Gehirnabszess (Hirnabszess)
Was ist ein Gehirnabszess?
Ein Abszess im Gehirn ist eine örtlich umschriebene (lokale) Entzündungsreaktion im Gehirn. Durch das Eindringen von Krankheitserregern in das Gehirn kommt es zunächst zu einer Entzündung im Gewebe (fokale Enzephalitis). Im weiteren Verlauf kann die Entzündung zu einer Eiteransammlung in einer durch Bindegewebe gebildeten Kapsel führen. Diese neu enstandenen, eitergefüllten Hohlräume werden als Abszesse bezeichnet.
Ein Gehirnabszess ist selten, kann aber lebensgefährlich werden. Die Anzahl jährlich neu aufgetretener Erkrankungen (Inzidenz) wird mit 0,3 bis 1,3 Fälle pro 100 000 Personen angegeben.
Ursachen und Risikofaktoren: Wodurch kommt es zu Gehirnabszessen?
Zu einem Hirnabszess kommt es, wenn Krankheitserreger in das Gehirn eindringen. Meist geschieht dies über den Blutweg oder von nahegelegenen Infektionesherden (Nachbarschaftsprozesse). Das heißt, im Körper liegt eine Entzündung an einer anderen Stelle vor, die Krankheitserreger werden mit der Blutbahn weiter verteilt und dringen dann über die Blut-Hirn-Schranke in das Gehirn ein. Zu diesem Infektionsort wandern nun körpereigene Abwehrzellen sowie Botenstoffe und lösen eine Entzündung aus. Dabei kann sich Eiter bilden, der unter anderem aus abgetöteten Krankheitserregern, Abwehrzellen und zerstörten Gewebszellen besteht. Wird der Eiter im betreffenden Hirngewebe in einer Art Kapsel eingeschlossen, wodurch ein neuer Hohlraum entsteht, handelt es sich um einen Gehirnabszess. Er kann sich prinzipiell in jeder Hirnregion bilden. Meistens stellen Bakterien die Ursache dar. Streptokokken, Bacteroides- und Pseudomonas-Arten zählen zu den häufigsten Erregern. Streptokokken verursachen normalerweise eher Infektionen, die das Ohr oder die oberen Atemwege betreffen. Zum Beispiel eine Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis) oder eine Mittelohrentzündung (Otitis media). Die anderen Keime können ebenfalls den Atemtrakt befallen. Auch eine bakteriell bedingte Entzündung im Bereich der Zahnwurzeln kommt als Ursprungsort infrage.
Manchmal lösen jedoch auch Pilze einen Hirnabszess aus. Noch seltener dringen Bakterien direkt durch eine Kopfverletzung (offenes Schädel-Hirn-Trauma) oder im Rahmen einer Operation ins Gehirn ein. Wer ein eingeschränktes Immunsystem hat, trägt ein höheres Risiko an einem Hirnabszess zu erkranken. Die körpereigene Abwehr ist beispielsweise beeinträchtigt, wenn jemand Medikamente einnehmen muss, die das Immunsystem unterdrücken (Immunsuppressiva) oder bei Menschen mit AIDS.
Symptome: Welche Beschwerden bereiten Gehirnabszesse?
Die Symptome, die auf einen Abszess im Gehirn hinweisen, sind eher unspezifisch: Je nachdem, welche Hirnareale betroffen sind, können Krampfanfälle (epileptische Anfälle) oder Empfindungsstörungen auftreten. Auch über Gedächtnisprobleme und Konzentrationsschwäche berichten Patienten. Im Verlauf können weitere neurologische Beschwerden hinzukommen, wie halbseitige Lähmungen. Mediziner sprechen dabei von sogenannten "neurologischen Herdsymptomen". Erst später, wenn der Abszess größer ist und mehr Raum beansprucht, kommt es vielfach zu Kopfschmerzen, die auch länger anhalten und zunehmen. Dazu treten oft Übelkeit und Erbrechen auf. Diese Beschwerden gelten als sogenannte "Hirndruckzeichen".
Anzeichen, die deutlicher für eine Entzündung sprechen, sind zum Beispiel Fieber oder ein steifer Nacken. Fieber tritt bei zirka 50 Prozent der Betroffenen auf.
Diagnose: Wie werden Hirnsabzesse festgestellt?
Das wichtigste Verfahren zum Nachweis eines Gehirnabszesses stellt die Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) des Schädels dar. Auch durch eine Computertomographie des Schädels (cCT) können Abszesse nachgewiesen werden. Bei unklaren Befunden kann bei beiden bildgebenden Verfahren die Gabe von Kontrastmittel in eine Vene sinnvoll sein, um eine genauere Differenzierung der Befunde zu ermöglichen. Durch diese Diagnosemethode (cMRT) mit Kontrastmittel kann der Arzt sogar Rückschlüsse auf das Abzessstadium ziehen. Allerdings lässt sich ein Abszess in seltenen Fällen nur schwer von einem Hirntumor abgrenzen, insbesondere dem Glioblastom.
Ergänzend erfolgen Blutuntersuchungen. Hierbei können Entzündungsparameter, wie beispielsweise das sogenannte C-reaktive Protein (CRP), bestimmt werden. In 60 bis 90 Prozent der Fälle findet sich eine Erhöhung dieses Wertes. Prinzipiell lässt sich auch der Krankheitserreger nachweisen. Die Erregeridentifikation geschieht durch eine Blutkultur oder eine direkte Entnahme von Abszessinhalt. Beide Nachweismethoden liefern jedoch kein hundertprozentig sicheres Ergebnis – weder wenn sie "positiv" noch "negativ" ausfallen.
Eine ausführliche körperliche Untersuchung ist ebenfalls wichtig. Hierbei wird auch auf mögliche Infektionsquellen geachtet, wodurch ergänzende Untersuchungen der Zähne, der Hals- und Rachenregion und der Gehörgänge erfolgen. Konnte kein entzündlicher Prozess in der Nachbarschaf festgestellt werden, muss die Diagnostik auch weiter entfernte Ursprungsquellen wie Lunge, Herz, Haut oder Knochen abklären. Die Fokussuche (Ursprungsherd) sollte vor einem neurochirurgischen Eingriff erfolgen, damit die Abszesse und gegebenenfalls auch gleich die Infektursache in einem behoben werden können. Auch müssen Risikofaktoren für eine Immunschwäche, wie HIV (Humanes Immunschwäche-Virus) oder Diabetes mellitus abgeklärt werden.
Therapie: Wie werden Gehirnabszesse behandelt?
Steht fest, dass es sich um einen Gehirnabszess handelt, bekommt der Patient im Normalfall über mehrere Wochen (in der Regel vier bis acht Wochen) Antibiotika verabreicht, die den auslösenden Krankheitserreger abtöten sollen. Die Behandlung erfolgt zunächst immer im Krankenhaus (stationäre Aufnahme). Zusätzlich erfolgt meist ein neurochirurgischer Eingriff, am häufigsten die sogenannte Abszess-Aspiration. Der Operateur saugt dabei durch eine Öffnung in der Schädeldecke die Eiterflüssigkeit ab. Dieser Eingriff ist auch dann von besonderer Bedeutung, wenn der behandelnde Arzt vorher nicht endgültig klären konnte, ob es sich um einen Abszess oder einen Tumor handelt.
Je nachdem, wo sich die Entzündung befindet und wie groß der Abszess ist, wird manchmal auch ein größerer Eingriff nötig.
Daneben kommen – je nach Bedarf – Medikamente zum Einsatz, die gegen die Krampfanfälle helfen (Antikonvulsiva) oder eine übermäßige Schwellung im Gehirn (Hirnödem) eindämmen (Kortisonpräparate).
Beratender Experte:
Dr. med. Frank Huber ist Facharzt für Neurologie sowie Arzt für Nervenheilkunde und trägt die Zusatzbezeichnung Chirotherapie. Er ist Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum St. Marien in Amberg und sitzt auch im Ethikkomitee des Krankenhauses. Huber ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und referiert regelmäßig in der Öffentlichkeit , unter anderem über das Thema Schlaganfall.
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.