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„Ganz sicher etwas Ernstes.“ Wen sein Rücken schon mal über Tage im Bett hielt, kennt solche Gedanken. Zeigt eine Aufnahme im Kernspin dann einen Bandscheibenvorfall, scheint die Sache klar: Das ist es! Wenn die Schmerzen aber nicht durch Pillen und Infusionen, ja noch nicht einmal durch eine Operation dauerhaft verschwinden, ist die Verzweiflung groß. Ist doch etwas übersehen worden? Oder bei der Operation etwas schiefgelaufen? „Die Betroffenen fixieren sich oft auf eine körperliche Ursache ihrer Schmerzen“, sagt Prof. Dr. Shahnaz Christina Azad, Leiterin der interdisziplinären Ambulanz und Tagesklinik für Schmerzmedizin im Klinikum Großhadern. Dabei ist mittlerweile bekannt, dass andere Einflüsse längst eine viel wichtigere Rolle spielen.

Eine philsophische Definition

Doch was ist Schmerz überhaupt? Über diese Frage zerbrach sich im 17. Jahrhundert auch der französische Philosoph René Descartes den Kopf. Um zu beschreiben, wie Schmerz entsteht, wählte er ein schlichtes Bild: einen Seilzug, an dessen Ende eine Klingel sitzt. Hält man etwa eine Hand ins Feuer, zieht die Hitze den Seilzug sozusagen stramm. Im Gehirn bimmelt die Alarmglocke – wir empfinden Schmerz. Heute weiß man: Das Bild, das Descartes vom Schmerz malte, ist zu einfach. Wie stark Schmerz schmerzt, hängt nicht nur von dem auslösenden Reiz ab. Bei Gefahr rennen wir um unser Leben und haben dabei kein Gefühl für die Verletzung am Bein, die uns am Weglaufen hindern könnte. Ein feuriges Brennen? Oder nur ein sachtes Ziehen? Erwartung, seelische Belastung, die Dauer des Schmerzes – all das hat Einfluss.

Ein Finger sticht sich an einem Kaktus

Wie Schmerz entsteht

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Was in Descartes’ Bild zudem fehlt: Um Schmerz zu empfinden, ist nicht zwingend ein äußerer Reiz nötig. Vor allem, wenn die qualvolle Empfindung anhält, kann sie sich von ihrer einstigen Ursache lösen. „Sie verliert ihre Warnfunktion“, erklärt Azad. Was bleibt, ist der Schmerz. Ohne erkennbare Ursache. Der Schmerz löst sich von seiner Warnfunktion und bleibt, wird zur Erkrankung. Um ihn zu lindern, braucht es oft eine komplexe Behandlung. Die multimodale Schmerztherapie rückt dem Schmerz zu Leibe, indem sie ihn von vielen Seiten her anpackt.

Den Schmerz von allen Seiten angreifen

Um Dauerschmerz zu lindern, braucht die Behandlung mehrere Elemente. „Der erste Schritt, um chronische Schmerzen erfolgreich zu behandeln, ist die richtige Information“, sagt Dr. Michael Küster, Leiter des Schmerz-, Kopfschmerz- und Palliativzentrums Bonn-Bad Godesberg. Wer versteht, wie die Beschwerden entstehen, ist nachweislich offener für Therapien, die diese umfassender angehen. Damit Schmerzen chronisch werden, kommen oft mehrere Faktoren zusammen.

Oft findet sich keine körperliche Ursache, die die Beschwerden ausreichend erklärt. Die Ursache kann bereits ausgeheilt sein und wird deshalb nicht direkt dem Schmerz zugeordnet. Bestehen die Beschwerden länger, kann es zu Veränderungen im schmerz-leitenden System kommen. Nerven feuern schon bei kleinen Reizen. Was einst als sachte Berührung empfunden wurde, wird zum brennenden Schmerz.

„Früher sprach man auch von einem Schmerzgedächtnis“, erklärt Schmerzexpertin Azad. Heute kennt man die Zusammenhänge genauer und versteht, dass Veränderungsvorgänge im Gehirn an der Entstehung chronischer Schmerzen beteiligt sind. Außerdem haben chronische Schmerzen biopsycho-sozialen Ursachen.

Nicht nur Verletzungen oder Nervenschäden spielen eine Rolle. Auch Psyche und soziale Belastungen wie Ängste oder Stress können Faktoren sein. Infos erhält man etwa in Schmerzzentren. Küster empfiehlt, sich bei der Deutschen Schmerzliga zu informieren.

Medikamente gegen den Schmerz

Eine Wunderpille, die alle Schmerzen in auflöst – bislang blieb die Suche danach leider vergeblich. Dennoch gibt es eine Reihe wirksamer Medikamente, um Schmerzen zu lindern. „Sie spielen auch in der Therapie chronischer Schmerzen eine wichtige Rolle“, sagt Azad.

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Entscheidend ist es, das richtige Medikament oder auch die richtige Kombination zu finden. Cox-Hemmer wie Ibuprofen und Diclofenac wirken, wenn Entzündungen oder Verletzungen an der Schmerzentstehung beteiligt sind. Metamizol kann zum Beispiel nach einer Operation ein gutes Mittel sein. Morphin und davon abgeleitete andere Opioide können bei Tumor- und Nervenschmerzen helfen. „Diese Mittel sollten immer in retardierter Form verabreicht werden“, sagt Azad. Der Wirkstoff gelangt dann langsam in den Körper, was die Gefahr von Abhängigkeit verringert. Eingesetzt werden in der Schmerztherapie zudem Mittel, deren Effekte man auch bei Erkrankungen wie Depressionen oder Epilepsie nützt. „Sie wirken schlafanstoßend und können die Schmerzschwelle wieder etwas hochsetzen“, sagt Azad.

Diese liegt bei Menschen mit chronischen Schmerzen oft sehr niedrig. „Wichtig ist, den Betroffenen zu erklären, warum man welches Medikament gibt“, betont Azad. Zudem muss die Gabe von Medikamenten gut kontrolliert sein: Alle Mittel können auf Dauer schwere Nebenwirkungen haben. Bei chronischen Schmerzen sind sie aber nur ein Teil der Therapie.

Die Rolle der Psyche

Bei jeder Schmerzempfindung spielt die Psyche eine wichtige Rolle. „Das anzunehmen, ist schon ein entscheidender Schritt“, sagt Dr. Heike Schulte-Göcking, Psychologin im Team der Schmerzambulanz des Uniklinikums Großhadern. Noch immer reagieren manche befremdet, dass in der Therapie auch die psychologische Seite des Schmerzes betrachtet wird. „Was nicht bedeutet, wir würden denken, dass die Betroffenen sich den Schmerz nur einbilden“, betont Schulte-Göcking. Jeder Schmerz ist real. Für das Gehirn sind seelische und körperliche Schmerzen keine klar getrennten Bereiche. Ob wir die schmerzhafte Erfahrung machen, aus einer Gruppe ausgeschlossen zu werden, oder körperliche Schmerzen empfinden: Im Denkorgan werden dabei ähnliche Bereiche aktiv.

Schmerz und Psyche sind also eng verbunden. Das gilt besonders für chronische Schmerzen. „Wenn ich einen Patienten ausschließlich nach dem Röntgenbild behandle, aber übersehe, dass er Rückenschmerzen hat, weil er die Last des Alltags, des Lebens, der Firma, in der er arbeitet, nicht mehr tragen kann, kann ich ihm nicht wirklich helfen“, sagt Allgemeinmediziner Küster.

In der Therapie geht es weniger um Unbewusstes oder problematische Erlebnisse in der Kindheit, sondern vor allem um gegenwärtige Belastungen, Ängste und auch den Umgang mit den Schmerzen. Jeder könne sich auch selbst befragen, rät Küster: „Was will mir mein Kreuzschmerz sagen? Was bricht mir das Kreuz? Warum habe ich Schulterschmerzen? Habe ich zu schwere Lasten auf der Schulter?“

Entspannunng tut gut

Wie die Studie der Techniker Krankenkasse „Entspann dich, Deutschland“ vor zwei Jahren zeigte, fühlen sich knapp zwei von drei Menschen in Deutschland mindestens hin und wieder gestresst – mehr als ein Viertel sogar häufig. Für chronische Schmerzen ist das ein guter Nährboden. „Verspannung kann Schmerz auslösen. Und Schmerz verstärkt wiederum die Verspannung“, erklärt Psychologin Schulte-Göcking. Viele Menschen, die in der Schmerzambulanz in München-Großhadern Hilfe suchen, stecken in diesem Teufelskreis. „Die Menschen müssen wieder lernen zu entspannen“, so die Psychologin. Für manche sei es sogar das erste Mal, dass sie das wirklich gezielt tun. Ihre Mühle des Alltags dreht sich schon so viele Jahre, dass Enstpannung ihnen fremd geworden ist. Kurse für Achtsamkeit, Atemtherapie, Yoga und Meditation gibt es auch an Volkshochschulen.

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Solche Übungen sind auch Teil spezialisierter Therapien, wie das Programm, an dem Simon K. (Name geändert) im Klinikum Großhadern teilgenommen hat. Schnell wurde ihm hier klar, dass Stress hinter seinen chronischen Rückenschmerzen steckt. „Für mich war alles plötzlich total logisch“, erzählt er. In Zukunft will er seinen stressigen Arbeitsalltag durch regelmäßige Pausen durchbrechen und sich in seiner Freizeit keinen Zusatzstress mehr schaffen. Bewegung ist gesund, klar. „Aber ich habe mich zu sehr unter Druck gesetzt“, sagt er. Dass er das Gelernte auch umsetzt, da macht sich der 50-Jährige keine Sorgen. Schließlich musste er schon einen Stundenplan schreiben, wie es nach dem Programm weitergeht. „Ich bleibe da sicher dran.“

Selbstwirksamkeit spüren

Hilflosigkeit, Ohnmacht, Angst: Wer ständig Schmerzen hat, dem sind solche Gefühle meist nicht fremd. Die Hoffnung auf ein wirksames Medikament, auf ärztliche Fachleute, die einen endlich von der Qual befreien, ist da nur allzu verständlich. „Die Betroffenen müssen erkennen, dass letztlich nur sie selbst sich helfen können“, sagt Schmerztherapeut Küster.

Doch wie? Um Wege gegen den Schmerz zu finden, braucht es Unterstützung. Hilft bei einer Kreuzschmerzattacke ein warmes Bad? Oder vielleicht Yoga? Wie kann ich mich trotz Schmerzen auf etwas Schönes konzentrieren? „In der Schmerztherapie sind wir ein Behandlungsteam. Die Fachleute bringen Ideen ein, umsetzen muss sie aber die Patientin oder der Patient“, sagt Küster. Gelingt das, weicht das Gefühl von Ohnmacht neuem Selbstvertrauen: „Ich bin den Schmerzen nicht ausgeliefert!“ Fachleute sprechen auch von Selbstwirksamkeit. Sie hilft, die Selbstheilungskräfte optimal zu mobilisieren.

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Ein erster Schritt ist, sich die richtige Hilfe zu holen. Ist die Ursache verheilt, doch der Schmerz dauert noch weiter an? Werden Rückenschmerzen auch nach Monaten Krankschreibung nicht besser? Dann sprechen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin auf ergänzende Behandlungsmöglichkeiten an, wie Physio oder Psychotherapie. Unterstützung bieten auch Selbsthilfegruppen. Eine Liste gibt es etwa bei der Deutschen Schmerzliga. Bei der Patientenorganisation erhält man zudem Adressen von spezialisierten Ärztinnen und Ärzten in der Umgebung.

Aktiv werden gegen Schmerz

Die Patientin liegt auf dem Rücken. Nur die Augen bewegen sich, nach rechts, nach links, dann im Kreis. „Viele finden das anfangs langweilig. Und nach zehn Minuten kommen sie ins Schwitzen“, erzählt Simon Bohrmann und lacht. Der Bonner Physiotherapeut arbeitet eng mit Schmerztherapeut Küster zusammen. Bei chronischen Kopfschmerzen beginnt er die Behandlung oft mit Augenbewegung. Bei jeder tut sich auch etwas im Nacken. Und hier sitzt bei Kopfschmerzen oft das Problem.

Körperliche Bewegung ist ein wichtiger Teil in der Therapie chronischer Schmerzen. Ein Stück weit kann jeder sein eigener Therapeut sein, indem er seinen Alltag aktiv gestaltet. Jeder Schritt zählt. Bei chronischen Schmerzen ist oft aber professionelle Hilfe nötig. Betroffene neigen oft zu Fehl- und Schonhaltungen, bewegen sich am Ende fast gar nicht mehr. „Dann beginnt ein Teufelskreis“, sagt Bohrmann. Nicht nur mit der Kraft geht es dann immer weiter bergab. Die Schmerzen nehmen zu. Der Physiotherapeut versucht, das zu durchbrechen. „Wir isolieren eine einzige Bewegung und einen einzigen Muskel in seiner Funktion und üben“, erklärt er. Die Beweglichkeit wird erweitert, Schritt für Schritt und immer ohne Schmerzen. „Ich versuche den Leuten zum Beispiel zu zeigen, was ihr Gelenk noch kann.“ Das schafft mehr Vertrauen in den eigenen Körper – und Freude an ihm. Bei Bewegung werden zudem Endorphine ausgeschüttet. Sie tut der Seele gut – und wirkt so gegen Schmerzen.

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Quellen: