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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat am Wochenende für Aufregung gesorgt. In der Rheinischen Post sprach er nach mehrmaligen Corona-Infektionen von einer „Immunschwäche (…) deren Dauer wir noch nicht kennen “. Zitat: „Wenn jemand nach zwei Infektionen ein stark gealtertes Immunsystem hat, ist es ratsam, dass er weitere Covid-Infektionen vermeidet.“ Aber lässt Covid-19 das Immunsystem wirklich stark altern? Wir haben den Immunologen Professor Andreas Radbruch gefragt.

Herr Professor Radbruch, altert das Immunsystem wirklich – und wenn ja, wie?

Sicher ist, dass die Aktivität der sogenannten Thymus-Drüse schon in der Pubertät nachlässt. Sie lässt bestimmte Abwehrzellen, die naiven T-Zellen, heranreifen. Die sind wichtig, um Infektionen mit Erregern, die der Körper bisher nicht kannte, abzuwehren. Bereits bei 20-Jährigen ist die Aktivität der Thymus-Drüse deutlich gedrosselt. Insofern beginnt die biologische Alterung des Immunsystems früh. Allerdings bedeutet eine geringe Anzahl naiver T-Zellen nicht automatisch ein geschwächtes Immunsystem. Denn andere Abwehrzellen können den Verlust auch kompensieren.

Der Immunologe Professor Andreas Radbruch leitet das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum und ist Professor für Experimentelle Rheumatologie an der Charité-Universitätsmedizin.

Der Immunologe Professor Andreas Radbruch leitet das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum und ist Professor für Experimentelle Rheumatologie an der Charité-Universitätsmedizin.

Gibt es weitere Anzeichen für eine Alterung der körpereigenen Abwehr?

Ja – die Ansammlung von Kollateralschäden im Blut. Wir nennen sie Auto-Antikörper. Das sind Abwehrstoffe, die gegen körpereigenes Gewebe gerichtet sind. Autoantikörper können im Laufe schwerer Infektionen als eine Art fehlerhafte Ausschuss-Produktion bei der Bildung von Abwehrkörpern entstehen. Je öfter der Mensch krank wird, umso größer ist dieses Risiko. Wenn sie oft durch Schlamm waten, bekommen sie eher Dreck ab.

Je älter man wird, desto mehr Autoantikörper hat man also im Blut?

Nicht zwangsläufig. Die Arbeitsgruppe von Professor Dr. Jean-Laurent Casanova an der Rockefeller University in New York City fand bei Forschungen an SARS-CoV-2- Infizierten heraus, dass nur vier Prozent der über 70-Jährigen solche Auto-Antikörper gegen Typ-1-Interferone hatten. Nicht als Reaktion auf die Covid-Erkrankung, sondern durch vorangegangene Infektionen.

Interferone sind Botenstoffe des Immunsystems und spielen eine große Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern wie dem Coronavirus. Ihre Blockade durch Autoantikörper könnte eine Erklärung für schwere Krankheitsverläufe sein. Bei jüngeren Menschen fand man so gut wie nie solche Autoantikörper und sie hatten auch fast durchweg einen milden Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion. Aber bei 20 Prozent der Patienten über 80 auf Intensivstationen fand man diese Autoantikörper im Blut. Auto-Antikörper können also Indiz eines gealterten, also geschwächten Immunsystems sein.

Können wiederholte Covid-19-Infektionen das Immunsystem vorzeitig altern lassen?

Ich halte das für ein Gerücht. Es gibt keine soliden Daten dazu. Nach einer SARS-CoV-2-Infektion sind wie nach Impfungen gegen Covid-19 zunächst weniger naive T-Zellen im Blut zu finden. Das ist bei allen Infektionen und Impfungen so: Schließlich haben sich vormals naive Abwehrzellen jetzt auf einen Erreger spezialisiert.

Diese Immunreaktion dauert mindestens ein halbes Jahr, oft länger. Dann kommen in der Regel neue naive T-Zellen nach. Von einer vorzeitigen Alterung könnte erst die Rede sein, wenn die Zahl der naiven T-Zellen dann nicht wieder steigt. Das kann man aber erst zwei Jahre nach einer Infektion sagen. Dazu liegen die Daten noch nicht vor.

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Bedeutet ein Rückgang naiver T-Zellen automatisch eine Schwächung des Immunsystems?

Aus der Zahl der naiven T-Zellen Rückschlüsse auf die Immunkompetenz zu ziehen, halte ich für gewagt. Denn wir wissen auch, dass es parallel zur Abnahme naiver T-Zellen im Blut meist auch einen Anstieg der erfahrenen Gedächtnis-Lymphozyten im Gewebe gibt.

Natürlich ist es so, dass bei einer sehr langen und schweren SARS-CoV-2 Infektion die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich Kollateralschäden, also Autoantikörper bilden und eine erworbene Immunschwäche auftritt. Aber bei wiederholten SARS-CoV-2-Infektionen ist der Fall anders gelagert. Der Körper hat schon eine Immunantwort gelernt, bekämpft die zweite Infektion schnell und effektiv. Das Risiko einer erworbenen Immunschwäche ist also bei zweiten und weiteren Infektionen geringer als bei der ersten.

Belastet Covid-19 den Körper stärker als andere Infektionskrankheiten?

Jeder Krankheitserreger hat eigene Tricks. SARS-CoV-2 veranlasst eine verfrühte Produktion des Botenstoffes TGFβ und blockiert so das Immunsystem. Aber so originell ist das gar nicht. SARS-CoV-1 arbeitete genauso. Die allermeisten Menschen werden gut mit SARS-CoV-2 fertig, eine außergewöhnliche Belastung für das Immunsystem sehe ich nicht.

Was sagen Sie den Menschen, die aktuell Angst haben, eine erneute Infektion mit SARS-CoV-2 könnte ihr Immunsystem nachhaltig schwächen?

Diese Sorge ist unbegründet. Wer die erste Infektion gut überstanden hat, hat ein minimales Risiko, einen Kollateralschaden davon zu tragen. Er ist nicht größer als bei jeder anderen Infektion. Kein Grund für Alarmismus.


Quellen:

  • Bastard P, Gervais A, Le Voyer, T et al.: Autoantibodies neutralizing type I IFNs are present in ~4% of uninfected individuals over 70 years old and account for ~20% of COVID-19 deaths. Science Immunology: https://www.science.org/... (Abgerufen am 26.01.2023)