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Was sind Pregabalin und Gabapentin?

Pregabalin und Gabapentin – beide sind verschreibungspflichtig – können zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, Angststörungen und Epilepsie eingesetzt werden.

Pregabalin wirkt im zentralen Nervensystem und hemmt dort die Weiterleitung von Schmerz- und Stresssignalen. Auch Gabapentin wirkt im zentralen Nervensystem und hemmt dort die Reizweiterleitung zwischen Nervenzellen.

Warum wird seit Kurzem über Todesfälle im Zusammenhang mit Pregabalin und Gabapentin diskutiert?

Anlass ist eine Veröffentlichung[1] der Statistikbehörde in Großbritannien über die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit der Anwendung von Medikamenten mit dem Wirkstoff Gabapentin und Pregabalin in den Jahren 2018 bis 2022. Der Statistik zufolge war bei 2110 Todesfällen Gabapentin oder Pregabalin auf dem Totenschein vermerkt. Dabei ist der Trend zunehmend: Im Jahr 2018 starben in Großbritannien 280 Menschen im Zusammenhang mit Pregabalin und Gabapentin, im Jahr 2022 waren es mit 576 Todesfällen mehr als doppelt so viele. Die Mehrzahl der Todesfälle – 441 im Jahr 2022 – steht in Zusammenhang mit Pregabalin.

Zuerst wurden die Zahlen in den britischen Medien[2] aufgegriffen, in den letzten Tagen haben auch deutsche Medien zunehmend darüber berichtet.

Warum kann Pregabalin womöglich zu Todesfällen führen?

Insbesondere Pregabalin kann abhängig machen – selbst bei einer Einnahme im Rahmen der verordneten Dosierung. Zusätzlich zur Wirkung gegen neuropathische Schmerzen, Angststörung und Epilepsie kann Pregabalin auch eine euphorische Stimmung auslösen. Daher wird Pregabalin nicht nur im Rahmen von medizinischen Behandlungen eingenommen, sondern oft auch als Rauschmittel missbraucht[3].

Nach mehrmaliger Anwendung – ob im Rahmen der verordneten Dosierung oder bei bewusstem Missbrauch – kann es vorkommen, dass sich ein schwer kontrollierbares Suchtgefühl einstellt: Man verspürt ein starkes Verlangen nach einem wiederkehrenden Konsum von Pregabalin und erhöht eigenmächtig und unkontrolliert die Dosis. „Das Medikament hat allerdings eine hohe therapeutische Breite, das heißt: die generelle Verträglichkeit des Wirkstoffs ist auch bei hohen Dosierungen meist vergleichsweise gut“, sagt der Psychiater Dr. Christoph Bartels, Leitender Arzt der Klinik am Schlossgarten Dülmen bei Münster.

Lebensgefährlich wird es vor allem, wenn Pregabalin mit anderen Drogen oder bestimmten Medikamenten kombiniert wird. Das Risiko für schwere Neben- und Wechselwirkungen steige bei gleichzeitiger Einnahme anderer beruhigender oder schlaffördender Substanzen wie insbesondere Opiaten, aber auch Benzodiazepinen und auch Alkohol erheblich, sagt Bartels.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in einer Studie[4] im Fachjournal „British Journal of Clinical Pharmacology“ 2322 Todesfälle in Zusammenhang mit Pregabalin und 913 mit Gabapentin genauer analysiert. Bei mehr als 90 Prozent der Todesfälle kam zum Missbrauch von Pregabalin oder Gabapentin auch eine Anwendung von Opioiden hinzu – nur in einem Viertel der Fälle waren beide Medikamente ärztlich verordnet. „Die Wirkung der Drogen verstärkt sich dann teilweise gegenseitig, und das kann tödliche Folgen haben, etwa wenn man bewusstlos wird und sich erbricht“, sagt Bartels.

In der Studie waren die Blutkonzentrationen von Gabapentin und Pregabalin in den meisten Fällen in einem Bereich, in dem sie nicht gesundheitsgefährdend sind. Nur in zwei der Fälle waren die Blutkonzentrationen so hoch, dass die Medikamente allein für den Tod verantwortlich waren.

Was sind die Anzeichen für eine Abhängigkeit und Überdosierung von Pregabalin?

Eine Abhängigkeit von Pregabalin lässt sich mithilfe eines standardisierten Fragebogens zur Sucht feststellen. Darin werden sechs Fragen gestellt – unter anderem wird danach gefragt[5], ob es einen starken Wunsch gibt, das Medikament zu konsumieren, ob man den Beginn und das Ende der Einnahme noch unter Kontrolle hat. Beantwortet man mindestens drei der sechs Fragen mit Ja, gilt man als abhängig.

Eine Überdosierung mit Pregabalin kann sich in Form von Schläfrigkeit und Verwirrtheit oder aber auch in Form von starker Nervosität (Agitiertheit) und Krampfanfällen äußern. Sie kann schließlich zum Koma führen und den Tod zur Folge haben.

Für viele Patientinnen und Patienten kann Pregabalin eine enorme Hilfe sein, indem es die Beschwerden lindert und unter Kontrolle hält.

Warum wird Pregabalin noch verschrieben?

Einerseits rückt das Problem der Abhängigkeit und des Missbrauchspotenzials zunehmend in den Vordergrund. Schon 2017 warnten Ärzte aus München von einem zunehmenden Missbrauch von Pregabalin[6], es wurde auch von einem „Lyrica-Problem“ gesprochen[7], Lyrica ist der Handelsname eines Medikaments mit dem Wirkstoff Pregabalin.

Zugleich ist Pregabalin aber auch ein sehr wirksames Medikament. Besonders neuropathische Schmerzen und Angststörungen, aber auch Epilepsien können für die Betroffenen quälend und lähmend sein und teilweise den Alltag so einschränken, dass ein normales Leben kaum möglich ist. „Für viele dieser Patientinnen und Patienten kann Pregabalin eine enorme Hilfe sein, indem es die Beschwerden lindert und unter Kontrolle hält“, sagt Bartels. Deshalb sei ein grundlegendes Verbot von Pregabalin nicht der richtige Weg.

„Sehr wohl sollte aber bei Menschen mit einer bekannten Suchterkrankung – insbesondere für Opioide oder Benzodiazepine – die Verordnung von Pregabalin und Gabapentin mit Vorsicht erfolgen“, betont Bartels. Nicht selten seien Verordnungen durch mehrere Ärzte – unwissentlich voneinander – zu beobachten. „Wenn kein Weg an einer Verordnung von Pregabalin für einen Menschen mit bekannter Suchterkrankung vorbeiführt, dann sind wenigstens engmaschige Kontrollen angeraten“, so Bartels.

Was sollte ich tun, wenn ich Pregabalin einnehme?

„In vielen Fällen wird es das beste sein, Pregabalin einfach weiter zu nehmen. Denn dass Pregabalin ein Abhängigkeitspotenzial hat, heißt nicht, dass jeder abhängig wird“, sagt Bartels. Zugleich rät er allen Patientinnen und Patienten, die Pregabalin einnehmen, über die Gefahren einer Abhängigkeit oder Sucht, die mit verbunden sind, zu reflektieren: „Machen Sie sich bewusst, dass sich eine Abhängigkeit entwickeln kann, und seien Sie in diese Richtung wachsam“, so Bartels.

Meist werden bei einer Abhängigkeit Dosen von Pregabalin eingenommen, die weit über der maximalen Tagesdosis von 600 mg[8] liegen und es sind in den häufigsten Fällen Menschen betroffen, die bereits suchtkrank sind, insbesondere abhängig von Opioiden.[9]

Wichtig: Selbstständig absetzen sollten Sie Pregabalin nicht, nur in Absprache mit dem behandelnden Mediziner oder der behandelnden Medizinerin. Gerade wenn sich bereits eine Abhängigkeit entwickelt hat, kann es auch Entzugserscheinungen und damit verbundene Beschwerden geben. Hier ist ein allmähliches Absetzen mit ärztlicher Abstimmung sinnvoll.

Wenn Sie sich also Sorgen machen, sprechen Sie am besten mit Ihrem behandelnden Arzt oder Ihrer behandelnden Ärztin.

Was sollte sich nach der Häufung der Todesfälle in Zusammenhang mit Pregabalin ändern?

Die Berichte über die vermehrten Todesfälle haben die Aufmerksamkeit auf Pregabalin und Gabapentin und die mit diesen Wirkstoffen verbundenen Risiken gelenkt. „Im positiven Sinne könnte das dazu führen, dass ein Missbrauch von Pregabalin künftig erschwert wird“, sagt Bartels. Um das zu erreichen, könnte er sich etwa verstärkte Kontrollen bei der Abgabe des Medikaments vorstellen. Denn oft gelangen solche Medikamente auf den Schwarzmarkt, indem sie von als Patienten getarnten Strohmännern in mehreren Arztpraxen eingefordert werden.[3]

Zugleich warnt Bartels davor, dass denjenigen, die Pregabalin brauchen und bei denen das Medikament wirkt, der Zugang erschwert wird. „Wer es braucht, sollte es wie bisher verordnet bekommen. Es sollte nur eindringlich auf die Risiken einer Abhängigkeit hingewiesen und in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden“, sagt Bartels.

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Quellen:

  • [1] Office of National Statistics: Death registrations related to Gabapentin or Pregabalin, England and Wales: 2018 and 2022. https://www.ons.gov.uk/... (Abgerufen am 12.03.2024)
  • [2] Hamilton I, Sumnall H: Anxiety drug pregabalin linked to rising number of deaths – here’s what you should know. https://theconversation.com/... (Abgerufen am 13.03.2024)
  • [3] Kretschmer C: Missbrauch von Pregabalin - Verordnungen prüfen. https://www.gelbe-liste.de/... (Abgerufen am 13.03.2024)
  • [4] Kalk NJ, Chiu C-T, Sadoughi R et al.: Fatalities associated with gabapentinoids in England (2004–2020). In: British Journal of Clinical Pharmacology: 18.04.2022, https://doi.org/...
  • [5] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen: Abhängigkeit: Diagnosekriterien gemäß ICD-10. https://www.medikamente-und-sucht.de/... (Abgerufen am 12.03.2024)
  • [6] Zellner N, Eyer F, Zellner T: Alarmierender Pregabalin-Missbrauch: Prävalenz im Münchener Raum, Konsummuster und Komplikationen. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift: 22.09.2017, https://doi.org/...
  • [7] Pharmazeutische Zeitung: Pregabalin: Ärzte warnen vor Missbrauch. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/... (Abgerufen am 12.03.2024)
  • [8] Horsthemke S: Pregabalin. https://www.gelbe-liste.de/... (Abgerufen am 13.03.2024)
  • [9] Köberle U, Stammschulte T, Acquarone D et al.: Abhängigkeitspotenzial von Pregabalin. In: Arzneiverordnung in der Praxis 01.03.2020, 47: 62-65
  • Maucher IV, Alnouri N: Gabapentin. https://www.gelbe-liste.de/... (Abgerufen am 12.03.2024)