Scharfe Arznei: Senföle gegen Bakterien
Pflanzen mit Senfölen kann so leicht kein Fraßfeind etwas anhaben. Auch der Mensch nicht. Die Stoffe beginnen zu wirken, wenn das Gewächs verletzt wird. "Deshalb kommen einem zum Beispiel die Tränen, wenn man in einen Meerrettich beißt", erklärt Dr. Wolfgang Schiedermair, Apotheker in Würzburg.
Alternative zu Antibiotika?
Die bittere und scharfe Note hindert nicht nur Tiere daran, weiter an der Pflanze zu knabbern. Senföle bieten auch Bakterien, Pilzen und manchen Viren die Stirn. Diese Eigenschaften machen sie als medizinischen Wirkstoff so interessant. Jüngst werden sie sogar als pflanzliches Antibiotikum gehandelt, eventuell als Mittel gegen multiresistente Keime, gegen die herkömmliche Antibiotika nichts mehr ausrichten.
"Allerdings gibt es bisher noch keine aussagekräftigen oder größeren Studien mit Patienten, nur vielversprechende Laboruntersuchungen im Reagenzglas", sagt Professor Bernhard Uehleke, der in der Abteilung für Naturheilkunde des Immanuel-Krankenhauses in Berlin forscht.
Kresse gegen Blasenentzündungen
Die scharfen Stoffe stecken vor allem in sogenannten Kreuzblütlern wie Rettich, Meerrettich[41889], Radieschen oder in Kapuzinerkresse, Senf und Kohlsorten. Gegen Krankheitserreger wirken sie auf mehreren Ebenen. "Sie verhindern etwa, dass sich Bakterien an der Blasenwand festhalten können", sagt Schiedermair.
In der ärztlichen Behandlungsleitlinie zu häufig wiederkehrenden Blasenentzündungen werden Medikamente mit Senfölen deshalb zumindest als erwägenswert genannt.
Gleichzeitig bewirken die Pflanzenstoffe, dass Erreger keinen Biofilm bilden. Dieser macht Bakterien so gefährlich, weil sie durch ihn quasi unangreifbar werden. "Bakterien formieren sich in Kolonien, und ab einer bestimmten Größe bilden sie eine Art Gel oder Schleim um sich", so der Pharmazeut. Medikamente haben es dann zunehmend schwerer, etwas gegen die Krankheitserreger auszurichten.
Erste Erkenntnisse im Klostergarten
Das Wissen um die gesundheitsfördernden Eigenschaften von Meerrettich und seinen Verwandten reicht weit in die Vergangenheit. Die Kapuzinerkresse etwa wurde in ihrer Heimat Peru schon seit ältester Zeit zur Behandlung von Wunden eingesetzt.

Wolfgang Schiedermair, Apotheker aus Würzburg, hier im Botanischen Garten der Stadt
© W&B/Bernhard Kahrmann
Im späten Mittelalter brachten holländische Seefahrer sie nach Europa. Hier wuchs die Pflanze mit den blutroten Blüten, die sich an heißen Sommerabenden elektrisch entladen und kleine Lichtfunken aussenden, vor allem in Klostergärten. Daher wohl auch ihr Name: die Kresse der Kapuzinermönche. In der Volksmedizin nutzte man die frischen Blätter vor allem als angeblich blutreinigenden Frühlingssalat.
Den Rettich selbst kannte man in Europa bereits in der Antike, er taucht etwa in einer Schrift des Arztes Dioskurides auf. Er findet das Gemüse lecker – und stellt fest, dass es Blähungen erzeugt und harntreibend wirkt. Die Äbtissin Hildegard von Bingen empfiehlt Meerrettich im 12. Jahrhundert bei Lungenbeschwerden.
Hausmittel Ingwer
Im 16. Jahrhundert nennt der Naturforscher Adam Lonitzer das Gewächs den "Teutschen grünen Ingwer" und schreibt ihm therapeutische Effekte bei Harnwegsentzündungen zu.
Im 17. Jahrhundert kommt die Wurzel in Kombination mit Brunnenkresse gegen die Vitaminmangelkrankheit Skorbut zum Einsatz. Hierfür empfiehlt sie der Mediziner
Johann Schröder, der den "Artzney- Schatz" verfasste. Das wichtige Arzneibuch seiner Zeit rät außerdem, mit Meerrettich Fieber zu senken und Verschleimungen zu lösen.
Gewächse mit Senfölen waren damals Hausmittel. Sie wurden geerntet und von den Frauen zu Arzneien oder medizinischen Anwendungen verarbeitet. Hustensaft aus Rettich zum Beispiel stellte man her, indem man das Gemüse aushöhlte, mit ein wenig
Zucker füllte und über Nacht stehen ließ.
"Dann zieht die Pflanze gerade in Verbindung mit dem Zucker Saft", sagt Schiedermair. "Als herkömmliches Ackerunkraut konnte man auch Senfpflanzen jederzeit sammeln."
Scharfe Kapseln aus der Apotheke
Heute haben es Patienten leichter. Es gibt Fertigarzneimittel mit Kapuzinerkresse und Meerrettich gegen Blasenentzündung. "Anders als bei anderen Pflanzenstoffen wird hier nicht der Extrakt verwendet, sondern der zerkleinerte Stoff selbst", sagt Pharmazeut Schiedermair.
Deshalb muss man relativ viele Kapseln einnehmen. Ebenso sind Präparate für die Infektabwehr erhältlich. Zudem stecken Senföle als Bestandteil in Teemischungen. Am besten in der Apotheke danach fragen.
Aufpassen sollten Menschen mit einem empfindlichen Magen oder Sodbrennen. Sie vertragen die scharfen Stoffe häufig nicht so gut. Ebenso wenig eignen sie sich für Kinder.
Reizende Wickel gegen Schmerzen
Wer möchte, kann die Pflanzen aber auch heute noch eigenhändig zu Hausmitteln verarbeiten (siehe Kasten unten). Eine Möglichkeit, um die Heilkraft von Senfölen zu nutzen, sind Wickel mit Meerrettich oder weißem Senf. Sie sollen bei Erkrankungen der oberen Atemwege helfen.
Bei Gelenkbeschwerden, rheumatischen Schmerzen und Muskelverspannungen können solche Auflagen ebenfalls guttun. "Senföle reizen die Haut, sie rötet sich und wird besser durchblutet", erklärt Schiedermair.
Die Anwendungen wirken auch über Wärme. Dadurch entspannt sich die Muskulatur. Aber Achtung: Sobald sich die Haut warm anfühlt, den Wickel herunternehmen, sonst drohen Verbrennungen.
Zubeißen und freisetzen
Senfmehl oder Senfsamen bekommt man zum Beispiel in der Apotheke. Der Vorteil: "Dann haben sie einen gewissen Mindestgehalt an wirksamkeitsbestimmenden Stoffen", sagt Schiedermair. Wer sich stattdessen im Gewürzregal bedient, hat diese Garantie nicht.
Senföle wirken so stark, dass die Gewächse selbst die Stoffe nur in einer Vorstufe speichern. "Würden sie frei herumschwirren, würde das den Zellstoffwechsel der Pflanzen schädigen", erläutert Uehleke. Die Senföle sind deshalb in Zuckermolekülen verpackt. Wer in ein Radieschen beißt, zerstört die Moleküle – und schmeckt die gesunde Schärfe.