Mein Smartphone, die Hautärztin: Was können Hautkrebs-Apps?

Algorithmen sind im Erkennen von Hautkrebs heute schon besser als erfahrene Dermatolog:innen, wie eine Studie zeigt
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Sie heißen "Skin Screener", "Hautkrebs-Check" oder "SkinVisions": Apps, die versprechen, anhand von Fotos erkennen zu können, ob eine Hautveränderung gut- oder bösartig ist. Einfach Hautfleck aus mehreren Perspektiven fotografieren, hochladen und abwarten. Künstliche Intelligenz liefert das Ergebnis nach wenigen Minuten – mit "beeindruckenden 95% Genauigkeit", wie manche App wirbt.
Was Hautkrebs-Apps können
Der Markt der Hautkrebs-Apps wächst rasant. Die Vorteile einer digitalen Alternative zum Praxisbesuch liegen schließlich nicht nur in der Pandemie auf der Hand: kein monatelanges Warten mehr auf einen Termin, der Check dauert kaum fünf Minuten und ist rund um die Uhr möglich. Und wenn es um Hautflecken an schambehafteten Körperstellen geht, ist die Hemmschwelle bei einer App nicht so groß.
Bestenfalls könnten Hautkrebs-Apps so dazu beitragen, dass Melanome früher erkannt werden. Denn am schwarzen Hautkrebs, der unbehandelt auf andere Organe streut, sterben in Deutschland jedes Jahr ca. 3.800 Menschen.
Hautkrebs-Apps könnten obendrein eine Lösung für den vor allem in ländlichen Gebieten grassierenden Mangel an kassenärztlichen Dermatolog:innen sein: Die Patient:innen müssten dann nur noch im konkreten Verdachtsfall zur nächsten oft weit entfernten Praxis.
KI besser als erfahrene Fachärzt:innen
Tatsächlich sind Algorithmen im Erkennen von Hautkrebs heute schon besser als erfahrene Dermatolog:innen. In einer Heidelberger Studie trat KI gegen 157 Hautärzt:innen zwölf deutscher Unikliniken an. Nur sieben waren besser als die Technologie. Dr. Titus Brinker, Assistenzarzt der Uniklinik Heidelberg sowie KI-Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) dämpft dennoch die Erwartungen: "Algorithmen machen dafür Fehler, die Dermatologen nicht passieren würden", sagt er. Bis dato zu viele.
In einer Folgestudie testete Brinkers Team Algorithmen, die schon in der Diagnostik eingesetzt werden. Schon kleinste Änderungen der Belichtung, des Aufnahmewinkels oder leichter Schmutz auf der Linse führten zu Fehldiagnosen. "Algorithmen rechnen nur. Sie diagnostizieren nicht", sagt Brinker. Sein Fazit: Ohne Expertenblick durch einen Hautarzt/eine Hautärztin ist KI noch nicht einsatzfähig. Ideal sei die Kombination aus beidem. App und Arzt/Ärztin liefern die höchste Diagnosegenauigkeit.
Deutliche Grenzen der Einsatzfähigkeit
Bei Hautkrebs-Apps gibt es mehrere Probleme: Zum einen sind Algorithmen immer nur so gut wie die Bilddatenbanken, mit denen sie beim maschinellen Lernen gefüttert wurden. Hautkrebs-Apps unterliegen auf dem freien Markt aber keiner Prüfung. Außerdem unterscheiden die Diagnosen sich je nach Smartphone-Kamera, Betriebssystem und sogar Update-Version, weiß Brinker. "In zehn Jahren sind Hautkrebs-Apps vielleicht soweit", sagt er. "Aber wenn Anbieter heute mit 95% Genauigkeit werben, sind das verantwortungslose Slogans."
Deutsche Dermatologische Gesellschaft warnt
Dass Hautkrebs-Apps jetzt schon mehr sein können als "reine Health-Anwendungen" verneint auch Prof. Peter Elsner von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG). "Solche Apps können dazu beitragen, das Gesundheitsbewusstsein zu steigern", sagt er. Mit "MiiSkin" etwa können Patienten Ganzkörperscans von sich erstellen, Hautveränderungen KI-gestützt besser erkennen und so auch dem Hautarzt helfen.
Die DDG fordert jedoch, dass elektronische Hilfsmittel nach denselben Kriterien geprüft werden müssen, wie Medizinprodukte. "Solange das nicht der Fall ist, werden solche Apps nicht dazu beitragen, den Dermatologen-Mangel zu bekämpfen", sagt Elsner.
Besser: Teledermatologie-App mit Hautarzt statt KI
Eine Alternative sind Apps aus dem Bereich Teledermatologie, die die Benutzenden nicht mit KI, sondern mit echten Hautärzten und -ärztinnen verbinden. Mit "AppDoc" haben die Heidelberger Forschenden als Pioniere eine solche Möglichkeit entwickelt, die als einzige auf dem Markt auch von einer Ärztekammer (Baden-Württemberg) zugelassen worden ist. Die Fotos der User begutachten hier Dermatolog:innen, auch mit KI-Unterstützung. Zum Preis von 24,95 Euro erhalten User in 24 Stunden eine Ersteinschätzung und eine Behandlungsempfehlung. In der Pandemie verdreifachten sich die Nutzungszahlen.
"AppDoc" erhielt 2019 den Innovationspreis des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) – auch wegen dem vorbildlichen Umgang mit der Datensicherheit. Die Nutzenden bleiben komplett anonym. Anders als bei der Konkurrenz aus den App-Stores, die meist umfängliche Daten erhebt, bei zweifelhaftem Datenschutz.
Keine App erspart die Hautkrebsvorsorge
Mit "OnlineDoctor" und "Dermanostic" gibt es mittlerweile weitere Teledermatologie-Angebote, wenngleich die Benutzung hier nicht anonym ist. Den Besuch in der hautärztichen Praxis ersetzen können auch diese Apps auf keinen Fall. Schon allein, weil nur einzelne Flecken zu untersuchen sind, nie der ganze Körper. Sie schließen allenfalls die Lücke zwischen Internetrecherche und Praxisbesuch, das aber mit Erfolg.
Zukunft: KI als Assistent in dermatologischen Praxen
Expert:innen schätzen, dass KI als Assistenzsystem bis 2027 flächendeckend in die dermatologischen Praxen einziehen wird. Das internationale Forschungsnetzwerk Cochrane sieht riesiges Potential zudem bei Hausarztpraxen. Auch sie bieten Hautkrebsvorsorge, aber ohne fachliche Spezialisierung.
Derzeit befindet sich ein Pilotversuch der Uni Tübingen im Abschluss, in dem Hausärzt:innen vor einer Überweisung die Meinung eines/einer Dermatolog:in per Teledermatologie einholen konnten. Wenn KI künftig Hausärzt:innen hilft, bei ihren Diagnosen noch sicherer zu sein, könnte das Win-win für alle sein und sogar eine Lösung für den Dermatolog:innen-Mangel auf dem Land.