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Meine zuverlässigsten Begleiter in den Schlaf sind Bücher. Meine 16-jährige Tochter dagegen greift zu Kopfhörern, um entspannt einzuschlummern. „Wenn der Schultag stressig war, höre ich mir am liebsten ASMR an“, erfuhr ich kürzlich von ihr – und guckte verständnislos: AS … was?

Das Kind, milde Nachsicht für die ewiggestrige Mutter im Blick, erklärte: Die Abkürzung stehe für „Autonomous Sensory Meridian Response“, es gebe Millionen von Internet-Videos dazu und noch mehr Millionen Menschen würden diese ansehen oder anhören.

Entspannung durch ASMR

Kann es tatsächlich sein, dass eine mir völlig fremde Parallelwelt existiert, in der man perfekte Entspannung findet? Neugierig geworden, recherchiere ich. Und erfahre: ASMR-Videos können angenehme Gefühle und innere Ruhe auslösen. Einige Menschen empfinden anscheinend ein glücklich machendes, intensives Kribbeln auf der Haut. Um diese Wirkungen zu erzielen, setzen die Macher der ASMR-Videos spezielle Bilder und mit empfindlichen Mikrofonen aufgenommene Geräusche als Trigger ein.

Klingt vielversprechend – das muss ich ausprobieren! Ich klicke, sehe, lausche, staune: Ein Protagonist lässt im Video absurde Dinge wie Pinsel, Drohnen und Luftbefeuchter um sein empfindliches Mikrofon kreisen und flüstert dazu unverständliche Sätze. Ein bärtiger Typ inszeniert ein akustisch untermaltes Rollenspiel um einen Haarschnitt beim Friseur. Die Zuschauer werden dabei virtuell mit Wasser-Sprühflasche, Kamm, Schere, Rasierpinsel und passenden Sounds beglückt.

Eine „Apothekerin“ hantiert in historischer Kulisse fast eine Stunde lang mit Kräutern und Heiltränken und kommentiert das mit weicher Stimme. Auch Tiere sind ASMR-Stars: Man kann eine halbe Stunde lang einer Schildkröte zusehen und zuhören, die saftige Früchte schmatzt, oder einem Sittich, der hingebungsvoll an Körnern und Grünzeug knabbert. Sterbenslangweilig und sinnfrei kann man das finden. Oder eben beruhigend und stresslindernd.

Tatsächlich wirksam?

In der Fachwelt, so finde ich heraus, weckt ASMR zunehmend Interesse. Noch gibt es erst wenige Studien dazu, aber bei empfänglichen Menschen scheinen die Clips tatsächlich den Herzschlag zu verlangsamen und Stress abzubauen.

Ob ich auch zu ihnen gehöre? Um das herauszufinden, werde ich demnächst das Buch im Bett gegen Kopfhörer tauschen. Meine Tochter hat mir einen Link geschickt: Eine Frau blättert leise murmelnd in alten Pergamenten, eine halbe Stunde lang. Nicht auszuschließen, dass ich dabei einschlafe …

Haben Sie sich auch schon einmal über fragwürdige Therapien gewundert?

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