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Sie fühlen sich benebelt und können sich schlecht konzentrieren. Es fällt ihnen schwer, sich zu orientieren, die passenden Worte zu finden und sich Dinge zu merken. Rund 27 Prozent aller Corona-Erkrankten berichten sechs Monate nach ihrer Infektion von solchen und weiteren geistigen Einbußen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie aus Deutschland. Es gibt kein Medikament und auch keine etablierte Therapie gegen diesen Brain Fog – wörtlich übersetzt „Gehirnnebel“. Doch Betroffene haben einige ­Optionen, um ihre Symptome zu lindern.

Brain Fog: Woher kommt das?

Eingeschränkt sind meist Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Aber auch das Planen und Ausführen von Handlungen. „Das kann so weit gehen, dass Betroffene nicht mehr arbeiten können, weil sie Schwierigkeiten haben, Videokonferenzen zu ­folgen oder Texte zu erfassen“, sagt Professorin ­Kathrin Finke, psychologische Leiterin des Gedächtniszentrums mit integriertem Neuro-Post-­COVID-Zentrum am Uniklinikum in Jena.

Prof. Kathrin Finke ist psychologische Leiterin der Gedächtnisambulanz am Universitätsklinikum Jena.

Prof. Kathrin Finke ist psychologische Leiterin der Gedächtnisambulanz am Universitätsklinikum Jena.

Doch woher kommt der gefühlte Nebel im Gehirn? Wie hinterlässt ein Virus, das doch vorrangig die Atemwege infiziert, auch Spuren im Denkorgan? „Wir kennen mittlerweile mehrere Mechanismen, über die das Virus Probleme im Nervensystem auslösen kann“, sagt Professor Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. So kann das Virus zum Beispiel Blutgefäße im gesamten Körper schädigen. Als mögliche Folge wird das Gehirn nicht ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und büßt deshalb an Leistungsfähigkeit ein.

„Außerdem verdichten sich die Hinweise, dass das Immunsystem eine Rolle spielt“, sagt der Neuro­wissenschaftler. „Wenn im Rahmen der Infektion aktivierte Immunzellen ins Gehirn einwandern, kann es zu einer anhaltenden Entzündungsreaktion kommen, die Nervenzellen und ­ihre Verbindungen untereinander in vielfacher Hinsicht stört.“ Zudem haben Forscherinnen und Forscher in der Gehirnflüssigkeit mancher Betroffener Autoantikörper gefunden – Abwehreiweiße, die sich gegen körpereigenes Gewebe richten.

Prof. Martin Korte ist Neurowissenschaftler an der TU Braunschweig und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.

Prof. Martin Korte ist Neurowissenschaftler an der TU Braunschweig und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.

Was überpüft werden kann

Erste Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten ist die hausärztliche Praxis. Dort werden weitere mögliche Ursachen für den Gehirnnebel abgeklärt: zum Beispiel ein Schlaganfall, eine Depression oder eine Demenzerkrankung wie etwa Alzheimer. Auch eine hohe Stressbelastung kann die Symptome auslösen.

Häufig helfen schon Entspannung, regelmäßiger Schlaf, Bewegung und eine ausgewogene Ernährung gegen Brain Fog. Falls nicht, ist Ergotherapie eine weitere Option. Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner haben auch die Möglichkeit, eine Rehabilitat­ion zu verschreiben. Dafür gibt es sogar ein ­Extra-Budget. Oder sie überweisen die Hilfe­suchenden an ein spezialisiertes Akutkrankenhaus wie das genannte Neuro-Post-­COVID-Zentrum des Uniklinikums ­Jena.

„Bei uns durchlaufen Patientinnen und Patienten ein komplexes Programm“, sagt Professorin Finke. Am Anfang steht dabei immer ein ausführliches Gespräch. Darin geht es um die individuelle Vorgeschichte der Betroffenen und um aktuelle Symp­tome. Außerdem erfolgen neuropsycholo­gische Tests, um zu erfassen, wie stark die Einbußen ausgeprägt sind und welche Hirnleistungen sie betreffen.

Wenn die Belastungen zu hoch sind

„Bei der Behandlung gehen wir schritt­weise vor, um herauszufinden, was hilft – und was nicht“, erläutert Finke. Das sei bei Betroffenen mit Long Covid äußerst indi­viduell. Entspannung und Achtsamkeit sind ein wesentlicher Baustein. Ergotherapie zielt darauf ab, die betroffenen kognitiven Funktionen zu trainieren: Spielerische Übungen sollen die Handlungsplanung, die Wort­findung und die Konzentration ­fördern.

Wichtig ist, die Betroffenen nicht zu überfordern

Viele Menschen mit Long Covid ermüden nach geistiger und auch körperlicher Anstrengung schnell und fühlen sich dann an den Folgetagen noch schlechter als zuvor. Fachleute sprechen von Post-Exertioneller Malaise (PEM) oder Belastungsintoleranz. Wer darunter leidet, muss lernen, gut mit seinen verminderten Energiereserven hauszuhalten. „Das sogenannte Pacing, bei dem wir gemeinsam mit den Betroffenen die richtige Balance zwischen Aktivierung und Schonung finden, ist daher ein wichtiger Bestandteil der Therapie“, so Finke. Pacing bedeutet im Englischen, sich die Kraft einzuteilen — und genau darum geht es im Zusammenhang mit Long Covid: das Tempo des eigenen Handelns soll gut kon­trolliert werden.

Finke will keine Prognosen stellen, wie gut sie den Betroffenen generell helfen kann – dazu wisse man noch viel zu wenig. „Meine klinische Erfahrung ist, dass die subjektiv empfundenen Symptome bei Nachunter­suchungen nach einem halben Jahr abgemildert sind“, sagt sie. „Das spricht dafür, dass bei vielen Betroffenen die Beschwerden sehr langsam, aber stetig abnehmen.“


Quellen:

  • Hartung TJ, Neumann C, Bahmer T et al.: Fatigue and cognitive impairment after COVID-19: A prospective multicentre study . In: EClinicalMedicine: 17.09.2022, https://doi.org/...
  • Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie: AWMF S1-Leitlinie Long/ Post-COVID. Leitlinie: 2022. AWMF: https://www.awmf.org/... (Abgerufen am 27.10.2022)