Warum Muskeltraining gesund hält – und wie jeder dabei einsteigen kann
Neulich diese Stellenanzeige im Internet, die einen geradezu anzuflehen schien: „Ohne dich könnten wir nur halb so viel stemmen.“ Eine Langhantel ragte aus dem Bild heraus.
Stemmen, wuppen, tragen, schleppen, schieben, wegdrücken, belastbar sein – überall ist auch in unserer Sprache von Kraft die Rede. Ist das Leben denn ein Kraftakt? Leicht ist was anderes. Fallen wir uns selbst zur Last? Manchmal sicher. Jedenfalls gibt es einiges zu tragen im Leben. Schließlich bugsieren wir uns selbst, unser eigenes Körpergewicht, durch die Welt. Dazu zählen auch die gut 200 Knochen und über 600 Muskeln. Mit denen sitzen, laufen und stehen wir, tragen Dinge durch die Gegend, steigen Treppen und arbeiten mitunter schwer im Beruf. Gut, dafür stark zu sein.
Wie oft in der Woche ist Krafttraining sinnvoll?
Schon ab dem 30. Geburtstag verlieren wir jedes Jahr etwa ein Prozent unserer Muskelmasse. Einfach so. Blöd, wenn das Körpergewicht durch den Lebensstil noch zunimmt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt deshalb, zweimal pro Woche Kraft und Muskeln zu trainieren. „Damit du groß und stark wirst“, sagen Ältere gern zu Kindern. Spätestens ab sofort sollte ergänzt werden: „Damit du stark bleibst“ – denn das ist fast noch wichtiger.
Muskeln machen gesund, das sagen sämtliche Expertinnen und Experten, mit denen man über Kraft spricht. „Muskeln wurden lange, lange Zeit falsch angeschaut. Sie galten als Motor für Bewegungen und fertig“, sagt Prof. Dr. Jürgen Gießing, Sportwissenschaftler an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Gießing, Jahrgang 1967, macht eigenen Angaben zufolge seit 40 Jahren Krafttraining. Er sieht deutlich jünger aus. „Muskeln sind Fleisch, ganz profan. Je größer ein Muskel, desto größer ist das Potenzial für Kraft“, sagt der Hamburger Trainer Arlow Pieniak, den man auch Insta-Kraftfluencer nennen könnte. Seit der Corona-Pandemie erklärt er seinen Followern, warum Kraft so wichtig ist. Er ist klein, athletisch – aber weit weg vom Bodybuilder-Klischee.
Warum halten uns Muskeln gesund?
Wie können Muskeln bitte gesund sein? Sind sie nicht einfach da – oder eben nicht? „Wir wissen mittlerweile: Wenn sie sich unter Belastung zusammenziehen, nehmen sie nicht nur Stoffe aus dem Blut auf, sondern geben auch welche ins Blut ab“, sagt Jürgen Gießing. „Diese werden nur dort, im Muskel, produziert: sogenannte Myokine.“
Myokine werden mitunter gern als Superkraft des menschlichen Körpers gefeiert. Anfang der 2000er-Jahre wurden die Botenstoffe von einer Forschungsgruppe um die dänische Professorin Bente Klarlund Pedersen entdeckt. Über Myokine kommunizieren Muskeln etwa mit dem Gehirn oder dem Fettgewebe, den Knochen, der Leber, dem Darm, Gefäßen und der Haut. Sie lösen Stoffwechselveränderungen im Immunsystem aus, beim Glukosestoffwechsel und vielem mehr. Sie senken das Krebsrisiko und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Sie sind einfach gesundheitsfördernd“, sagt Sportwissenschaftler Gießing.
Wie kann Muskeltraining das Leben beeinflussen?
Wenn wir stark sind, dann sind, bleiben oder werden wir gesund. Besser gesagt: gesünder, so viel Differenzierung muss sein. „Starke Menschen leben länger und besser“, sagt Christopher Herrmann, Personal Trainer im MTMT-Studio in München. Das sei „ein Fakt, an dem es nichts zu rütteln gibt“. Und Kraft? „Kraft ist die Fähigkeit, Widerstand zu überwinden, während Muskeln das Gewebe sind, das diese Kraft erzeugt“, sagt Luise Walther, Neuroathletik-Trainerin in Berlin. Arlow Pieniak ergänzt: „Wenn ich im Alter selbstständig sein will, sollte ich rechtzeitig mit Krafttraining anfangen.“
Welches Image hat Krafttraining heute?
Und auf einmal ist da nicht mehr viel übrig von geäderten und unnatürlich selbstgebräunten Muskelpaketen oder rot angelaufenen Gewichthebern mit staubigen Händen und Beckengurt. Das Krafttraining hat seinen miesen Ruf verloren. Gut so. „Früher wurde bei dem Begriff gern die Nase gerümpft, weil er mit dem klischeehaften, stumpfen ‚Pumpen‘ verbunden wurde. Inzwischen existiert viel mehr Facettenreichtum“, sagt Trainer Christopher Herrmann. „Wo früher hauptsächlich ‚Aussehen‘ angestrebt und vermarktet wurde, heißen die Grundmotivationen heute Leistungsfähigkeit und Gesundheit.“
Für wen ist Krafttraining geeignet?
Wir kommen alle unterschiedlich stark auf die Welt und bleiben es. Doch die meisten Menschen eint, dass mit fortgeschrittenem Alter das Aufstehen vom Sessel oder morgens aus dem Bett einer Anstrengung gleicht. Die richtig gute Nachricht: Kraft kann in jeder Lebensphase trainiert werden. Mehr werden. Das Krafttraining ist in der breiten Masse angekommen.
Sicher haben jüngere Menschen – mit Mitte, Ende 20 ist man im Vollbesitz seiner Muskelmasse – andere Motivationen, es auszuprobieren, als Menschen in der Lebensmitte. Definitiv aber muss Krafttraining ein Schlüsselbegriff in Altersforschung, Pflege und Geriatrie werden. Denn der Verlust von Muskelmasse und Kraft, da sind sich Forschende einig, ist ein wesentlicher Treiber von Gebrechlichkeit. Und diese geht oft mit Pflegebedürftigkeit einher.
Wenn also keine schwerwiegenden Krankheiten vorliegen, sollte man als alternder Mensch nicht sagen müssen: Das kann oder schaffe ich nicht mehr. Sondern: Das will ich wieder hinkriegen. Oder: Das will ich nicht verlieren. „Gesunde Alte können dasselbe Training absolvieren wie Junge“, sagt Jürgen Gießing. Und: Es ist nie zu spät, anzufangen. Also nimmt man all seine Vorsätze zusammen, erinnert sich an die Sportart aus der Kindheit oder wagt sich sogar an etwas Neues – aber dann: zwickt’s im Rücken, zieht es in der Schulter, reißt ein Band im Knie. Verletzung, Pause, schonen, Ende. Falscher Weg, sagen alle Trainerinnen und Trainer unisono. Von Arlow Pieniak stammt der eindrückliche Satz: „Regelmäßiges Trainieren ist die Voraussetzung, um Sport machen zu können.“ Echt jetzt?
Was ist der Unterschied zwischen Sport und Training?
Sportwissenschaftler Gießing sagt ebenfalls: „Das Gesunde ist streng genommen nicht der Sport, sondern regelmäßiges Training.“ Oha. Christopher Herrmann beschreibt es so: „Vereinfacht kann man sich Muskelmasse als unsere Hardware vorstellen. Die müssen wir aufbauen und dafür braucht unser Körper Training.“ Kraft sei dann die Software, die auf der Hardware installiert wird. Also erst Training, dann Sport? Leider ja.
Arlow Pieniak erlebt in seinem Studio immer wieder, dass Kundinnen und Kunden Sport und Training gleichsetzen: „Sie gehen zum Sport und erwarten Trainingseffekte. Die werden sie aber nicht bekommen oder allenfalls zufällig.“ Pieniak und sein Team, aber auch Christopher Hermann in München, Luise Walther in Berlin und Jürgen Gießing in Kaiserslautern definieren „Training“ alle sehr unterschiedlich. Was sie eint: Man muss es tun, und zwar regelmäßig, und es sollte ein bisschen anstrengen.
Was unterscheidet Kraft- von Ausdauertraining?
Vom Training kann man viele Effekte erwarten, aber nicht unbedingt, dass es Spaß macht. Oje. Ja, ergänzt Jürgen Gießing, Trainieren sei nun mal eine sehr systematische Form, um bestimmte Teile des Körpers (Muskeln) zu reizen und zu entwickeln. „Wir wachsen am Widerstand“, sagt er.
Regelmäßiges Spazierengehen, Joggen, Schwimmen, Im-Garten-Arbeiten – alles tadellos. Nur sei dies eben Ausdauer- und kein Krafttraining. „Ausdauer ist elementar für unser Herz-Kreislauf-System. Kraft entsteht beim gezielten Arbeiten gegen einen Widerstand.“ Also ein Gewicht. Und zwar über eine kurze Zeit von etwa einer bis anderthalb Minuten. „Dabei sollte man an den Punkt kommen“, sagt Gießing, „dass man ein weiteres Mal stemmen, ziehen oder drücken nicht mehr schafft. Wenn ein Muskel kurz zur Energiebereitstellung ohne Sauerstoff gezwungen wird, wird er stärker und kräftiger.“ Anaerobes Training nennt man das auch.
Wie kann ein Krafttraining aussehen?
Krafttraining muss nicht komplex sein, es kann, vereinfacht gesagt, aus vier Basisübungen bestehen:
- der Kniebeuge,
- Rudern (ein Gegenstand wird auf Hüfthöhe gezogen),
- Bankdrücken (Gewicht wird von der Brust weggedrückt),
- Schulterdrücken (ein Gewicht aus Brusthöhe über Kopf stemmen).
Aber muss man dafür wirklich an Geräte? Überraschung: Unser Körper ist, auch ohne Übergewicht, für die meisten Übungen eigentlich zu schwer. Und weil das auch im Alltag so ist, schummeln wir oft, nehmen Schonhaltungen ein. So können Schmerzen entstehen. Arlow Pieniak verdeutlicht das einmal mehr am Treppensteigen: Dabei, sagt er, müssen wir mit einem Bein das komplette Körpergewicht tragen und schieben. Mal beobachten: Von einer zur anderen Stufe liegt das Gewicht auf nur einem Bein und muss hochgedrückt werden. Geht doch, jeden Tag, sagen Sie? Okay. Aber nehmen Sie auch jede Treppe und nie einen Aufzug? Eben.
Stufen laufen kann also helfen. Es lässt einen aber nicht um systematisches Krafttraining herumkommen. Dafür sind Trainerinnen und Trainer da, Fitnessstudios und Geräte. Sie schützen einen davor, sich zu Beginn zu überlasten, und sie helfen, sich stetig zu steigern. Vorher sollte man sich in der Arztpraxis durchchecken lassen.