Selbstversuch: Drei Wochen ohne Zucker
Mittwochs treffe ich mich mit meiner besten Freundin in unserer Lieblingsbäckerei. Wir quatschen, trinken Kaffee und essen Franzbrötchen. Die kommen frisch aus dem Ofen, sind herrlich zimtig. Und zuckrig. Kein besonders gesundes Frühstück. Schon bald darauf knurrt mir der Magen. Die Zeit bis zum Mittagessen überbrücke ich mit einem Müsliriegel. Auch da steckt Zucker drin. Und zum Nachmittagskaffee gibt es ein Stück Schokolade.
Nicht selten verputze ich abends auf dem Sofa noch ein Schälchen Gummibärchen. Ich habe den Inhalt gewogen: rund 100 Gramm. Das sind etwa 50 Gramm Zucker. Und damit über den Tag verteilt mehr, als die Weltgesundheitsorganisation WHO als Maximum für einen durchschnittlichen Erwachsenen festgelegt hat: 50 g Zucker pro Tag.
So kann das nicht weitergehen! Als Medizinjournalistin schreibe ich ständig über gesunde Ernährung. Da sollte meine doch etwas vorbildlicher sein. Außerdem möchte ich keinen Diabetes bekommen. Drei Wochen möchte ich keinen Zucker essen, zumindest den offensichtlichen nicht, der etwa in Süßigkeiten, Gebäck und Getränken steckt.
Tag 1: Willkommen in der Hölle
Was soll ich frühstücken? Normalerweise esse ich gekauftes Müsli — mit Zucker. Ich finde eine Packung Haferflocken, schnipple einen Apfel klein, dazu ein paar Nüsse, Milch drüber. Fertig ist das zuckerfreie Müsli. Schmeckt nicht übel.
Aber Moment: Ist Obst okay? Da ist ja auch Zucker drin, Fruktose. Die ist nicht besser als „normaler Zucker“, zu viel davon kann eine Fettleber begünstigen. Und: Obst enthält nicht nur Fruktose, sondern einen Zucker-Mix. Streng genommen müsste ich es also weglassen. Obst enthält aber auch viele Vitamine und Ballaststoffe. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt täglich 3-mal Gemüse, 2-mal Obst. Ich setze auf eher zuckerarme Sorten wie etwa Beeren und Äpfel.
Gegen 11 Uhr bekomme ich wieder Hunger. Gedankenverloren krame ich in der Schublade mit den Müsliriegeln. Stopp, böse! Nach dem Mittagessen habe ich so viel um die Ohren, dass ich nicht ans Naschen denke. Richtig schwer wird es am Abend: Ich bin bei Freunden zum Essen eingeladen. Zum Nachtisch gibt es Blaubeerkuchen. Der sieht wahnsinnig lecker aus und ist es wohl auch. Aber ich bleibe tapfer.
Tag 2: Die Gier lässt nach
Als ich aufwache, habe ich, anders als sonst, gar keinen Hunger. Ein erster Effekt des Verzichts? Vielleicht. Süßes lässt den Blutzuckerspiegel rasch ansteigen. Die Bauchspeicheldrüse schüttet jede Menge Insulin aus, um den Zucker in die Zellen zu transportieren. Der Spiegel sinkt, kurzzeitig kann man sogar in den Unterzucker rutschen. Die Folge: Hunger und — logisch — das Bedürfnis zu essen. Ohne Zucker aus der Nahrung steigt der Blutzuckerspiegel langsamer, vor allem wenn ich stattdessen gesunde Lebensmittel, gutes Öl oder Vollkornprodukte esse.
Nach einem stressigen Telefonat ist sie plötzlich wieder da, die Lust auf Süßes. Waren da nicht noch Gummibärchen im Schrank? Nur ein paar …? Nein! Ersatzweise gehe ich eine Runde laufen. Danach fühle ich mich wieder besser.
Woher kommt dieser Jieper? Er ist angeboren. Erblickten unsere Vorfahren einen Baum mit reifem Obst, aßen sie davon, so viel sie konnten. Es galt, Reserven anzulegen. Schließlich könnte eine Dürrephase kommen. Mittlerweile ist das, zumindest hierzulande, recht unwahrscheinlich. Unsere Kühlschränke sind voll, Essen jederzeit verfügbar. An unserem genetischen Programm hat sich dagegen kaum etwas verändert. Zwar steht nicht jeder auf Franzbrötchen und Gummibärchen. Kalorienreiches Essen mögen wir aber alle. Und: Je süßer man von Kindesbeinen an isst, desto mehr gewöhnt man sich daran.
Tag 3: Franzbrötchentag — nicht für mich
Es ist Mittwoch. „Wie immer: zwei Franz, zwei Kaffee?“, fragt die freundliche Verkäuferin. Ich muss verneinen. Meine Freundin beißt herzhaft in ihr Franzbrötchen. Ich denke an den süßen, zimtigen Geschmack und knabbere an einem Vollkornbrötchen.
Tag 7: Die neue Gewohnheit
Ich glaube, ich bin über den Berg: Immer seltener überkommt mich die Lust auf Süßes. Ich fühle mich frisch und kann mich gut konzentrieren. Ähnliches hat Ernährungsforscher Stefan Kabisch von der Berliner Charité in seinen Studien schon häufig beobachtet. Je konsequenter der Verzicht, desto stärker sei der Effekt. Trotzdem freue ich mich unbändig auf das erste Franzbrötchen „danach“.
Tag 22: Endlich geschafft!
Die drei Wochen sind vorbei. Das Franzbrötchen schmeckt besser denn je. Vielleicht ein bisschen süßer. Nanette Ströbele-Benschop, Professorin für Angewandte Ernährungspsychologie an der Universität Hohenheim, kann sich trotzdem nicht vorstellen, dass das Experiment hilft, mein Ernährungsverhalten dauerhaft zu verändern. Dafür braucht es einen längeren Atem. Wer es schaffe, seinen Zuckerkonsum schrittweise über Monate hinweg zu reduzieren, könne damit durchaus die Lust auf Süßes drosseln, sagt sie. Klingt einleuchtend. Mein Franzbrötchen am Mittwochmorgen lasse ich mir dennoch nicht nehmen.
Quellen:
- Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, kurz AGES: WHO Zucker Empfehlungen . Online: https://www.ages.at/... (Abgerufen am 14.12.2022)
- Robert Koch-Institut (RKI): Übergewicht und Adipositas, Studie GEDA 2019/2020-EHIS. In: Online 01.01.2021, 1: 1
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.: Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE. Online: https://www.dge.de/... (Abgerufen am 16.01.2023)