Medikation bei Diabetes: Viel zu viele Pillen?
Wissen Sie, wofür dieses Medikament ist? Dr. Olaf Rose stellt seinen Patienten diese Frage häufig. „Leider schaue ich oft in ratlose Gesichter“, sagt der Apotheker aus Steinfurt. Sind das jetzt die Tabletten fürs Herz oder gegen die erhöhten Cholesterinwerte?
Vier von zehn Menschen über 65 Jahren nehmen täglich fünf und mehr Arzneimittel ein. Experten sprechen von Polymedikation. Da fällt es oft schwer, den Überblick zu behalten. Menschen mit Diabetes sind häufig unter denjenigen, die jeden Tag einen Arzneimittel-Mix einnehmen. Damit die Therapie wirklich anschlägt, sind mehrere Dinge wichtig. Die Dosierungen müssen stimmen, die Medikamente sollten sich nicht gegenseitig in ihrer Wirkung beeinflussen, und die Patienten müssen alles richtig anwenden.
Mit Medikationsplan den Überblick behalten
Dabei kann etwa ein Medikationsplan helfen. Er steht seit 2016 allen gesetzlich Versicherten zu, die mindestens drei rezeptpflichtige Arzneimittel dauerhaft einnehmen. „Gerade Menschen mit Diabetes, die regelmäßig zum Hausarzt, aber auch zur Diabetologin und anderen Fachspezialisten gehen, sollten darauf achten, dass jede Praxis alle Medikamente darauf einträgt“, sagt Professorin Dr. Christiane Muth von der Universität Bielefeld.
In der Regel legt der Hausarzt den Plan an. Er trägt alles Wichtige ein: den Präparatnamen, Wirkstoff, Dosis, Darreichungsform und Grund der Einnahme. Die Patienten sollten den Plan bei jedem Arztbesuch, bei Klinikaufenthalten und in der Apotheke vorlegen. Denn er bringt nur etwas, wenn er aktuell und vollständig ist.
Den Plan immer dabei haben
In der Realität sieht das oft anders aus, weiß Apotheker Olaf Rose: „Viele Patienten haben den Medikationsplan nicht dabei oder sie besitzen keinen.“ Eine Befragung der Barmer von 2020 zeigt, dass fast jeder Fünfte mit fünf oder mehr Dauermedikamenten über keinen Medikationsplan verfügt. Und falls doch, wird dieser oft nicht richtig gepflegt. Der Facharzt schreibt etwa ein Schmerzmittel gegen die Arthritis auf, aber der Medikationsplan liegt zu Hause? Dann kann es zu einer Doppelverordnung kommen, denn auch die Hausärztin hat womöglich etwas gegen Schmerzen verschrieben.
Oft sei Ärzten nicht klar, dass die Patienten wegen ihrer Beschwerden unterschiedliche Praxen aufsuchen, sagt Muth. Mehr als die Hälfte aller Patienten hat mehr als einen verordnenden Arzt, ergab eine Umfrage der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Manche suchen auch noch Rat bei Heilpraktikern und holen sich rezeptfreie Arzneien und naturheilkundliche Präparate in der Apotheke. „Diese werden selten im Medikationsplan eingetragen“, sagt Muth. So kann es passieren, dass Wirkstoffe sich nicht miteinander vertragen. Es treten Neben- oder Wechselwirkungen auf. Nicht selten kommt es zu sogenannten Verschreibungskaskaden: Die Wechselwirkungen werden nicht als solche erkannt, sondern gegen die Beschwerden bekommen die Betroffenen ein weiteres Medikament.
Gleicher Wirkstoff, anderer Name
„Damit der Medikationsplan funktioniert, ist die Mitarbeit der Patienten wichtig“, sagt Muth. Ebenso sollten die Apotheker ihn im Blick behalten. Manchmal geben sie zum Beispiel ein Medikament mit anderem Namen aus, das aber den gleichen Wirkstoff enthält, weil es günstiger ist als das vom Arzt verschriebene. Die Verpackung sieht anders aus, was die Patienten verwirren kann.
Nach einer Behandlung in einem Krankenhaus verlieren viele vollends den Überblick. In der Klinik bekommen Patienten die Arzneimittel gestellt. Nach der Entlassung stehen sie mit Neuverschreibungen da. Und zu Hause liegen die Tabletten, die sie bisher eingenommen haben. „Leider gibt es häufig Wissenslücken an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Hausarzt“, sagt Prof. Muth. Auch hier können die Patienten mithelfen: „baldmöglichst mit dem Hausarzt den Medikationsplan besprechen.“
Medikamente nicht eigenmächtig absetzen
Tatjana Buck kennt die Verunsicherung nach der Klinik. Sie ist ATHINA-Apothekerin. ATHINA steht für Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken. Oft wäre eine Medikationsanalyse jetzt sinnvoll, meint sie: „Wir bieten an, alle Arzneimittel gemeinsam zu checken und zu erfassen, was warum eingenommen werden sollte.“ Für Menschen, die täglich fünf oder mehr Medikamente nehmen, übernimmt seit Kurzem die Kasse die Kosten.
Olaf Rose, der seit Langem solche Checks durchführt, ist sicher, dass sie viel bringen: „Es kommt zu weniger Neben- und Wechselwirkungen, die Patienten wissen, warum sie was nehmen, und setzen nichts ohne ärztliche Rücksprache ab.“ Das passiert gelegentlich, wenn Mittel nicht gut vertragen werden. „Das kann auch mal das Metformin gegen den Diabetes sein, das am Anfang der Therapie häufiger zu Magen-Darm-Beschwerden führt“, sagt Buck. „Wenn ich außerdem verständlich mache, dass ein Medikament vor einem Herzinfarkt oder Schlaganfall schützt, sind die meisten bereit, es einzunehmen.“ Manche kommen mit großen Kapseln oder verschiedenen Einnahmezeitpunkten nicht zurecht. „Wir klären mit dem Arzt, ob andere Medikamente infrage kommen.“
Diese Vorteile bietet eine Stammapotheke
Auch Einnahmefehler spürt eine Medikationsanalyse auf. Olaf Rose berichtet von einem Diabetes-Patienten, der falsche Nadeln zu seinem Pen erhielt und deshalb zu wenig Insulin spritzte: „Werden alle Medikamente in der gleichen Apotheke geholt, fallen solche Dinge auf.“ Nach dem Check bekommen die Patienten einen Medikationsplan mit, den sie verstehen und der auf dem aktuellen Stand ist.