Trotz Sehbehinderung Filme genießen

Ich höre was, was du siehst: Beim Tatort können auch Menschen mit einer Sehbehinderung mitfiebern. Schon seit Jahren gibt es den Sonntagskrimi auch mit Audiodeskription
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Wie ist es möglich, einen Film zu gucken, ohne richtig sehen zu können? Indem eine Stimme beschreibt, was gerade auf dem Bildschirm passiert. Audiodeskription wird dieses Vorgehen genannt. Immer häufiger kommt es zum Einsatz.
Sonntagskrimi für Sehbehinderte
Die ersten 25 Sekunden einer bekannten deutschen Serie klingen damit so: "Der Bildschirm ist blau. Das Augenpaar eines Mannes späht nach links, nach rechts, geradeaus. Um sein rechtes Auge schließt sich ein Fadenkreuz. Das Fadenkreuz reißt auf, dahinter erscheint die verschwommene Silhouette eines Mannes, er hält sich die Hände schützend vors Gesicht. Rennende Beine auf nassem Asphalt. Aus einer Spirallinie entsteht ein stilisierter Fingerabdruck. Tatort." Die Krimireihe der ARD wird bereits seit vielen Jahren mit Audiodeskription angeboten.
Technisch ist das nicht sehr kompliziert: "Die Audiodeskription ist im Grunde eine extra Tonspur, auf der das Gezeigte beschrieben wird – immer dann, wenn sonst niemand im Film spricht", erklärt Jan Meuel, der sich beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) mit dem Thema beschäftigt.

Symbol für Hörfilme: Das durchgestrichene Auge in der Programmzeitschrift
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Vor allem öffentlich-rechtliche Sender denken bereits bei einem wachsenden Teil ihres Programms und ihrer Mediatheken an Menschen mit Sehschwäche. "Bei der ARD werden zurzeit 24 Prozent des Programms mit Audiodeskription angeboten, beim ZDF sind es 16 Prozent", berichtet Meuel. Auf privaten Sendern gibt es den Service nur vereinzelt.
Audiodiskreption im Kino und bei Live-Ereignissen
Ähnlich wie Untertitel und Gebärdensprache für Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen (siehe Kasten unten) wird die Tonerklärung bereits bei der Produktion von Filmen und Sendungen mitgedacht und mitgemacht.
Das gilt auch für viele Kinofilme. Die Zuschauer können sich die entsprechenden Hörtexte auf eine Smartphone-App herunterladen. Im Kino synchronisiert sich die App mit dem Ton des Films, über Kopfhörer kann man sich dann die Szenen beschreiben lassen.
Auch bei Live-Ereignissen funktioniert die Technik mittlerweile: "Die letzte Fußball-Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele wurden mit Audiodeskription übertragen", sagt Hörfilm-Experte Meuel.

Jan Meuel, Hörfilm-Experte beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband
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Barrierefrei fernsehen
"Es gibt keine konkreten Zahlen, aber Schätzungen zufolge können in Deutschland weit mehr als eine Million Menschen von Audiodeskription profitieren", so Meuel. Durch die zunehmende Lebenserwartung wird diese Zahl auch künftig steigen. Denn meistens verschlechtert sich die Sehfähigkeit erst im Alter stark.
Um den Zugang zu Medien für blinde und sehbehinderte Menschen weiter zu verbessern, hat die EU im November 2018 die Überarbeitung einer entsprechenden Richtlinie beschlossen. Die neue Fassung fordert eine Ausweitung von Angeboten mit Audiodeskription, Untertiteln und Gebärdensprache.
Die EU-Mitgliedsstaaten werden darin verpflichtet, "ohne unangemessene Verzögerung" dafür zu sorgen, dass der Zugang zu Diensten "für Menschen mit Behinderungen durch geeignete Maßnahmen stetig und schrittweise verbessert wird".

Der richtige Knopf: Über die Taste AD lässt sich die Tonspur für Hörfilme aktivieren
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Christiane Möller, Rechtsexpertin des DBSV, findet, dass Deutschland hinter diesen Anforderungen zurückbleibt: "Im Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags sind weder verbindliche Regelungen vorgesehen, noch steht darin, dass die in der Richtlinie geforderte Beschwerdestelle eingerichtet wird."
Doch dass es überhaupt eine EU-Vorgabe gibt, lässt hoffen. Es zeigt: Das Thema Audiodeskription ist angekommen – in der Politik und im Fernsehalltag.