Laute Nachbarn: Was tun?

Erzwungene Nähe: Wo Menschen eng aufeinander hocken, kann es manchem schnell zu laut werden
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Egal, ob man sowieso Home-Office macht oder abends endlich nach Hause gekommen ist: Oft möchte man einfach zuhause die Ruhe genießen. Doch dann trampeln oben die Nachbarskinder durch die Wohnung. Möbel werden gerückt, die Klospülung rauscht. Auf dem Balkon ist es oft nicht besser, man wird Ohrenzeuge des zankenden Paars von Gegenüber oder hört Lärm von einer Baustelle.
Wie soll man da bitte abschalten? Während die Nachbarn nichts ahnend ihren Feierabend genießen, steigen Blutdruck, Puls und schlechte Laune. "Wo viele Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen anonym auf engem Raum zusammenleben, ist Lärm der häufigste Streitpunkt", sagt Anja Huber von der Stelle für Gemeinwesenmediation (SteG) im Münchner Sozialreferat.

Dr. Kirsten Gieseler, Juristin und Mediatorin
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Warum bei Lärm schnell Streit ausbricht
Dr. Kirsten Gieseler, auf Nachbarschaftsstreitigkeiten spezialisierte Juristin und Mediatorin aus Bremen, kennt die Hintergründe: "Lärm hat immer noch eine Alarmfunktion und löst bisweilen gesundheitsschädigende Stressreaktionen aus – erst recht in unserer Wohnung, in die wir uns zurückziehen, um Ruhe und Entspannung zu finden."
Und so wird der Nachbar, der mit seinem "rücksichtslosen" Verhalten unsere Bedürfnisse ignoriert, schnell zum Feind: Er ist schließlich schuld, dass es uns nicht gut geht. Doch die Hemmschwelle, ihn auf sein "Fehlverhalten" anzusprechen, ist hoch. Überwinden wir uns endlich, ist der Ton oft unangemessen schroff. Der Nachbar ist sich häufig gar keiner Schuld bewusst und reagiert abweisend. "Schon sind die Mauern hochgezogen", sagt Gieseler.
Unterschiedliches Lautstärke-Empfinden
Das Problem: Menschen empfinden und bewerten Geräusche subjektiv sehr unterschiedlich. Laute Gehgeräusche der Nachbarn können ein Einsamkeitsgefühl mildern oder aber zu Schlafstörungen führen. Nach 19 Jahren Erfahrung als Mediatorin ist Kirsten Gieseler überzeugt: "Menschen empfinden Geräusche als weniger störend, wenn sie sie zuordnen können und die Verursacher kennen." Und so sieht sie eine ihrer wichtigsten Aufgabe darin, zerstrittene Nachbarn miteinander ins Gespräch zu bringen. "Wenn man die Fremdheit zwischen den Leuten reduziert, werten sie den Lärm der anderen nicht mehr so stark als Angriff gegen sich selbst."
Bei objektiv nachweisbaren Ruhestörungen ist der Fall meist eindeutig – etwa wenn der Nachbar nach zehn Uhr abends noch laut Musik hört oder den Fernseher bis zum Anschlag aufdreht. Auch muss niemand klaglos hinnehmen, dass die Nachbarin von oben stundenlang in Stöckelschuhen übers Parkett stolziert. Solche Lärmquellen sind in der Regel leicht abzustellen. "Wenn der Störenfried keine Einsicht zeigt, sollten Betroffene den Vermieter informieren, der bei Bedarf Mediatoren einschalten kann", erklärt Gieseler, die ihre Aufträge meist von Wohnungsbaugesellschaften bekommt.
Oft stören schon Alltagsgeräusche
Auch manchen Städten liegt die Ruhe ihrer Einwohner am Herzen. In München etwa vermittelt die SteG betroffenen Bürgern kostenlose Mediatoren. "Häufiger als eine objektiv nachweisbare Ruhestörung ist die ungewollte Belästigung durch Alltagsgeräusche", sagt Koordinatorin Anja Huber. "Vor allem bei schlecht isolierten Wohnungen, die kaum Schalldämmung haben."
Unter diesen "hausgemachten" Problemen leiden meist beide Parteien: diejenigen, die sich durch Wasserrauschen, Trittschall oder laute Gespräche gestört fühlen. Aber auch die unfreiwilligen Störenfriede, die durch schimpfende Nachbarn in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. In diesem Fall rät Mediatorin Gieseler: "Lernen Sie sich kennen, um Feindbilder abzubauen."
Verständnis entwickeln
Mithilfe der Mediatoren sollen sich die Parteien in den anderen hineinversetzen. "Wer Verständnis füreinander entwickelt, ist eher bereit, Zugeständnisse zu machen", weiß Huber. Wenn sich die lärmempfindliche Partei ernst genommen fühle, sei sie oft toleranter. "Dann ist allen geholfen."
Nicht selten stellt sich zudem heraus, dass es jemanden gibt, über den sich beide ärgern: den Bauherrn. Gieseler: "Gemeinsam für bessere Wohnbedingungen zu kämpfen, verbindet – auch wenn manche Bemühungen erfolglos bleiben. Aber man hat den anderen als Menschen kennen gelernt."