Die körperliche Untersuchung
Trotz der zahlreichen technischen Untersuchungsmethoden, die heutzutage in der Medizin zur Verfügung stehen, ist die körperliche Untersuchung nach wie vor unentbehrlich. Ihr großer Vorteil ist, dass der Arzt sie jederzeit ohne besonders aufwendige Hilfsmittel durchführen kann. Die Untersuchung verschafft ihm einen ersten Überblick. In vielen Fällen liefert sie – zusammen mit den Angaben zur Krankengeschichte – schon Indizien für die Ursache der Beschwerden, die den Patienten zum Arzt führen. Oftmals ergibt sich so bereits eine Verdachtsdiagnose. Der Arzt kann zudem Hinweise erhalten, ob zielgerichtet weiterführende Untersuchungen notwendig sind.
Schema der körperlichen Untersuchung
Die körperliche Ganzkörperuntersuchung führen Ärzte üblicherweise nach einem festen Ablauf durch: Sie erfassen die einzelnen Körperregionen von Kopf bis Fuß. Dabei setzt sich die Untersuchung aus mehreren Techniken zusammen: dem Betrachten (Inspektion), dem Abtasten (Palpation), dem Abklopfen (Perkussion), dem Abhören mit dem Stethoskop (Auskultation) und dem Testen der einzelnen Körperfunktionen (Funktionsprüfung).
Beispiel für einen Untersuchungsbefund
Der schriftliche Befund folgt diesem Schema weitgehend. Bei einer Kontrolluntersuchung fasst sich der Arzt auch häufig kürzer und konzentriert sich auf bestimmte Aspekte. Wenn ansonsten im Vergleich zum Vorbefund keine Änderungen eingetreten sind, notiert er das entsprechend. Allerdings ist der Bericht durch Abkürzungen und Fachbegriffe meist für den Laien stark verschlüsselt. In eher knapper Form kann der Befundbericht beispielsweise so aussehen:
Die folgenden Absätze erklären die kursiv gesetzten Abkürzungen und Fachwörter.
Erfassung der allgemeinen körperlichen Verfassung
Zunächst verschafft sich der Arzt einen Überblick über den Allgemeinzustand (AZ) des Patienten. Ist er kräftig, wirkt dabei aber geschwächt, oder ist er gebrechlich? Wirkt er älter oder jünger als er tatsächlich ist? Spricht er ganz normal, oder zum Beispiel stockend, verwaschen, näselnd oder heiser? Hat er einen auffälligen Geruch (Fötor) am Körper oder Mundgeruch (Foetor ex ore)?
Alleine das Betrachten des Patienten kann bei einigen Erkrankungen schon wertvolle Hinweise liefern. So kann eine auffällige Blässe der Haut und der Schleimhäute auf eine Blutarmut hindeuten. Eine trockene Zunge und stehende Hautfalten, nachdem man zwischen Daumen und Zeigefinger an der Haut gezogen hat, weisen auf eine mögliche Austrocknung hin. Diese kann aus einer ungenügenden Flüssigkeitsaufnahme oder einer übermäßigen Flüssigkeitsabgabe resultieren. Mögliche Ursachen ermittelt der Arzt gegebenenfalls auch durch gezieltes Nachfragen.
Insbesondere ältere oder schwer erkrankte Menschen, die einen verwirrten Eindruck machen, fragt der Arzt nach dem Datum, wer sie sind und wo sie sich gerade befinden. Er prüft damit – fachsprachlich ausgedrückt – die Orientierung zu Zeit, Person und Ort. Voll orientiert bedeutet, dass der Patient weiß, wer er ist und wo er ist, und auch Datum und Wochentag benennen kann.
Body Mass Index: Maß für den Ernährungszustand
Als nächstes erfragt oder misst der Arzt Körpergröße und Gewicht. Indem er das Gewicht in Kilogramm durch die Größe in Meter im Quadrat teilt, berechnet er den sogenannten Body-Mass-Index (BMI). Er dient als objektive Maßeinheit für den Ernährungszustand (EZ), sagt also beispielsweise aus, ob ein Patient stark übergewichtig (adipös) ist.
Allerdings ermöglicht der BMI nur eine orientierende Einschätzung. Zum Beispiel gelten nach dem BMI auch Menschen mit stark ausgeprägter Muskulatur (wie Bodybuilder) vorschnell als übergewichtig. Deshalb sollte zur genaueren Einschätzung des Bauchfettes der Taillenumfang gemessen werden: Bei Werten über 102 Zentimetern bei Männern oder 88 Zentimetern bei Frauen gehen Ärzte von einem deutlich erhöhten Risiko für Folgekrankheiten aus. Eine weitere Maßzahl für die Fettverteilung ist das Verhältnis des Taillenumfangs zum Hüftumfang.
Untersuchung des Kopfes
Nun wendet sich der Arzt dem Kopf des Patienten zu. Je nach Situation sucht er zuerst nach aktuellen oder früheren äußeren Verletzungszeichen oder Asymmetrien des Gesichtes. Dann bewegt der Arzt den Kopf des Patienten behutsam in alle Richtungen, sofern dies problemlos möglich ist. Eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Kopfes nach vorne Richtung Brust kann auf eine reflektorische Verspannung der Nackenmuskulatur bei einer Reizung der Hirnhäute hinweisen. In der Fachsprache heißt das Meningismus. Wenn vorhanden, muss der Meningismus unbedingt weiter abgeklärt werden. Dabei prüft der Arzt umgehend, ob noch weitere krankhafte Körperzeichen vorhanden sind. Begleitende Beschwerden wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Fieber und Benommenheit sind Alarmzeichen.
Bei Anhaltspunkten für eine Erkrankung im Hals-Nasen-Ohren-Bereich prüft der Arzt auch, ob Klopfen auf die Nasennebenhöhlen Schmerzen auslöst.
Untersuchung der Augen
Es folgt ein Blick in die Augen: Sind Lage und Stellung normal? Zeigt sich eine Gelbfärbung des Augenweiß? Der Arzt prüft, ob die Pupillen normal reagieren, indem er mit einer Taschenlampe einzeln in die Augen leuchtet. Beide Pupillen sollten rund und gleich groß sein, also isokor. Geringfügige Unterschiede, weniger als ein halber Millimeter, gelten noch als normal, dann spricht man von einer physiologischen Anisokorie.
Außerdem testet der Arzt die Konvergenzreaktion der Augen. Dabei bewegen sich beide Augäpfel einwärts, und die Pupillen verengen sich. Das findet beispielsweise statt, wenn jemand zunächst in die Ferne schaut und dann den Blick rasch auf einen nahen Gegenstand richtet, etwa ein Buch. Durch die Naheinstellungs-Konvergenz wird das Objekt fokussiert und nur einmal wahrgenommen (statt Doppelbildern). Dass sich die Reaktion mit zunehmendem Alter abschwächen kann, ist normal. Es gibt aber auch krankhafte Veränderungen der Augen und Nerven, die hier Einfluss nehmen können. Bei Bedarf wird der Arzt einen Spezialisten hinzuziehen, etwa einen Augenarzt, bei Verdacht auf eine neurologische Erkrankung einen Facharzt für Neurologie.
Untersuchung des Mundes
Im Mund achtet der Arzt auf Entzündungen, eine belegte Zunge oder Besonderheiten an den Zähnen und der Scheimhaut.
Untersuchung des Halses
Die Beweglichkeit des Halses wurde bereits bei der Untersuchung des Kopfes geprüft. Eine schmerzhafte Steifigkeit des Halses, die auch Drehbewegungen des Kopfes erschwert, kann bei Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule auftreten. Anhaltspunkte können hier wiederum die Krankengeschichte und der klinische Befund liefern. Der Arzt inspiziert unter anderem die Stellung der Halswirbelsäule und die Konturen des Halses. Dabei achtet er auch auf mögliche Schwellungen. Beim Tasten können Verhärtungen und Schmerzpunkte an Muskeln und Wirbeln auffallen.
Daraufhin tastet der Arzt die Lymphknoten am Hals und die vorne am Hals liegende Schilddrüse ab. Er bittet den Patienten auch, zu schlucken, um zu erkennen, ob sie sich dabei verschiebt. Nicht immer lässt sich die Schilddrüse jedoch sicher tasten, ob sie nun normal groß oder vergrößert ist.
Als nächstes legt der Arzt das Stethoskop auf die Halsarterien (Carotiden). Weisen diese Blutgefäße Verkalkungen auf, können krankhafte (pathologische) Strömungsgeräusche zu hören sein. Auch auf die Halsvenen achtet der Arzt: Normalerweise sind sie nicht gefüllt, wenn der Patient zum Beispiel eine Schräglage (45 Grad erhöhter Oberkörper) einnimmt. Sind sie jedoch in dieser Position gefüllt, kann das darauf hinweisen, dass der Transport des Blutes im Oberkörper Richtung Herz behindert ist. In ausgeprägten Fällen zeichnen sich die Gefäße schon im Sitzen oder Stehen deutlich ab. Überfüllte Halsvenen und andere am Oberkörper hervortretende Venen können auf eine Erkrankung im Brustraum hindeuten. Je nach Ausprägung kommen weitere Krankheitszeichen dazu, manchmal handelt es sich dabei um einen Notfall.
Untersuchung der Lunge
Auch den Brustkorb (Thorax) betrachtet der Arzt zunächst im Ganzen, um nach Verformungen oder anderen Auffälligkeiten zu sehen. Er kontrolliert auch, ob die Atemfrequenz, Atemtyp und Atemtiefe normal sind. Dann klopft er den Rücken rechts und links auf einer gedachten Linie über der unteren Schulterspitze von oben nach unten ab. Der Patient sitzt dabei, wenn möglich, aufrecht. Beim Einatmen dehnen sich die Lungen aus, die unteren Lungengrenzen treten also tiefer. Auch dies überprüft der Arzt beim Abklopfen der Lungen.
Das Geräusch, das beim Abklopfen entsteht, gibt Hinweise auf die darunter liegenden Organe. So hört sich beispielsweise der Klopfschall über der luftgefüllten Lunge anders an als über der Leber, was deutlich wird, wenn der Arzt im Laufe der Untersuchung noch die Lunge vorne rechts am Brustkorb abklopft. Das normale Klopfgeräusch über der Lunge bezeichnet man als sonor. Hört sich das Klopfgeräusch gedämpft an, spricht der Arzt von einem hyposonoren Klopfschall. Dieser weist auf einen verminderten Luftgehalt der Lunge hin, wie er zum Beispiel bei Flüssigkeitsansammlungen oder einer Lungenentzündung auftritt. Ein lauter und hohler klingendes Geräusch (hypersonorer Klopfschall) spricht dagegen für einen vermehrten Luftgehalt der Lunge, zum Beispiel im Rahmen eines Lungenemphysems.
Nach der Perkussion kommt das Stethoskop zum Einsatz. Während der Patient mit offenem Mund tief ein und aus atmet, hört der Arzt mit dem Stethoskop das Atemgeräusch über der gesamten Lunge ab. Das normale (physiologische) Atemgeräusch bezeichnet er über zentralen Anteilen der Lunge als "Bronchialatmen". Darüber hinaus gibt es das sogenannte "vesikuläre Atemgeräusch", das vor allem beim Einatmen durch die Entfaltung der Lungenbläschen entsteht. In ihnen findet der Sauerstoffaustausch statt. Ein vesikuläres Atemgeräusch sollte über allen entsprechenden Lungenanteilen hörbar sein.
Atemnebengeräusche sind dagegen auffällige Geräuschphänomene und können auf krankhafte Veränderungen hinweisen. Beispiele sind trockene und feuchte Rasselgeräusche, die unter anderem bei einer Lungenentzündung, Bronchitis oder einem Lungenödem auftreten.
Untersuchung des Herzens
Der Arzt wendet sich nun wieder der Vorderseite des Patienten zu und legt das Stethoskop auf bestimmte Stellen über dem Herzen, um die Herztöne zu beurteilen. Diese Herztöne werden durch das Zusammenziehen der Herzmuskulatur und den Schluss der Herzklappen verursacht. Beim gesunden Erwachsenen hört der Untersucher zwei Herztöne, die regelmäßig (rhythmisch) und kurz hintereinander auftreten. Zusätzliche Herzgeräusche treten vor allem bei Erkrankungen der Herzklappen auf. Der Arzt kann das Geräusch genauer einordnen und meist schon auf die zugrunde liegende Herzschädigung schließen. Daneben gibt es noch andere Herzgeräusche.
Untersuchung der Bauchorgane
Für die Untersuchung des Bauches sollte der Patient möglichst entspannt auf dem Rücken liegen. Der Arzt tastet den gesamten Bauch ab. Dabei achtet er darauf, ob er etwas Ungewöhnliches spüren kann (pathologische Resistenz), ob der Patient an einer bestimmten Stelle Schmerzen empfindet oder ob er die Untersuchung unwillkürlich abwehrt, indem die Bauchdecke sich anspannt. Der Arzt versucht auch, den Rand der Leber und der Milz zu ertasten, um zu beurteilen, ob diese Organe vergrößert sind. Leichter und genauer lässt sich die Größe der Organe heutzutage allerdings per Ultraschall bestimmen.
Das Abhören des Bauchraums mit dem Stethoskop dient außerdem dazu, die Darmgeräusche zu beurteilen. Bei schlanken Patienten lassen sich eventuell auch mögliche Gefäßgeräusche im Bauchraum hören.
Außerdem tastet oder klopft der Arzt behutsam die Nierenlager ab, um zu kontrollieren, ob sie zum Beispiel im Rahmen einer Entzündung vermehrt schmerzempfindlich sind.
Untersuchung von Armen und Beinen
An den Armen und Beinen (Extremitäten) beurteilt der Arzt, ob diese warm, kalt oder geschwollen (ödematös) sind und ob Krampfadern (Varikosis) zu erkennen sind. Auch auf eine auffällige Hautfarbe oder Abblassung achtet er, ebenso auf eine veränderte Textur der Haut und eventuelle Hautschäden.
Auch Pulsschlag und Blutdruck misst der Arzt. Den Blutdruck kürzt man im Befund mit "RR" ab nach dem italienischen Arzt Riva-Rocci, der diese Art der Blutdruckmessung maßgeblich entwickelt hat und 1896 veröffentlichte.
Der Puls wird gewöhnlich zunächst am Handgelenk getastet (Radialispuls). Ist der Radialispuls nur schwach tastbar, erfolgt zuerst eine Kontrolle auf der Gegenseite, dann sucht der Arzt die übrigen Pulse auf. Bei bestimmten Herzrhythmusstörungen kann ein sogenanntes peripheres Pulsdefizit vorliegen: Dann gibt es eine Differenz zwischen dem gezählten Pulsschlag bei der Auskultation des Herzens und dem getastetem Puls.
Wenn der Puls in der Peripherie zu schwach zum Tasten ist, kann der Arzt unter Umständen noch den Carotispuls am Hals oder den Femoralispuls an der Leiste fühlen.
Wenn die Füße kalt und die Fußpulse nicht tastbar sind, also der Pulsschlag des Herzens nicht spürbar in den Arterien der Füße ankommt, kann das auf eine Verkalkung beziehungsweise Verengung der Beinarterien hinweisen oder auch überschüssigen Fettpolstern geschuldet sein. Hier kann ein einfacher Funktionstest weiteren Aufschluss geben.
Untersuchung des Nervensystems
Am Ende führt der Arzt in der Regel noch eine orientierende neurologische Untersuchung durch, bei der er auf Lähmungen (Paresen) und Gefühlsstörungen (Sensibilitätsstörungen) achtet und mit dem Reflexhammer die Muskelreflexe überprüft. Reflexe sind unwillkürliche Reaktionen auf bestimmte Reize. Der bekannteste Reflex wird durch einen leichten Schlag auf die Patellarsehne unterhalb der Kniescheibe ausgelöst, wodurch das Bein nach vorne schwingt. Pathologische Reflexe sind Reflexe, die bei Erwachsenen nur im Zusammenhang mit bestimmten Erkrankungen auftreten. Ein jenseits des Säuglingsalters in der Regel pathologischer Reflex ist der Babinski-Reflex: Der Arzt streicht mehrfach entlang des Außenrandes der Fußsohle, woraufhin die große Zehe sich anhebt; eventuell spreizen sich die übrigen Zehen.
Autorin und Expertin: Dr. med. Dagmar Bischoff, Fachärztin für Innere Medizin, Hardtwaldklinik I, Bad Zwesten
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