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Wieder dieser nervige Schwindel beim Aufstehen. Das Blutdruckmessgerät zeigt 110 zu 70 – eher niedrig. Da ist doch der blutdrucksenkende Betablocker unnötig. Ich setze die Tabletten ab! „Einige Patienten und Patientinnen denken so“, sagt Apothekerin Stefanie Knarr aus Oettingen. Und fügt hinzu: „Vorsicht! Der Blutdruck ist bei vielen nur niedrig, weil sie Tabletten nehmen, das wird gerne vergessen.“ Zudem darf man Betablocker wie Metoprolol oder Bisoprolol nie eigenmächtig absetzen, sondern muss die Dosis nach ärztlicher Anweisung langsam und schrittweise verringern.

Warum werden Medikamente ausgeschlichen?

Ausschleichen – so heißt das langsame Beenden einer Therapie in Etappen. Manche Behandlungen, die über Wochen, Monate oder Jahre gingen, sollten nicht abrupt abgebrochen werden. Warum das Absetzen nicht einfach möglich ist, erklärt Prof. Dr. Julia Stingl, die das Institut für Klinische Pharmakologie an der Uniklinik Aachen leitet: „Der Körper hat sich daran gewöhnt, dass ein bestimmter Wirkstoff immer da ist, und hat bestimmte Abläufe angepasst. So hat er etwa den Prozess, wie er die Arznei verarbeitet und ausscheidet, beschleunigt.“ Fehlt die Substanz plötzlich durch schnelles Absetzen, kann er zum Beispiel mit unangenehmen Nebenwirkungen reagieren. Indem die Dosis stufenweise reduziert wird, bekommt der Organismus Zeit, sich umzustellen.

Das gilt zum Beispiel für Betablocker. Sie schirmen das Herz vor Stresshormonen wie Adrenalin und Noradrenalin ab. Der Herzschlag verlangsamt sich, die Pumpleistung nimmt ab, der Blutdruck sinkt. Setzt man sie abrupt ab, ist das Herz plötzlich nicht mehr abgeschirmt. Es droht eine überschießende Gegenreaktion mit starkem Anstieg von Puls und Blutdruck. Die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls erhöht sich. Daher schleicht man Betablocker immer aus.

Tabletten Einnehmen Ausschleichen

Absetzen: Medikamente gezielt ausschleichen

Schleichender Prozess: Nach längerer Einnahme sollten viele Arzneimittel nicht plötzlich abgesetzt werden. Dazu zählen zum Beispiel Kortison, Antidepressiva und Schlafmittel. Hilfe gibt es in der Apotheke zum Artikel

Warum werden Medikamente eingeschlichen?

Auch beim Therapiestart kann zuviel Tempo schaden. Manche Arzneien, die langfristig eingenommen werden sollen, schluckt man nicht sofort in voller Wirkstärke, sondern schleicht sie ein. Heißt: Die Dosis wird schrittweise erhöht. Etwa bei Antidepressiva oder Antiepileptika. Und bei Betablockern. „Nimmt man Betablocker sofort in hoher Dosis ein, ohne dass der Körper an den Wirkstoff gewöhnt ist, kommt man vielleicht die Treppe gar nicht hoch und es wird einem übel, weil das Herz so gebremst wird“, so Stingl. Wie lange und in welchen Abständen bis zur Zieldosis erhöht wird, ist individuell und hängt von der Erkrankung und dem verschriebenen Medikament ab.

Diese Medikamente muss man einschleichen oder ausschleichen

Säureblocker

Protonenpumpenhemmer wie Pantoprazol und Omeprazol reduzieren die Bildung von Magensäure. Sind die Präparate einmal verschrieben, ist es leider nicht selten, dass sie über Monate oder sogar Jahre weiter eingenommen werden. Stefanie Knarr sieht das täglich in der Apotheke: „Viele Kunden wissen nicht, warum sie den Magenschutz noch nehmen. Umso wichtiger ist, dass regel­mäßig vom Arzt geprüft wird, ob das Mittel überhaupt noch gebraucht wird.“ Patienten und ­Patientinnen, die über ein oder zwei Wochen Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac nehmen, bekommen zusätzlich oft Magenschutz verschrieben. Brauchen sie das Schmerzmittel nicht mehr, können sie in der Regel auch die Magen­tabletten absetzen.

Aber: Sollten Sie einen Protonenpumpenhemmer über Monate oder Jahre in hohen Dosen und/oder mehrmals täglich eingenommen haben, ist es sinnvoll, die Dosis schrittweise zu reduzieren. Beim abrupten Absetzen würde zu viel Magensäure produziert. „Um dann die säurebedingten Magenschmerzen zu lindern, greift der Patient oder die Patientin sofort wieder zu den Tabletten“, so Knarr. Setzen Sie daher Protonenpumpenhemmer nur in Rücksprache mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin ab. Sollten Beschwerden beim Ab­setzen auftreten, helfen säurebindende Arzneien (Antazida), die Symptome zu lindern.

Medikamente

Abhängig von Medikamenten

Ob Schlafmittel oder Schmerztablette: Manche Arzneien können in Krisen eine Stütze sein. Langfristig machen sie aber abhängig. zum Artikel

Abführmittel

Stuhlgang klappt nur noch mit Abführmittel? Dann hat sich der Darm womöglich an die Arzneistoffe gewöhnt. „Der Darm wird träge und braucht Reize von außen, um arbeiten zu können“, sagt Knarr. Schnell greift man wieder zum Abführmittel – als „Teufelskreis“ bezeichnet es die Apothekerin. In dem Fall sollten Sie nach ärztlicher Rücksprache die Dosis schrittweise verringern, nicht abrupt absetzen. Das würde sofort wieder zu Verstopfung führen. Tropfen kann man besonders fein dosieren, sie eignen sich daher gut zum Ausschleichen. ­Wichtig: Ausgewogene Ernährung, ausreichend trinken und ­Bewegung regen den Darm an.

Schlafmittel

Medikamente gegen Schlafstörungen wie Zopiclon oder Zolpidem können – wenn durchgehend eingenommen – nach wenigen Wochen abhängig machen. Bricht man die Behandlung dann abrupt ab, kann es zu Entzugssymptomen wie Angst, Schlaflosigkeit und Kreislaufstörungen kommen. „Die Person greift dann automatisch wieder zur Schlaf­tablette“, sagt Stingl, „die Dosis sollte daher schrittweise verringert werden.“ Das Ausschleichen kann viele Monate dauern. Wie lang, ist individuell und hängt von der Dauer der Einnahme und der Dosis ab. „Zur Unterstützung können pflanzliche Schlafmittel eingenommen werden“, rät Apothekerin Knarr. Abhängig machen auch Benzodiazepine, die als Beruhigungsmittel verschrieben werden. Auch von diesen muss man sich gegebenenfalls über Monate entwöhnen.

Antidepressiva und Antiepileptika

Sowohl Medikamente gegen Depressionen als auch gegen Epilepsie nehmen Betroffene meist jahrelang ein. Zu Therapiebeginn werden sie eingeschlichen, um den Körper langsam an Wirkstoff und Nebenwirkungen zu gewöhnen. Denn, so Pharmakologin Stingl, „vor allem bei den Antidepressiva dauert es eine Weile, bis sie wirken. Die Nebenwirkungen können jedoch ab der ersten ­Tablette auftreten.“ Das langsame Steigern ermöglicht auch, die niedrigste wirksame und zugleich verträglichste ­Dosierung zu finden.

Außerdem gilt: Nie abrupt absetzen! Die Mittel werden immer über Monate ausgeschlichen, damit der Körper sich an das Fehlen der Arznei gewöhnt. Das Ausschleichen geschieht in Begleitung eines erfahrenen Arztes oder einer erfahrenen Ärztin. So stellt man sicher, dass eine Depression nicht wieder aufflammt oder es zu Krampfanfällen kommt. Wie genau hoch- oder herunterdosiert wird, bespricht Ihr Arzt mit Ihnen. Die Apotheke berät Sie zu passenden Hilfsmitteln, etwa Tablettenteilern.

Kortisonpräparate

Kortison ist der umgangssprachliche Begriff für die Wirkstoffgruppe der Kortikoide, die ähnlich wie das körpereigene Hormon Cortisol wirken. Sie sind unter anderem stark entzündungshemmend und werden etwa bei Rheuma oder entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt. Da der Körper den Hormonspiegel selbst reguliert, drosselt er als Reaktion auf die Zufuhr von außen seine Produk­tion. Beendet man dann die Therapie schlagartig, kann ein lebensbedrohlicher Cortisolmangel entstehen. „Es kommt zu Nebenwirkungen wie Schwäche, Übelkeit und niedrigem Blutdruck – Symptome, die einem starken Hormonmangel entsprechen“, sagt Stingl. Um dem Körper Zeit zu geben, die eigene Cortisolproduktion wieder anzukurbeln, verringert man die Dosis nur langsam.

Aber: Das gilt nicht für jede Behandlung mit Kortikoiden. „Eine einwöchige Therapie mit Tabletten kann man, auch mit höheren Dosen, sofort beenden. Geht die Therapie länger als zwei bis vier Wochen, sollte die Dosis schrittweise verringert werden“, so Knarr. Ein individuelles Schema gibt den genauen Weg der Entwöhnung vor.

So hilft Ihnen Ihre Apotheke vor Ort

Ob und wie eine Arzneitherapie beendet werden soll, entscheidet immer der Arzt oder die Ärztin. Ihre Apotheke kann Sie in Zusammenarbeit mit Arzt oder Ärztin beim Einschleichen und Ausschleichen der Medikamente unterstützen. Gegebenenfalls erhalten Sie dort auch Arzneien gegen unangenehme Begleiterscheinungen.

Hilfreich: Medikamentennamen merken

Medikamente richtig entsorgen

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Quellen: