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Herr Prof. Harald J. Schneider, in den sozialen Medien wird viel über Semaglutid als Abnehmmittel diskutiert. Bekommen Sie als Arzt etwas von dem Hype mit?

Prof. Harald J. Schneider: Tatsächlich werde ich im Freundeskreis in letzter Zeit immer mal wieder angesprochen: „Hey, du bist doch Diabetologe. Und da gibt es doch dieses neue Mittel …“ Anderen Kolleginnen und Kollegen geht es bestimmt ähnlich.

Professor Harald J. Schneider ist Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie

Professor Harald J. Schneider ist Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie

Wie reagieren Sie dann? Wenn man ein paar Kilos weniger haben möchte. Ist Semaglutid ein guter Weg?

Das kommt darauf an. Wenn es nur ein paar Kilos zu viel sind, kommt das Medikament auf keinen Fall in Frage. Es gibt hier klare Richtlinien, wann es verordnet werden kann.

Für wen ist es geeignet?

Zugelassen wurde es zunächst für Menschen mit Diabetes Typ 2. Hier ist es bereits seit einigen Jahren erfolgreich im Einsatz. Das Mittel führt dazu, dass in der Bauchspeicheldrüse vermehrt das blutzuckerregulierende Hormon Insulin ausgeschüttet wird, wenn wir Zucker aufnehmen. Auf diese Weise senkt das Medikament den Blutzucker, wenn der Spiegel im Blut zu hoch ist. Das Schöne: Es führt dabei üblicherweise nicht dazu, dass man in den Unterzucker rutscht.

Und wie kommt es dazu, dass man abnimmt?

Mittel wie Semaglutide wirken auf verschiedene Weise. Semaglutide gehört zu den sogenannten GLP-1-Agonisten. GLP-1 steht für Glucagon-Like-Peptide 1 und bezeichnet ein Hormon, das in unserem Darm gebildet wird. Außer auf die Bauchspeicheldrüse wirkt es auch im Gehirn auf das Sättigungszentrum. Es macht schneller satt und senkt das Hungergefühl. Dazu bremst es die Magenentleerung. All das führt dazu, dass man weniger Nahrung aufnimmt, wenn man Semaglutide spritzt.

Das heißt: Ich kann also gar nicht essen, was ich will. Sondern ich habe einfach keine Lust mehr darauf?

Ja, das ist wohl der Hauptmechanismus. Gerade am Anfang der Behandlung kommt es dabei häufig zu Magen-Darm-Problemen wie Übelkeit, Durchfällen und Erbrechen. Meist sind die Beschwerden allerdings gering bis mäßig. Auch gibt es oft einen Gewöhnungseffekt und die Probleme vergehen mit der Zeit.

Gibt es noch andere Nebenwirkungen?

Vorsichtig sein sollten Menschen, die Probleme mit der Gallenblase haben. Auch diese arbeitet verlangsamt, was das Risiko für Gallensteine erhöht. Selten kommt es auch zu Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Bevor man das Mittel verordnet, muss man daher prüfen: Ist der Patient oder die Patientin gefährdet? Es gibt auch bestimmte genetische Erkrankungen, bei denen es nicht genommen werden sollte. Daher sollte das Medikament immer von einem Arzt verschrieben werden, der das im Vorfeld prüft.

Wann kommt es als Abnehmmittel in Frage?

Nur bei krankhaftem Übergewicht, das heißt bei einem BMI (Body-Mass-Index) von über 30 oder über 27, wenn bereits Erkrankungen vorhanden sind, die auf das Übergewicht zurückgehen wie Bluthochdruck oder zu hohe Cholesterinwerte. Wenn dazu noch mehrere andere Therapieansätze gescheitert sind, kann Semaglutide – in Verbindung mit einer Ernährungs- und Bewegungstherapie – eine Option sein. Adipositas ist nicht einfach ein Lifestyle-Problem, das sich löst, indem man weniger isst. Es ist eine chronische Erkrankung, bei der in vielen Fällen ärztliche Hilfe nötig ist. Aber eine Influencerin, die einen BMI von 22 hat und drei Kilo abnehmen will, die ist definitiv keine Kandidatin – auch nicht, wenn sie einen BMI von 26 hätte.

Semaglutid gibt es nur auf Rezept. Und ich sage mal: Einen BMI von über 30 hatte Elon Musk jetzt noch nicht. Woher hatte er das Medikament?

Hier kann ich nur spekulieren, dass manche Menschen es verordnet bekommen, obwohl es für ihr Ziel – ein paar Kilos zu verlieren – nicht zugelassen ist. Von Semaglutide hört man, dass es zum Beispiel in den USA für Diabetiker schon knapp wurde. Die missbräuchliche Verwendung könnte dafür mit ein Grund sein.

Im September wurde ein neues Mittel für Diabetes zugelassen: Tirzepatid. Es soll noch mehr Pfunde purzeln lassen.

Es tut sich im Augenblick in dem Bereich sehr viel. Tirzepatid wirkt sozusagen doppelt. Neben GLP-1 imitiert es noch ein weiteres Magen-Darm-Hormon, nämlich GIP. Wie man in Studien sieht, kommt es zu einer verstärkten Wirkung sowohl auf den Blutzucker als auch auf das Gewicht. In einer Untersuchung nahmen Menschen mit starkem Übergewicht, die keinen Diabetes hatten, im Schnitt 20 Kilo ab. Das ist möglicherweise noch etwas mehr als bei Semaglutide.

Ist Tirzepatid bereits verfügbar?

Derzeit ist es nur zur Behandlung des Diabetes zugelassen, noch nicht für Adipositas. Ich erwarte aber, dass das kommen wird. Im Augenblick ist es in Deutschland allerdings selbst für Diabetespatienten noch nicht verfügbar, was sich wohl im Verlauf des Jahres ändern wird. Aber auch für dieses Mittel gilt: Es ist kein Lifestyle-Medikament.

Und es ist teuer: Bereits Semaglutide in der Dosierung für Diabetiker kostet etwa 240 Euro im Monat.

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Was passiert, wenn ich das Mittel wieder absetze?

Medikamente wie Semaglutide wirken nur, solange man sie spritzt. Setzt man sie ab, muss man damit rechnen, dass man wieder zunimmt. Ähnlich wie nach einer Diät, die man nur ein paar Wochen durchgehalten hat. Denkbar wäre sogar, dass es zu einem Jojo-Effekt kommt. Man nimmt bei der Diät ab – und wenn man wieder normal isst, wiegt man am Ende sogar mehr als zuvor.

Wenn Medikamente nur in manchen Fällen geeignet sind: Wie bekomme ich Übergewicht langfristig in den Griff?

Ich rede da immer vom Aha-Effekt: Ab heute anders. Wenn jemand sein Gewicht reduzieren will, muss er etwas dauerhaft verändern. Ansonsten gibt es keine Therapie nach Schema F. Beim einen ist das Problem das gestörte Sättigungsgefühl, beim anderen der niedrige Grundumsatz. Der dritte ist ein Frustesser, der gestresst abends nach Hause kommt und als Belohnung vor dem Fernseher isst. Auch der Stoffwechseltyp ist wichtig: Wer etwa eine ausgeprägte Insulinresistenz hat, sollte die Kohlenhydrate noch stärker reduzieren, als jemand, bei dem das nicht der Fall ist. Übergewicht ist ein sehr individuelles Problem und muss individuell behandelt werden. Medikamente können dabei immer nur eine Unterstützung sein.

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