Menschen mit Heuschnupfen leiden immer länger. Das hängt auch mit dem Klimawandel und der Städteplanung zusammen
von Annika Mengersen, 14.04.2020
Die Zeiten, in denen Pollenallergiker im Winter durchatmen konnten, sind vorbei. Die Heuschnupfensaison dauert inszwischen fast das ganze Jahr. Für die Betroffenen bedeutet das nicht nur eine ständig laufende Nase: "Allergien ziehen starke Beeinträchtigungen nach sich - von einer erhöhten Infektionsanfälligkeit über Konzentrations- und Schlafstörungen bis hin zu Asthma", erklärt der Immunologe und Biochemiker Professor Carsten Schmidt-Weber.
Warum der Klimawandel Allergikern besonders zusetzt und wie Sie sich vor aggressiven Pollen schützen können, erklärt er im Interview:
Hierzulande wird bei etwa jedem siebten Erwachsenen im Laufe des Lebens Heuschnupfen diagnostiziert. In der Gruppe der Kinder und Jugendlichen leidet etwa jeder Elfte darunter - Tendenz steigend.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass mittlerweile jedes zweite Grundschulkind auf mindestens ein Allergen empfindlich reagiert; vor zehn Jahren war nur jedes zehnte Kind auf diese Weise vorbelastet. Auch bei Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale ist eine deutliche Zunahme zu verzeichnen.
Ein wichtiger Grund ist die Vorverlagerung und Verlängerung der Pollenflugzeit durch den Klimawandel. Die insgesamt höheren Durchschnittstemperaturen bewirken, dass wir den Pollen von Frühblühern wie Hasel und Erle immer zeitiger und stärker ausgesetzt sind. Sie blühen in milden Wintern oft schon im Januar. Birke, Esche, Gräser, Roggen und andere allergene Pflanzenarten schließen sich im Jahresverlauf an.
Durch die aus den USA eingeschleppte Pflanze Ambrosia verlängert sich die Pollenbelastung in Regionen mit milder Witterung bis in den November hinein. Bereits zehn Ambrosia-Pollen pro Kubikmeter Luft können schwere allergische Symptome hervorrufen. Zum Vergleich: Bei der Birke sind 40 Pollen die kritische Grenze.
Oft nicht mal das: In Städten werden zunehmend robuste Erlenarten gepflanzt, die auch in Sibirien vorkommen und bereits im Dezember blühen. In Vorträgen versuchen wir, den Städte- und Grünflächenplanern diese Problematik nahezubringen.
Unserer Ansicht nach sollten in Städten und 30 Kilometer um sie herum weder Birken noch Erlen gepflanzt werden.
Ein häufiges Gegenargument ist: "Wenn wir keine Birken und Erlen mehr pflanzen, wird der nächste Baum zum No-Go erklärt." Das stimmt aber nicht, denn es bleibt regional nachweisbar bei den meisten kritischen Allergenquellen. Ohne Birken und Erlen wären viele Allergiker hierzulande deutlich besser dran.
Die zunehmende Kohlenstoffdioxidbelastung der Luft bewirkt, dass die Blütenpollen der Pflanzen aggressiver werden. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine schrittweise Zunahme der Allergenität beobachtet.
Pollen selbst sind keine Allergieauslöser, sondern Organismen, die bestimmte allergene Eiweißpartikel enthalten. Durch die verstärkte CO2-Belastung, aber auch andere klimatische Stressoren wie hohe Ozonwerte oder extreme Trockenperioden setzen Pflanzen mehr von diesen kritischen Eiweißen frei - sozusagen als Überlebensstrategie.
Fest steht: Feinstaub und Co. stellen ein Problem für unsere Atemwege dar und fördern die Entwicklung von Allergien. Der genaue Zusammenhang ist noch nicht erforscht. Nach neuen Erkenntnissen ist das Anlagern von Schadstoffen an Pflanzenpollen nicht der Grund dafür, dass Menschen in Großstädten stärker unter Allergien leiden.
Eher werden die Atemwege durch die Luftschadstoffe angegriffen und die Allergene anschließend schlechter vertragen. Möglicherweise ist es auch umgekehrt - und die Pollen beeinträchtigen die Atemwege so stark, dass Allergiker empfindlicher auf Luftschadstoffe reagieren.
Die Luft in den deutschen Großstädten ist in den vergangenen zehn Jahren wieder sauberer geworden - die Zahl der Allergiker aber weiter gestiegen. Lebensweise, Ernährungsgewohnheiten und weitere Faktoren spielen ebenfalls eine große Rolle.
Ein positiver Effekt ist primär bei Kindern zu beobachten, die ihre ersten Lebensjahre auf einem ursprünglich wirtschaftenden Milchviehhof verbracht haben. Werden nur Schweine oder Schafe gehalten, bringt das wenig.
Die sogenannte Hygienehypothese - sie besagt, dass Kinder, die mit Tieren aufwachsen und im Dreck spielen, seltener Allergien entwickeln - greift also nicht.
Neueren Untersuchungen zufolge schützen bestimmte Mikroben aus dem Staub in Kuhställen vor Allergien. Derzeit wird in klinischen Studien erforscht, ob man Kinder durch den Einsatz einer nichtinfektiösen Rohmilch mit dieser mikrobiellen Vielfalt versorgen kann.
Mit Blick auf den Klimawandel und höhere Allergenkonzentrationen in der Luft sollten wir auf die Pflege unserer Atemwege achten. Rauchen und Passivrauchen sind ganz klar tabu, weil sie Allergien und Atemwegsbeschwerden verstärken. An Tagen mit starkem Pollenflug ist es sinnvoll, die Nasenschleimhäute durch Spülungen zu säubern.
In Zukunft dürfte die Nasendusche einen ähnlich selbstverständlichen Platz im Bad einnehmen wie die Zahnbürste.