Die Multiple Sklerose ist eine chronische entzündliche Erkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft. MS-Patienten erkranken zwar nicht unbedingt häufiger an Covid-19. In einigen Fällen scheint ihr Risiko für einen ernsten Verlauf der Krankheit aber doch höher zu sein: Wenn sie Medikamente bekommen, die das Immunsystem beeinflussen, oder wenn die MS ihre Schluck- oder Atemmuskulatur geschwächt hat.

Was MS-Patienten in diesen Tagen beachten sollten, erklärt Harald Prüß, Neurologie-Professor an der Berliner Charité und Sprecher der Kommission Neuroimmunologie bei der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) im Interview.

Herr Prüß, Sie behandeln in Ihrer Klinik viele Patienten mit Multipler Sklerose ambulant. Wie geht es den Betroffenen in der Corona-Krise?

Soweit gut, bislang ist keiner unserer ambulanten Patienten an Covid-19 erkrankt. Wir passen aber auch höllisch auf, dass wir sie besonders schützen. Ärzte und Pfleger betreuen die Patienten nur noch mit Mund- und Nasenschutz. Hier im Krankenhaus ist die Ansteckungsgefahr gar nicht so groß, sondern eher auf dem Weg hierher. Wenn sie da vielleicht mit der S-Bahn kommen. Deswegen sprechen wir jetzt mit vielen Patienten per Telefon- oder Videosprechstunde.

Kann man die ambulante Sprechstunde einfach durch ein Telefon oder einen Videochat ersetzen?

Das geht natürlich nicht, wenn Patienten zum Beispiel eine Medikamenten-Infusion benötigen. Aber bei Verlaufskontrollen, in denen wir schauen, wie es den Patienten geht und ob sie mit ihren Medikamenten klarkommen, klappt es mittlerweile gut. Hat sich die gesundheitliche Situation verschlechtert? Gab es Hinweise auf einen akuten Schub der MS? Das sind Fragen, für die ein Patient nicht unbedingt vorbeikommen muss. Auch Medikament- oder Reha-Verschreibungen schicken wir jetzt zu. Das "tägliche Brot" funktioniert ganz gut digital.

Stecken sich MS-Patienten denn leichter mit dem neuen Coronavirus an?

Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass sich MS-Patienten häufiger anstecken.

Und wenn Sie eine Immuntherapie machen? MS-Patienten werden ja oft mit Medikamenten behandelt, die das Immunsystem schwächen.

Auch da ist das Risiko der Ansteckung wahrscheinlich nicht größer. Die Ansteckungsrate ist auch bei Gesunden hoch, wenn sie in näheren Kontakt mit einem Infizierten kommen. Die Frage ist: Was passiert nach der Infektion?

Sie meinen, wenn sich ein MS-Patient ansteckt und die Krankheit ausbricht. Das Robert Koch Institut zählt Menschen mit unterdrücktem Immunsystem zur Risikogruppe für einen schwereren Krankheitsverlauf.

Ja, Menschen mit einem geschwächten Abwehrsystem haben immer ein erhöhtes Risiko, dass Infektionskrankheiten bei ihnen einen schweren Verlauf nehmen. Das gilt auch für MS-Patienten, die sich mit dem neuartigen Coronavirus anstecken. Wir schließen das aus der Erfahrung, die wir mit anderen Viren gesammelt haben und über die unsere chinesischen Kollegen berichten.

Würden Sie Patienten dann raten, die Immuntherapie vorsorglich zu pausieren?

Auf keinen Fall. Das ist die klare Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Multiple Sklerose ist ein Krankheitsbild, das sich sehr schnell verschlechtern kann. Das neue Coronavirus wird uns noch längere Zeit begleiten - und da würde das Absetzen der Medikamente mehr schaden als nützen. Selbst nach einer Ansteckung macht das in aller Regel keinen Sinn.

Trotzdem sollten MS-Patienten während einer Immuntherapie besonders darauf achten, sich nicht anzustecken. Wie geht das am besten? 

Infektionsquellen vermeiden. Zuhause bleiben und den Kontakt zu anderen Menschen so gut es geht meiden.

Also komplette Isolation?

Das wäre das Sicherste. Gerade für kranke Menschen kann das aber sehr schwierig sein, weil für sie soziale Begegnungen oft besonders wichtig sind. Wenn Isolation nicht möglich ist, dann sollten Kontaktpersonen Mund- und Nasenschutz tragen, um den Erkrankten zu schützen. Entscheidend ist, dass nicht die Person die Maske trägt, die geschützt werden muss, sondern die anderen Personen. Außerdem sollte man Körperkontakt wie Händegeben vermeiden. Sehr wichtig ist es, die Hygienemaßnahmen genauestens zu befolgen: also vor allem regelmäßiges und gründliches Händewaschen.

Und wenn man doch rausgeht, dann lieber ins Feld statt in den Supermarkt.

Ja, richtig. Lieber ein Spaziergang mit dem Hund. Da kann eigentlich nichts passieren.

Was ist mit Sport?

Spricht nichts dagegen. Im Gegenteil: Sport hilft dem Wohlbefinden und der Immunabwehr. Ob Online-Kurs oder draußen joggen, das ist beides sehr zu empfehlen und in Deutschland ja auch weiterhin möglich.

Bewegung in Corona-Zeiten: Physiotherapie auf YouTube

Sport ist gesund für Körper und Geist. Für MS-Patienten kann Sport aber auch ein Teil ihrer Therapie sein, um etwa Symptome wie Fatigue (Müdigkeit, Erschöpfung), Muskel-Spastiken und andere Probleme zu verbessern.

Weil die Physiotherapie derzeit oft ausfällt, hat die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) das Projekt "Daily Spoks" gestartet: Auf dem gleichnamigen YouTube-Kanal veröffentlicht die Sportwissenschaftlerin Stephanie Woschek jeden Tag ein etwa 20-minütiges Nachmach-Video zum Heimtraining