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1. Ursachen verstehen

"Ich brauche jetzt was zu essen, bin schon total unterzuckert!" Was für viele Menschen einfach nur eine Redewendung ist, kann zur ernsten Gefahr für Menschen mit Diabetes werden. Unterzucker oder Hypoglykämie, auch "Hypo" genannt: Das ist ein Zustand, in dem zu wenig Zucker im Blut ist, um Körper und Gehirn ausreichend mit Energie zu versorgen.

Bei Gesunden reguliert sich der Zuckerspiegel ganz von selbst. Vereinfacht läuft das so ab: Wenn Zucker ins Blut gelangt, wird Insulin ausgeschüttet, um die Energie in die Zellen zu schleusen. Sinkt der Zuckerspiegel, drosselt die Bauchspeicheldrüse die Insulinfreisetzung und ruft Insulin-Gegenspieler wie Glukagon auf den Plan. Dieses Hormon mobilisiert gespeicherte Energiereserven. Ein kritischer Tiefpunkt wird nicht erreicht.

Anders bei Typ-1-Diabetes: "Hier kann bei langer Diabetesdauer die Glukagon-Antwort deutlich abgeschwächt sein", sagt Dr. Jürgen Wernecke, Chefarzt der Klinik für Diabetologie am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg. "Wenn dann zu viel Insulin injiziert wird, ist die Antwort über Glukagon zu schwach, um den Blutzucker wieder anzuheben." Auch bei Typ-2-Diabetes kann die Gegenregulation mit der Zeit nachlassen.

Wer als Typ-2-Diabetiker Sulfonylharnstoffe einnimmt, kann ebenfalls in schwere Unterzuckerungen geraten. Denn die Tabletten stimulieren die Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse unabhängig vom Blutzuckerspiegel.

2. Grenzen kennen

Einen festen Grenzwert für Unterzuckerungen gibt es nicht. Denn Menschen reagieren sehr indivi­duell – wo die einen noch völlig klar und handlungsfähig sind, kippen die anderen schon um. Mediziner sprechen oft von Unterzuckerungen, wenn die Blutglukose unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) liegt. Wenn der Betroffene sich noch selbst helfen kann, gelten sie als "leicht". Als "schwer" werden Hypos eingestuft, bei denen man auf fremde Hilfe angewiesen ist. Leichte sind ziemlich häufig. In einer aktuellen Studie berichteten während eines Zeitraums von vier Wochen 83 Prozent aller Teilnehmer mit Typ-1-Dia­betes und knapp die Hälfte der Typ-2-Diabetiker von mindestens einer Unterzuckerung. 14 Prozent (Typ 1) beziehungsweise 9 Prozent (Typ 2) machten sogar eine schwere Hypoglykämie durch.

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3. Symptome deuten

"Als Antwort auf sinkende Zuckerspiegel schüttet der Körper unter anderem Adrenalin aus", erklärt die Diabetologin Dr. Ines Hönemann aus Greffen. Das ist Teil der Gegenregulation und löst typische Stressreaktionen aus: Schwitzen, Unruhe, Herzrasen, Kopf­schmerzen. Wer solche Warnzeichen bemerkt und Kohlenhydrate zu sich nimmt, die schnell ins Blut gelangen, kann die Talfahrt stoppen. "Bleibt der Energienachschub aus, fängt bei weiter sinkenden Blutzuckerwerten das Gehirn an zu unterzuckern", so Hönemann. Betroffene werden zum Beispiel aggressiv, unkonzentriert, verwirrt oder bekommen Sehstörungen. Schlimmstenfalls drohen Krampf­anfälle und Bewusstseinsverlust.

Je länger ein Diabetes besteht und je mehr Unterzuckerungen ein Diabetiker durchgemacht hat, umso größer ist die Gefahr, dass er Zuckertiefs nicht rechtzeitig oder gar nicht mehr spürt. Ärzte sprechen dann von einer "Wahrnehmungsstörung". Auch nächtliche Hypos bleiben oft unbemerkt, weil im Schlaf das Stress-Warnsystem nicht so gut funktioniert. Manchmal sind morgens die Folgen spürbar, wenn man verschwitzt oder mit Kopfschmerzen aufwacht.

Video: Unterzucker erkennen und behandeln

4. Pannen vermeiden

"Oft sind weggelassene Mahlzeiten Auslöser für ein Zuckertief", weiß Dr. Jürgen Wernecke. "Das Mahlzeiten-Insulin wird gespritzt oder die Sulfonylharnstoff-Tablette genommen, aber dann kommt ein Anruf, und das Essen ist vergessen." Dosierungsfehler bei Insulin oder Tabletten führen ebenfalls zu Blutzucker-Schieflagen. Um keine Hypo zu riskieren, sollten vergessene Diabetestabletten nicht nachträglich eingenommen werden.
Was manchmal übersehen wird: Auch Medikamente, die nicht wegen des Diabetes verordnet werden, etwa Schilddrüsenhormone, können den Zuckerstoffwechsel beeinflussen. Bei Unterzuckerungen mit unklarer Ursache sollte der Arzt immer den Medikationsplan ansehen.

Eine weitere Ursache kann intensive Bewegung sein. Sie macht die Zellen empfindlicher für Insulin, der Bedarf sinkt. Außerdem steigt der Zuckerver­­brauch der Muskeln.Beim Sport gilt: weniger Insulin sprit­zen, eventuell zusätz­liche Kohlenhydrate essen, Zucker häufiger checken. Nach Sport am Abend lieber etwas höhere Werte in Kauf nehmen. Das Hypo­-Risiko kann noch Stunden später erhöht sein, weil die Muskeln ihre Zucker­speicher auffüllen.

Ein besonders fieser Hypo-Auslöser ist Alkohol. Die enthaltenen Kohlenhydrate treiben den Zucker zunächst nach oben. Wer hohe Werte dann mit Insulin "runterspritzt", riskiert eine Hypo, weil Alkohol die Bildung von Zucker in der Leber hemmt. Deshalb gilt: für Kohlen­hydrate aus dem Alkohol kein Insulin berechnen und ebenfalls mit erhöhtem Wert schlafen gehen!

"Häufig führen Spritzfehler zu Unterzuckerungen", ergänzt Diabetologe Wernecke. Wenn Insulin immer in denselben Bereich injiziert wird, bildet sich dort Narbengewebe. Gespritztes Insulin gelangt schlechter ins Blut, die Dosis muss erhöht werden. Trifft eine Injektion dann zufällig eine gut durchblutete Stelle, wirkt sie unerwartet stark.