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Wenn Dr. Jakob Berger Hausbesuche bei Menschen mit Diabetes macht, entdeckt er so manchen verborgenen Schatz. Auf seine Bitte, ihm ihre Tabletten zu zeigen, öffnen die Patienten das Arzneischränkchen. "Manchmal stapeln sich darin ungeöffnete Packungen mit Medikamenten, die ich verschrieben habe", erzählt der Hausarzt aus Herbertshofen.

Kennen Sie das auch? Sie haben ein neues Mittel bekommen, aber weil die Verdauung damit Probleme verursacht, nehmen Sie es lieber nicht ein. Und Ihr Arzt wundert sich, warum die Zuckerwerte nicht sinken.

Um Diabetes und weitere chronische Erkrankungen zu behandeln, sind oft mehrere Arzneien nötig. Diese so zu kombinieren, dass sie gut wirken, aber möglichst keine Neben- oder Wechselwirkungen entfalten, ist nicht einfach.

Die roten, die weißen, die blauen... Bei der Tablettenflut kann man leicht vergessen, welche wofür sind und wie und wann man sie einnimmt

Die roten, die weißen, die blauen... Bei der Tablettenflut kann man leicht vergessen, welche wofür sind und wie und wann man sie einnimmt

Das Problem: Der Überblick fehlt

Aus Sicht des Arztes ist es so: Er verschreibt Medikamente, aber seine Patienten nehmen diese nicht immer wie erhofft ein. Tabletten werden vergessen, verwechselt, zur falschen Zeit oder überhaupt nicht geschluckt. Und weil die Behandlung vermeintlich nicht wirkt, erhöht der Arzt die Dosis oder verordnet ein weiteres Mittel.

Als Patient haben Sie eine andere Sicht auf die Dinge: Sie haben zu Ihrem Typ-2-Diabetes womöglich noch hohen Blutdruck, Herz- und Gelenkbeschwerden. Und bekommen deshalb viel zu schlucken. Statistisch gesehen braucht jeder dritte Bundesbürger ab 65 Jahren täglich fünf oder mehr Arzneien. Wie soll man denn da noch den Überblick behalten?

Das gelingt den Wenigsten. Laut einer Studie des Universitätsklini­kums Greifswald kennen viele Kranke den Namen, den Zweck oder die richtige Dosierung ihrer Medikamente nicht.

Pillen-Rätsel:

Viele Patienten kennen wichtige Fakten zu ihren Medikamenten nicht:

   25 % kennen die Namen der Arzneien nicht

   44 % verwenden eine falsche Dosierung

   53 % wissen nicht, wogegen sie das Mittel nehmen

Die Lösung: Fragen Sie nach!

"Als Arzt muss ich mir natürlich Zeit nehmen, den Patienten ihre Medikation zu erklären", meint der Hamburger Diabetologe Dr. Jens Kröger. "Nur ein Rezept auszustellen genügt nicht." Sein Rat: Wenn Sie Sorge haben, sich das Gesagte nicht merken zu können, schreiben Sie wichtige Infos auf. Oder bringen Sie einen Angehörigen mit, der später als Gedächtnisstütze einspringen kann. Wenn Sie Fragen zu Ihren Medikamenten haben: "Rufen Sie Ihren Arzt an oder besprechen Sie das Problem beim nächsten Besuch", empfiehlt Kröger. Auch in Apotheken berät man Sie gerne.

Wie heißt das Mittel? Wofür ist es? Wie nehme ich es ein? Diese drei Fragen sollten Sie beantworten können. Klären Sie außerdem, ob Ihre Diabetesmedikamente Unterzuckerungen auslösen können. "Weil die Mittel unterschiedlich ansetzen, etwa in Bauchspeicheldrüse, Leber, Niere oder Darm, lässt der Blutzucker sich oft besser senken, wenn man die Medikamente kombiniert", sagt Kröger. Das macht verständlich, warum Ihnen der Arzt womöglich mehrere Präparate gegen dieselbe Erkrankung verschreibt.

Endlos lang entfaltet sich der Beipackzettel – und schreckt beim Lesen oft mehr ab, als zu informieren

Endlos lang entfaltet sich der Beipackzettel – und schreckt beim Lesen oft mehr ab, als zu informieren

Das Problem: Es tut nicht weh

Weil nicht nur Ihr Blutzucker, sondern auch Ihr Blutdruck und Cholesterin zu hoch sind, sollen Sie jeden Tag einen ganzen Pillen-Cocktail schlucken. So ganz sehen Sie das nicht ein — es ging Ihnen doch eigentlich auch ohne all die Medikamente ganz gut.

Die Lösung: Denken Sie voraus

"Psychologisch kann ich das absolut nachvollziehen", sagt Hausarzt Dr. Berger. Bei einem akuten Bandscheibenvorfall würde jeder vermutlich bereitwillig Schmerzmittel nehmen, um den Tag zu überstehen. Aber hoher Blutzucker tut eben nicht weh, vergessene Tabletten auch nicht. Und Symptome macht Diabetes oft erst, wenn es zu Folgeschäden kommt. Solche bedrohlichen Erkrankungen, etwa von Augen, Nieren und Füßen, gelte es zu verhindern, so Mediziner Berger: "Ihre Medikamente helfen Ihnen dabei."

Zweifel am Nutzen eines Mittels kommen mitunter auf, wenn der Beipackzettel mit einer Aufzählung grässlicher Nebenwirkungen abschreckt. Legen Sie ihn trotzdem nicht unbesehen weg! "Informieren Sie sich über die richtige Dosierung, Einnahme und häufige Nebenwirkungen", rät der Hausarzt. Wenn Sie glauben, unter Nebenwirkungen eines Medikaments zu leiden, setzen Sie es nicht einfach ab, sondern beraten Sie sich dazu mit Ihrem Arzt. Vielleicht gibt es eine verträglichere Alternative? Oder die Symptome gehen nach einer Gewöhnungszeit vorüber.

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Weiße Tabletten

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Das Problem: Rezepte sind rätselhaft

Hat Ihr Arzt nur "1-0-1" aufs Rezept geschrieben, und Sie wissen nicht, was das bedeutet? Es verunsichert Sie vielleicht so sehr, dass Sie die Tabletten lieber gar nicht schlucken.

Die Lösung: Ihre Stammapotheke hilft

In der Apotheke berät man Sie zu allen Fragen rund um die ­­Medikamenteneinnahme. "1-0-1" etwa bedeutet, dass morgens und abends je eine Tablette einzunehmen ist, mittags aber keine, erklärt Olaf Rose. "Wir Apotheker sagen Ihnen auch, ob das Mittel auf nüchternen Magen, zu oder nach einer Mahlzeit geschluckt werden sollte."

Im Beratungsgespräch kann Olaf Rose seine Kunden auch darauf vorbereiten, dass ihre gewohnten Tabletten plötzlich anders aussehen. Er erklärt, warum: Krankenkassen schließen mit Pharmaherstellern Verträge ab, welche die Apotheken verpflichten, ein Präparat dieses Herstellers an die Versicherten der betreffenden Krankenkasse abzugeben. Wenn die Krankenkassen den Vertragspartner wechseln, kann sich Aussehen und Form des Arzneimittels ändern.

Mit Hilfe Ihrer Stammapotheke vermeiden Sie auch Risiken bei der Selbstmedikation. Denn anders als oft geglaubt sind rezeptfreie Präparate nicht automatisch frei von Nebenwirkungen. Auch sie können sich durchaus nicht mit den Arzneien vertragen, die der Arzt verordnet. Jens Kröger erlebt es in seiner diabetologischen Praxis immer wieder. "Als sich bei einer Patientin ein bestimmter Laborwert verschlechterte, konnte ich mir das zunächst nicht erklären", erzählt er. Bis ihm die Frau erzählte, dass sie Johanniskraut-Kapseln einnehme, um ihre Stimmung aufzuhellen. Die Laborwert-Veränderung war eine Nebenwirkung der Pflanzenpillen.

Jens Kröger glaubt, dass digitale Neuerungen in der Arzneiversorgung künftig viel verbessern können. Ohne Mithilfe der Patienten werde es trotzdem nicht gehen: "Der wichtigste Teil des Ganzen sind Sie selbst!" Bei Typ-2-Diabetes sei die Basis der Therapie der eigene Lebensstil. "Wenn Sie sich gesund ernähren und aktiv leben, tut das Ihrem Blutzucker gut — und das garantiert ohne Nebenwirkungen!"

Nützliche Alltagshelfer

  • Ordnung in das Pillen-Sortiment bringen Medikamentenboxen, die in mehrere Fächer für jeden Tag unterteilt sind.
  • Feste Rituale tragen dazu bei, an die Medikamente zu denken. Zum Beispiel: Immer wenn der Tisch fürs Essen gedeckt wird, stellt man die Tabletten gleich dazu.
  • Wer ein Smartphone hat, kann kostenlose Apps nutzen, die zu festgelegten Zeiten an die Einnahme erinnern.

Das Problem: Viele Ärzte mischen mit

Knifflig wird es für Ihren Hausarzt, wenn Sie zusätzlich bei Fachärzten in Behandlung sind, ohne dass er davon weiß. Mehr Ärzte, das bedeutet mehr Verordnungen, und nicht immer vertragen sich die verschriebenen Mittel. Arzneistoffe können sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken oder abschwächen, mit manchmal riskanten Folgen. Nach Expertenschätzungen sind Medikamente für fünf bis zehn Prozent aller Klinikeinweisungen verantwortlich. Die eine Hälfte davon wird durch Nebenwirkungen, die andere durch Wechselwirkungen verursacht.

Ein Klick, ein Blick: Mit einem aktuell gehaltenen Medikationsplan sind Patienten, Ärzte und Apotheker immer über die Therapie im Bilde

Ein Klick, ein Blick: Mit einem aktuell gehaltenen Medikationsplan sind Patienten, Ärzte und Apotheker immer über die Therapie im Bilde

Die Lösung: Nutzen Sie den Medikationsplan

Ein Medikationsplan schafft Überblick. Er steht Ihnen zu, wenn Sie mindestens drei verordnete Arzneien dauerhaft einnehmen. Ihr Arzt trägt ein, was er verschreibt und wie es einzunehmen ist. Auch rezeptfreie Präparate gehören auf den Plan. Im Idealfall halten Hausarzt, Fach- und Klinikärzte sowie Apotheker den Plan stets auf aktuellem Stand. "Helfen Sie ihnen dabei", bittet der Apotheker Dr. Olaf Rose aus Steinfurt. "Nehmen Sie zu jedem Arzt- und Apothekenbesuch einen aktuellen Ausdruck mit." Und besprechen Sie mit dem Arzt oder Apotheker, ob ein verordnetes Mittel für Wechselwirkungen bekannt ist.

Die Zukunft wird digital

Einen besseren Überblick über Medikamente, Behandlungen und Befunde sowie mehr Sicherheit für Patienten soll die geplante Digitalisierung von Gesundheitsdaten bringen. Bereits jetzt kann ein Teil der gesetzlich Krankenversicherten den Medikationsplan als "elektronischen Medikationsplan" auf der Gesundheitskarte speichern lassen. Ab diesem Jahr soll die "elektronische Patientenakte" als eine Art digitale Bibliothek alle gesundheitsrelevanten Daten bündeln — das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt.

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