann ergänzt, dass oft auch ohne Triggerwarnungen genug Anhaltspunkte zur Verfügung stehen: „Mediennutzende wissen in der Regel, ob es sich um ein Drama, einen Krimi oder einen Horrorfilm handelt und passen ihre Erwartungen an. Sie können Klappentexte lesen oder Trailer ansehen.“

Anspruch auf Vollständigkeit

Man könnte hier entgegenhalten, dass eine Infoquelle wie ein Klappentext ja nur grob ist, dass er nicht alle möglichen Trigger erfasst. Aber ganz genau diesen Anspruch an Vollständigkeit kann auch die Triggerwarnung nicht bieten. Denn: Oft sind Trigger so individuell, dass sie durch jedes noch so eng aus Warnungen und Hinweisen geknüpfte Sicherheitsnetz schlüpfen. Claus-Christian Carbon erklärt: „Ich musste als Kind beim Arzt in ein medizinisches Gerät atmen, da galt es einen Ballon aufzublasen.“ Das schroffe Verhalten der Arzthelferin führte bei Carbon dazu, dass Ballons bis heute bei ihm unangenehme Erinnerungen wecken. „Aber deshalb kann man ja nicht am Anfang eines Werkes vor so etwas eigentlich Unschuldigem wie Ballons warnen. Das ist eine hochindividuelle Sache.“

Und schließlich ist die Frage, was Menschen schockiert, auch eine gesellschaftliche und politische, sagt Carbon: „Will man alles Anstößige vermeiden, blendet man irgendwann vieles aus, was zwar umstritten ist, aber uns als Gesellschaft weiterbringt. Kunst etwa. Die muss oft schockieren, will sie wirken.“

Versteckte Inhalte enttarnen

Tatsächlich fehlt nach Einschätzung von Carbon ausgerechnet dort oft eine Warnung, wo sie am meisten Sinn ergeben würde: Bei ‚versteckten‘ Inhalten, die Kinder im Internet konsumieren. Der Professor für Psychologie denkt an Spiele-Apps oder Videos im Internet. Hier kann man zwar nachsehen, was genau für ein Spiel es ist: ein Rennspiel, ein Ego-Shooter, ein Geschicklichkeits-Spiel... Und oft gibt es zusätzlich sogar Warnungen vorneweg. „Aber in den Spielen wird häufig Werbung eingeblendet, deren Inhalte komplett ungeprüft bleiben. Und sie anzusehen wird sogar belohnt. Da kommen die Kleinen dann mit Dingen in Berührung, die man nicht vorhersehen kann.“ Weil sie eigentlich kein Teil des Spieles sind. Hier sind dann die Eltern gefragt. Sie müssen entscheiden, was ihre Kinder spielen oder ansehen dürfen. Idealerweise sind sie dabei, wenn die Kinder die Inhalte nutzen. Oder sie lassen Kinder erst ab einem gewissen Alter solche Spiele und Videos nutzen, die Werbung enthalten.

Fazit

Triggerwarnungen haben also das Problem, dass sie keine Garantie sind. Weil sie niemals vollständig sein können, nie individuelle Trigger – wie etwa einen Luftballon – erfassen können. Auf der anderen Seite geben sie aber manchen Traumapatientinnen und -patienten hilfreiche Orientierung, besonders bei überraschend auftauchenden Triggern. Nachweislich geschadet haben sie nach aktuellem Kenntnisstand noch niemandem. Allenfalls vermitteln sie denen, die sich ganz auf sie verlassen, eine falsche Sicherheit.


Quellen:

  • [1] Institut für Zukunft - ifz: Triggerwarnung. online: https://ifz.me/... (Abgerufen am 03.07.2023)