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„Am Kopf habe ich doch nichts – ich hatte nur ein Virus.“ Das hört Professor Volker Köllner häufig in seinem Arbeitsalltag. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Klinische Psycho­therapie, Prävention und Psycho­somatische Rehabilitationwar schon ­an der Behandlung vieler Patientinnen und Patienten mit Long Covid beteiligt. Also von Menschen, die auch Wochen bis Monate nach einer Infektion nicht richtig auf die Beine kommen. Die Irritation ist verständlich, schließlich befällt das Coronavirus nicht die Seele.

Doch akute Infektionen mit dem Virus können viele längerfristige Folgen nach sich ziehen. Etwa Erschöpfung, Kopfschmerz,Denk- und Gedächtnisstörungen, Atemprobleme und das Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Kein Wunder, dass bei vielen Betroffenen zusätzlich auch noch die Psyche leidet. Nicht wenige entwickeln Depressionen, Angst- und Schlafstörungen.

Wie erkenne ich meine Grenzen?

Typisch für Long Covid ist beispielsweise die Erschöpfung schon nach leichten geistigen oder körperlichen Anstrengungen, die sogenannte Belastungsintoleranz. Wer davon betroffen ist, läuft Gefahr, sich zu übernehmen oder zu stark einzuschränken. Die einen können partout nicht akzeptieren, dass sie nicht mehr so viele Termine an einem Tag meistern wie früher. Im Kampf gegen die Krankheit rennen sie immer wieder gegen ihre Grenzen an und werden von ihnen zurückgeworfen. Auf der anderen Seite stehen die zutiefst Verun­sicherten. Denen die Krankheit so zusetzt, dass sie sich noch weniger zutrauen, als ­eigentlich möglich ist.

„Beides ist menschlich, aber leider kontraproduktiv“, warnt Köllner, „Diejenigen, die zu viel wollen, können in eine Abwärts­spirale der Ermüdung geraten, und die Ängstlichen schränken sich mehr ein als nötig.“Es ist ein bisschen wie mit einem komplizierten Beinbruch. Wer sich über­lastet, riskiert, dass der Knochen nicht richtig heilt. Wer sich übermäßig schont, verliert Muskeln und Kraft. Wer unter Belastungsintoleranz leidet, muss lernen, gut mit seinen verminderten Energiereserven hauszuhalten. Das gelingt durch das sogenannte Pacing. Mehr dazu lesen Sie hier.

Das Pacing ist eine Hilfe, um das Heft des eigenen Handelns wieder unter Kontrolle zu bekommen. Doch längst nicht jeder schafft es, seine nun veränderte Situation zu akzeptieren. Eine Psychotherapie kann dazu beitragen, dass dies gelingt. Und sie kann auch generell helfen, wenn wegen irgendwelcher Long-Covid-Symptome zusätzlich die Psyche leidet.

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Psychotherapie

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Wo bekomme ich Hilfe?

Doch wie merken Menschen überhaupt, dass auch ihre Seele Hilfe braucht? Sie sendet nicht das eine, eindeutige SOS-Signal, wohl aber Warnzeichen: Ängste, Sorgen oder Niedergeschlagenheit nehmen überhand, es schleicht sich das Gefühl ein, den Alltag kaum zu bewältigen. Oder es gelingt nicht, zu akzeptieren, dass sich die eigenen Grenzen enger gezogen haben. Dann ist es eine gute Idee, sich Unterstützung zu holen. Hausarztpraxis oder Krankenkasse können dabei helfen, eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten zu finden.

Alternativ kann man sich auch über die Psychotherapeutenkammer oder die kassenärztliche Vereinigung Hilfe suchen. Spezialambulanzen für Post- oder Long Covid kommen ebenfalls als Anlaufstelle für Betroffene infrage. Spezielle Psychosomatik- oder Psychiatrie-Sprechstunden werden an den meisten größeren Krankenhäusern angeboten.

Wie finde ich Betroffene, mit denen ich mich austauschen kann?

Fest steht: Menschen mit einer Depression oder Angsterkrankung brauchen eine ­Psychotherapie. Betroffene müssen aber oft lange auf einen Therapieplatz warten, besonders in ländlichen Regionen. Um die Zeit zu überbrücken, können sie etwa mit einem Tagebuch ergründen, welche Signale ihr Körper sendet, wenn sie ihm zu viel abverlangen. Sie können ausprobieren, ob der Austausch über eine Selbsthilfegruppe ­guttut. Es gibt sie mittlerweile in ganz Deutschland, einige treffen sich auch ­online. „Auch Rehasportgruppen können ein erster Hilfsanker sein“, fügt Köllner hinzu. Zuweilen bekommt man rascher ­eine Reha als eine Psychotherapie.

Was bringen Entspannungverfahren?

Fachleute arbeiten daher an neuen Therapiekonzepten, die möglichst viele Menschen erreichen. Dr. Christine Allwangvon der Technischen Universität München hat gemeinsam mit anderen ein solches Konzept erarbeitet. Sie befragten Betroffene, trugen ihre Erfahrungen zusammen und analysierten Studien. Dabei kristallisierten sich wichtige Therapieschwerpunkte heraus: Stressbewältigung, das Wechselspiel aus körperlichen Beschwerden und Gefühlen, der Umgang mit Erschöpfung, das ­Sozial- und Berufsleben. In zwölf Therapieeinheiten sollen Patientinnen und Patienten in all diesen Bereichen Wissen erlangen und gestärkt werden.

Entspannungs­verfahren wie progressive Muskelentspannung und Atemübungen stehen auf dem Programm. Zudem wird besprochen, wie man die eigenen Kontakte wieder besser pflegen kann – mit der wenigen Energie, über die man verfügt. Gerade startet ein Pilot­projekt, in dem 120 Betroffene das Konzept durchlaufen. Zeigt der Ansatz Erfolg, sollen die Informationen dazu einer großen Anzahl von Therapeutinnen und Therapeuten zugänglich gemacht werden.

Was hilft Schwerstbetroffenen?

Schwerstbetroffene Menschen, die vor Erschöpfung bettlägerig sind, können im ersten Schritt weder eine ambu­lante Therapie noch eine Rehabilitation wahrnehmen. „Diese Patientinnen und Patienten brauchen meist erst einen Krankenhausaufenthalt, in dem sie fit genug für eine Reha werden“, sagt Köllner.

Wie spielen Körper und Psyche zusammen?

Für alle gilt: Körper und Psyche sind untrennbar miteinander verbunden. Eine ­Psychotherapie allein wird Long Covid nicht vollständig kurieren. Doch sie kann Beschwerden lindern. So ist gut belegt, dass das Schmerzempfinden eng mit der Stimmung zusammenhängt. Einsamkeit und ein Gefühl von Kontrollverlust können ebenfalls körperliche Symptome auslösen, zum Beispiel „auf den Magen schlagen“. Gelingt es in der Therapie also, die Stimmung zu heben, Einsamkeit zu lindern und ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben wiederzugewinnen, wirkt sich das auch auf die körperliche Verfassung aus.

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