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Schön, dass Sie sich Zeit nehmen konnten. Ich hoffe, ich tue mich nach dem Gespräch selbst leichter, einen Beipackzettel zu lesen.

Ich bin gerne behilflich. Aber Sie sehen ein wenig blass aus. Geht es Ihnen nicht gut?

In meinem Magen grummelt es. Ich habe vorhin eine Kopfschmerztablette genommen. Ob das daher kommt?

Wie kommen Sie darauf?

Ich habe nur kurz in den Beipackzettel gespickt. Da stand was von Blutungen im Magen. Selbst zu Durchbrüchen sei es schon gekommen. Ich wünschte, ich hätte die Pille nie geschluckt.

Sie müssen schon genau lesen. Stand da vielleicht „sehr selten“? Das bedeutet, dass es weniger als einen von 10 000 Menschen trifft, die das Mittel nehmen. Was haben Sie denn heute Morgen gegessen?

Nichts. Ich habe nur schnell zwei Tassen Kaffee reingekippt.

Ich denke, da haben wir die Ursache. Es könnte natürlich auch sein, dass Nocebo im Spiel ist.

No-was? Bitte nicht schon wieder eine neue Krankheit …

Noch nie etwas von dem dunklen Bruder des Placebo-Effekts gehört? Der müsste ihnen ja geläufig sein. Egal, ob Sie in die Arztpraxis gehen oder eine Arznei nehmen: Bei jeder medizinischen Behandlung mischt die Psyche mit. Wenn Sie erwarten, dass eine Pille hilft, dann hilft sie in der Regel auch – zumindest ein wenig. Selbst dann, wenn kein Wirkstoff drinsteckt. Beim Nocebo-Effekt ist es umgekehrt.

Ich erwarte also, dass die Tablette nicht hilft?

Schlimmer: Sie erwarten, dass eine Behandlung üble Folgen hat. Wie etwa eine Magenblutung. Das geht leider vielen so, wenn sie die Nebenwirkungen im Beipackzettel lesen. Sie bekommen Angst – und teils auch die erwarteten Beschwerden. Manche nehmen die Medikamente dann auch nicht, obwohl sie wichtig wären.

Wenn das so ist: Warum lässt man die langen Listen mit Nebenwirkungen nicht einfach weg?

Unmöglich! Stellen Sie sich vor, Sie leiden an einer schweren Nebenwirkung – und keiner weiß, dass es von dem Medikament kommt. Sie nehmen es einfach weiter, vielleicht mit gefährlichen Folgen. Die Hersteller sind verpflichtet, auf uns Beipackzetteln alles auflisten, was für den Patienten oder die Patientin wichtig sein könnte. Und dazu gehören eben alle möglichen Nebenwirkungen, selbst sehr seltene – und sogar Beschwerden, die möglicherweise nur zufällig zur gleichen Zeit aufgetreten sind.

Also, ich hab jedenfalls keine Lust mehr auf Nocebo. Künftig werde ich den Beipackzettel in der Packung stecken lassen.

Auch das ist keine Lösung. Schließlich steht auf mir auch, wie oft und in welcher Dosis man das Medikament nehmen sollte. Auch wann es gar nicht geeignet ist oder mit welchen anderen Mitteln es sich nicht verträgt.

Was würden Sie mir also raten?

Wenn Sie ängstlich sind, die Nebenwirkungen einfach überspringen. Fragen Sie doch lieber in der Apotheke oder Arztpraxis, ob es etwas Wichtiges zu beachten gibt. Und wenn Sie das nächste Mal Kopfschmerzen haben: Legen Sie sich hin und ruhen sich aus, statt gleich eine Pille zu schlucken.

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