Apps auf Rezept: Noch immer streiten Anbieter mit Kassen über Kosten

Apps auf Rezept sind für die Patient:innen kostenlos, da die Krankenkassen die Kosten übernehmen.
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Seit Oktober 2020 können Ärzt:innen Apps auf Rezept, sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa), verschreiben. Patient:innen müssen dafür nichts bezahlen, denn die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Für Deutschland war das eine kleine Sensation. Denn in Sachen Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung liegt Deutschland auf den hinteren Plätzen. Während die Zahl der DiGa langsam wächst, ringen Krankenkassen und Hersteller noch immer darum, wie viel eine App auf Rezept kosten soll und kosten darf.
Hohe Kosten, aber fehlende Wirksamkeitsnachweise
Von insgesamt 22 Apps auf Rezept sind 17 bislang nur vorläufig vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen. Das bedeutet, dass die Hersteller Leistungsfähigkeit und Sicherheit ihrer Produkte im Rahmen der Zertifizierung mit einer Selbstauskunft zwar dokumentiert haben, aber ein Wirksamkeitsnachweis noch fehlt. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Zwischenzeit trotzdem. Die Hersteller müssen innerhalb von zwölf Monaten nachweisen, dass der Nutzen der App die Risiken für die Anwender:innen übersteigt. Einmalig dürfen sie eine Fristverlängerung von drei Monaten beantragen. Erst wenn der Wirksamkeitsnachweis erbracht ist, übernehmen die Kassen auch nach der Erprobungsphase die Kosten.
Innerhalb dieser Erprobungsphase von zwölf Monaten müssen die Hersteller aber nicht nur die Wirksamkeit nachweisen, sie dürfen auch festlegen, wie viel ihr Angebot kostet. Die Idee dahinter ist, dass die Hersteller in diesen zwölf Monaten Umsätze generieren können, die die Kosten für Zertifizierung und Studiendurchführung abfedern. Die Preisspanne ist sehr groß: Sie reicht von derzeit 744 Euro bis 119 Euro pro Quartal. Damit kostet die teuerste DiGa 6,3-mal mehr wie die günstigste.
Nach den zwölf Monaten der Erprobungsphase und nach Einreichen entsprechender Studienergebnisse gilt ein vom Hersteller und Krankenkassen vereinbarter Betrag. Kommt keine Einigung zustande, soll ein Schiedsgericht den Preis festsetzen. Das kann bis zu weitere zwölf Monate dauern. Bis zur endgültigen Preisfestsetzung zahlen die Kassen weiterhin den vom Hersteller ursprünglich festgelegten – und den aus Krankenkassen-Sicht zum Teil sehr hohen – Betrag.
Krankenkassen fordern Festsetzung eines Höchstpreises
Bei Einführung der Apps auf Rezept befürchteten die Krankenkassen, dass Kosten in Milliardenhöhe auf sie zukommen würden. Die erwartete Kostenexplosion blieb bislang zwar aus, wie eine Umfrage von Handelsblatt Inside zeigt.
Dennoch kritisieren die Krankenkassen die Preisgestaltung weiterhin und fordern, einen Höchstpreis für das Erprobungsjahr festzulegen. Per Gesetz können Hersteller und Krankenkassen diesen zwar aushandeln, es besteht aber keine Verpflichtung dazu. Als Begründung für ihre Preiskritik führen die Kassen an, dass die zum Teil sehr hohen Kosten nicht im Verhältnis zu analogen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen steht – vor allem, wenn der medizinische Nutzen noch nicht ausreichend nachgewiesen wurde. "Einzelne Anwendungen haben durchaus das Zeug dazu, die Versorgung der Versicherten sinnvoll zu ergänzen und zu verbessern", so die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) gegenüber Handelsblatt Inside. Die aktuellen Anforderungen an die DiGa würden es allerdings schwierig machen, die "Spreu vom Weizen" zu trennen.
Abnehm-App Zanadio: 2000 Euro pro Jahr je Nutzer
Was genau hinter der Kritik steht, führt die AOK beispielhaft näher aus. Zanadio ist eine App, die Menschen mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas) helfen soll, abzunehmen. Sie hat im Oktober 2020 eine vorläufige Zulassung als DiGa erhalten. Den bislang fehlenden Wirksamkeitsnachweis möchte der Hersteller nun einreichen.
Doch die AOK kritisiert: "Die Studie zu dieser App vergleicht nicht die Adipositas-App mit anderen Abnehm-Apps, sondern mit gar keiner Intervention." Damit lasse sich ein Behandlungs-Vorteil der Adipositas-App im Vergleich zu anderen Apps oder herkömmlichen Behandlungsansätzen nicht ermitteln. Gleichzeitig ist Zanadio für die Krankenkassen kostenintensiv. Bei der empfohlenen Nutzungsdauer von einem Jahr liegen die Gesamtkosten in Höhe von fast 2.000 Euro je Versichertem. "Aus unserer Sicht stehen hier Preis und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis", so die AOK.
Der Hersteller sieht das anders: "In unserem Fall spiegelt der Vergleich einer Behandlung durch Zanadio mit einer Kontrollgruppe, die keine leitliniengerechte Therapie erhält, die gängige Versorgungsrealität in Deutschland wider." Der Gesetzgeber schreibe vor, die Wirksamkeit mit einer randomisierten, kontrollierten Studie zu untersuchen und genau das sei passiert. Auch seien die Kosten einer leitliniengerechten, also analogen Therapie mit denen einer digitalen Behandlung via App vergleichbar. Generell verweisen die Hersteller auch ihrerseits immer wieder auf die hohen Kosten, die sie zu leisten haben. Denn ein Medizinprodukt zu zertifizieren und den Nutzen in klinischen Studien nachzuweisen, ist schwer und mit einem hohen Aufwand an Ressourcen verbunden – vor allem, wenn man dafür nur zwölf Monate Zeit hat.
Harte Fronten zwischen Herstellern und Kassen
Das Beispiel zeigt, wie verhärtet die Fronten zwischen Herstellern und Krankenkassen mittlerweile sind. Eine Schiedsstelle sollte die Höchstpreisdiskussion zwischen Herstellern und Krankenkassen regeln. Die Vereinbarungen dazu stehen bereits. Doch viele Fragen sind noch offen. Die Debatten um den Evaluationsprozess lassen sich nicht ohne die Frage klären, wie es mit der Preisfindung weitergeht.
Eine digitale Therapie, die genauso sicher und wirksam ist wie andere Interventionen, sollte sich von den Kosten nicht groß unterscheiden. Der Nachweis für einen medizinischen Nutzen steht für viele DiGa noch aus. Dafür braucht es seriöse Studien, die Zeit und Geld kosten. Zu niedrige Höchstpreise könnten wiederum die Entwicklung und Zertifizierung für die Hersteller unattraktiv machen – und im schlimmsten Fall dazu führen, dass keine neuen DiGa ins Verzeichnis aufgenommen werden.