Parkinson: Frühe Behandlung bessert Verlauf
Rot. Gelb. Blau. Grün. Albert S. aus Altötting hat die Welt bunter gemacht. "Ich habe Autos lackiert und viel mit Lösungsmitteln gearbeitet", sagt der 67-Jährige und schaut ins Leere. Lag es am Hantieren mit der vielen Chemie? Haben die giftigen Farben auch seinem Leben einen neuen Anstrich gegeben? Der Kfz-Mechaniker zuckt mit den Schultern. "Das kann sein. Ich weiß nur, dass ich nach der Diagnose kurz in ein tiefes Loch gefallen bin."
Bei Parkinson geraten Botenstoffe aus dem Lot
Parkinson. Schätzungsweise bis zu 300.000 Bundesbürger leiden an der neurologischen Erkrankung. Etwa 15.000 Menschen, meist sind es Ältere, erfahren jährlich, dass sie die Krankheit haben, die der Volksmund Schüttellähmung nennt. Ob Zittern oder verlangsamter Gang, "der Name spielt auf Bewegungsstörungen an, unter denen Parkinsonkranke leiden", erklärt Professor Thomas Gasser, ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie an der Universität Tübingen.
Die Ursache für die muskulären Defizite: "Im Gehirn sterben bestimmte Nervenzellen ab, die mithilfe von Botenstoffen die Bewegungen steuern", erläutert Gasser. Schreitet der Zelltod fort, prägen sich die typischen Anzeichen der neurologischen Krankheit weiter aus: Die Bewegungen werden langsamer, die Muskeln steifer, häufig zittern in Ruhe die Glieder. "Im fortgeschrittenen Stadium können Symptome wie Depressionen oder Denkstörungen hinzukommen", erklärt der Parkinson-Fachmann.
Ursachen von Parkinson sind noch unbekannt
Was den Untergang des Hirngewebes auslöst, wissen Forscher nicht. Umweltgifte, Gene oder Schädel-Hirn-Verletzungen stehen unter Verdacht, doch es gibt keine Beweise. Vermutlich bahnt sich das Leiden schon Jahrzehnte zuvor unerkannt an. "Auffällig viele Patienten klagen schon lange über Riechstörungen oder Schlafprobleme", sagt Gasser. Bei Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich sehen Orthopäden inzwischen genauer hin. "Sie kündigen häufig ein oder zwei Jahre vor der Diagnose das chronische Leiden an", weiß der Tübinger Arzt. In dieser Frühphase können neurologische Tests Parkinson bereits entlarven.
Albert S. schob es aufs Alter, als sein Nacken ständig verspannt war. Doch irgendwann kroch das Wort "Schüttellähmung" in seine Gedanken. Die tapsigen Schritte beim Gang zum Briefkasten, seine zitternde rechte Hand: "Das ist doch alles nicht mehr normal", fand der Oberbayer. Ende 2010 bestätigte der Neurologe den schlimmen Verdacht. "Parkinson ist nicht tödlich, habe ich mir damals gesagt, um aus dem Loch zu krabbeln", erinnert sich der 67-Jährige.
Parkinsonkranke brauchen Trost. Die Krankheit lässt sich nicht heilen. "Viele Patienten haben Angst vor Pflegebedürftigkeit", erlebt Dr. Ilona Csoti aus Leun. Doch die ärztliche Direktorin des Parkinson-Zentrums Gertrudis-Klinik macht Mut. "Das Leiden schreitet langsam fort und lässt sich gut behandeln." Je früher die Therapie beginnt, umso besser ist die Prognose des Leidens.
Behandlung wird auf den Alltag des Patienten abgestimmt
Ein wichtiges Standbein sind Medikamente, die in den Hirnstoffwechsel eingreifen, um ihn wieder ins Lot zu bringen. "Der Verlauf der Krankheit ist bei jedem Patienten anders. Darauf stimmen wir die Parkinson-Mittel ab", erklärt Ilona Csoti. Mediziner wägen ab: Welche Beschwerden hat der Kranke? Wie spricht er auf die Arznei an? Was sind seine persönlichen Wünsche? "Jemand, der gern malt, möchte das Zittern unterdrücken. Der Hobbygärtner will eher seine Beweglichkeit verbessern", sagt Csoti.

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Albert S. nimmt täglich gewissenhaft seine Tablette. "Damit komme ich gut zurecht", findet er – auch wenn er manchmal beim Duschen die Starre seiner Glieder spürt oder sein eigenwillig gewordener Körper ihn beim Gehen ausbremst. "Meine Schrift ist auch kleiner und unleserlicher geworden", gibt der Rentner zu. Doch er will nicht hadern. "Ich habe nur Angst vor der Zukunft, wenn ich mich gehen lasse."
Bewegungstherapie hilft, Selbstständigkeit aufrechtzuerhalten
Pia Pohl weiß um die Gefahr. "Sich an dem zu messen, was früher war, macht mutlos. Dabei geht ganz viel", sagt die Ergotherapeutin der Paracelsus-Elena-Klinik in Kassel. Sie nimmt ihre Patienten an die Hand, um das zu beweisen. Gemeinsam mit ihnen übt sie, den Stift mit neuem Schwung zu führen, einen Apfel zu schälen oder die Schnürsenkel zu binden. "Oberstes Ziel ist es, im Alltag möglichst lange selbstständig zu bleiben", sagt Pohl.
Seine Fähigkeiten zu trainieren, raten auch Physiotherapeuten und Logopäden. Regelmäßige Gymnastik und Sprachübungen sind wie das Alltagstraining Grundpfeiler der Parkinson-Behandlung. "Die Medikamente sind wie Benzin, mit dem ich das Auto betanke", meint die Neurologin Csoti. "Aber fahren muss der Patient selbst, tägliche Bewegungsübungen sind daher genauso wichtig."
Wirkspiegel der Medikamente gegen Parkinson schwankt
Sind alle Behandlungsbausteine gut verzahnt, lässt sich das chronische Leiden in die richtige Bahn lenken. "In den ersten Jahren funktioniert die klassische Therapie sehr gut", betont Professor Alfons Schnitzler vom Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Universität Düsseldorf. Im Lauf der Zeit kann sich das ändern. Neue Beschwerden kommen hinzu. Häufig schwankt der Wirkspiegel der Medikamente. "Mal sind Patienten wie ein Zappelphilipp überbeweglich, dann Stunden später wieder total steif", beschreibt es Schnitzler.
Operation bei Parkinson: Schrittmacher ins Gehirn
Um die Balance wiederherzustellen, ändern Mediziner dann häufig die Wirkstoffe oder kombinieren sie mit anderen. In einigen Fällen erwägen die Neurologen einen chirurgischen Eingriff. "Gerade dieses Auf und Ab der Beweglichkeit gleicht ein Hirnschrittmacher oft wirksam aus", sagt Alfons Schnitzler, der an einer Studie zum Nutzen des Taktgebers beteiligt war.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen vermuten, dass die elektrischen Signale mitunter Parkinson-Medikamenten überlegen sind und die Lebensqualität verbessern. "Daher setzen wir Hirnschrittmacher heute bei bestimmten Patienten bereits im mittleren Krankheitsstadium ein", erklärt Schnitzler. Bislang rieten Mediziner zu dem komplexen Eingriff nur in der Spätphase der Krankheit, wenn Medikamente versagen.
Albert S. helfen seine Tabletten. Sein Taktgeber ist die Selbsthilfegruppe, die er in Altötting leitet. "Es gibt mir viel Kraft, anderen zu helfen", sagt der Rentner. Tag für Tag engagiert er sich in Sachen Parkinson. Sein Leben hat einen neuen Anstrich erhalten.