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Dr. Markus Leyck Dieken ist Arzt, Manager und seit 2019 Geschäftsführer der Gematik. Er verlässt sie Ende 2023, will sich dann beruflich neu orientieren. Die Gematik, dessen Mehrheitsgesellschafter das Gesundheitsministerium ist, verantwortet die Telematik­infra­struk­tur­. Diese verbindet Krankenkassen, ­Kliniken, Apotheken, Ärzte, Zahnärzte und andere Behandler, um ­sicher Gesundheitsdaten auszutauschen.

Im Interview spricht Leyck Dieken über den Stand der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland, was Bürgerinnen und Bürger erwarten können und wie Digitalisierung in der Patientenversorgung helfen können.

Herr Leyck Dieken, Sie waren vier Jahre Geschäftsführer der Gematik, der nationalen Agentur für digitale Medizin. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?

Markus Leyck Dieken: Ich bin froh über die vielen Fortschritte der Gematik. Aber wenn man mir anfangs gesagt hätte, dass es vier Jahre dauern würde, das E-Rezept zu etablieren, hätte ich mir das nicht vorstellen können. Sowas kenne ich aus der freien Wirtschaft gar nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr auf das übergeordnete Ziel schauen: Menschen mithilfe der digitalen Möglichkeiten besser medizinisch versorgen.

Was hat sich in den vergangenen vier Jahren verändert?

Der wichtigste Schritt war die Öffnung der gematik. Seither sprechen wir regelmäßig mit Patienten, Praxen, Pflege, Apotheken und Kliniken. Nur so können wir zukünftig das richtige Design entwickeln. Drei große Projekte sind durch die Bundesregierung maßgeblich vorangetrieben worden: Ab Januar 2024 soll das E-Rezept Pflicht werden, der Durchbruch bei der ePA soll ein Jahr später folgen, der KIM-Dienst ist mittlerweile sehr belebt.

KIM steht für Kommunikation im Medizinwesen, ist der Dienst, mit dem Praxen etwa Befunde sicher verschicken können. Was bringt uns das?

Fast die Hälfte der Arztbriefe werden über den KIM-Dienst vertraulich von Praxis zu Praxis versendet. Auch der Heil- und Kostenplan der Zahnärzte läuft über KIM. Früher war das viel Papierkram und Lauferei.

Im Jahr werden etwa eine halbe Milliarde Papierrezepte ausgestellt. Ab dem 1. Januar 2024 soll nun das E-Rezept verpflichtend werden. Ist Deutschland dafür bereit?

Ich bin zuversichtlich, dass es gut klappen wird. Unser Leitfaden gibt vor, dass Ärzte nicht mehr als zwei zusätzliche Klicks und unter fünf Sekunden brauchen sollten, bis ein E-Rezept erstellt wird. Immer mehr Softwarehäuser setzen das so um.

Was ist beim E-Rezept noch geplant?

Künftig soll der Arzt auch an den Pflegedienst Rezepte schicken können, der diese dann in die Apotheke leitet. So entfallen Rennerei und Papierkram. Und man muss über die Quartalsabrechnung sprechen. Kann doch nicht sein, dass man immer für ein Folgerezept im neuen Quartal in die Praxis muss, um die Krankenkassenkarte zu stecken. Das widerspricht dem Gedanken des E-Rezepts.

Welcher Einlöseweg ist beim E-Rezept aktuell am meisten verbreitet?

Bereits jetzt wird das E-Rezept am häufigsten mit der elektronischen Gesundheitskarte eingelöst. Danach folgt der Ausdruck. Die App ist noch schwer zugänglich. Wenn wir aber erst digitale Identitäten haben, wird das die Anmeldung bei der E-Rezept-App erleichtern.

Was ist diese digitale Identität?

Jeder Versicherte bekommt künftig eine GesundheitsID. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir endlich modern digital miteinander interagieren können. Das sieht auch die europäische Gesetzgebung vor. Mit so einer digitalen Identität können Sie sich zum Beispiel beim E-Rezept, der elektronischen Patientenakte oder beim Krankenhausportal digital anmelden statt wie bisher jetzt mit Krankenkassenkarte.

Wie bekommen die Menschen so eine GesundheitsID?

Der Gesetzgeber plant, dass Krankenkassen sie allen Versicherten anbieten. Man geht dann künftig zum Beispiel in die Apotheke, identifiziert sich mit einem Ausweisdokument und bekommt die ID. Funktioniert also so ähnlich wie beim Corona-Zertifikat. Wir besprechen das gerade mit den Apotheken. Versicherten wird dann ein QR-Code zur Registrierung ihrer elektronischen Identität ausgehändigt.

Chefredakteurin Tina Haase, Dr. Leyck Dieken und Ali Vahid Roodsari beim Gespräch in Berlin.

Chefredakteurin Tina Haase, Dr. Leyck Dieken und Ali Vahid Roodsari beim Gespräch in Berlin.

Ein Prestigeprojekt der Gematik war einst die ePA, die elektronische Patientenakte. Aber nicht einmal ein Prozent aller gesetzlich Versicherten hat sie. Fehlt das Vertrauen?

Nein. Die geringe Zahl hat verschiedene Gründe. Softwarehäuser statteten anfangs Ärzte nicht mit aktuellen Programmen aus, sodass Praxen die ePA nicht für die Patienten anlegen konnten. Die Krankenkassen warben somit auch nicht für die ePA. Aber mit der kommenden Opt-out-ePA soll sich das ändern. Patientinnen und Patienten bekommen die Akte automatisch, wenn sie nicht widersprechen. 2025 wird das vermutlich zuerst in zwei Modellregionen passieren.

Meinen Sie, die Deutschen ziehen da mit?

Ja. Weil ich mir kaum einen Bürger vorstellen kann, der aktiv sagt: Ich verzichte auf die Vorteile der ePA. Das sehen wir in Österreich, wo es die ePA bereits länger gibt. Mit der neuen ePA werden im ersten Jahr automatisch der Medikationsliste und im zweiten Jahr Laborwerte in die Akte hochgeladen.

Was ist mit dem Datenschutz: Ist die elektronische Patientenakte sicher?

Diese Antwort gibt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik oder der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Die sagen: Ja. Und: Jeder Bürger hat weiterhin die Kontrolle über seine Daten und kann bestimmen, welche Befunde in der ePA landen und welche nicht.

Dennoch gibt es Kritik: Psychologenverbände warnen zum Beispiel davor, dass Menschen stigmatisiert werden können, wenn Daten abhandenkommen.

Deshalb sieht der Gesetzgeber Löschrechte vor. Das könnte zum Beispiel bedeuten: Sie können bestimmen, dass ein Feld „geschwärzt“ wird. Andere Ärzte sehen dann, dass zum Beispiel ein Medikationsfeld befüllt wurde. Aber sie sehen nicht, mit welchem Medikament. Der Arzt kann Sie jedoch darauf ansprechen. Zum Beispiel, wenn Sie eine Herz-Rhythmus-Störung haben, was manche Antidepressiva auslösen können.

Können Sie die Datenschutzdebatte nachvollziehen?

Die Gematik ist mit dem Chaos Computer Club und anderen Kritikern im Dialog. Die eine Frage ist hier die technische Lösung. Die andere: Ist allen bewusst, dass das Nichtnutzen der Daten auch Leben gefährdet? Da sind wir eher bei den Stimmen der medizinischen Fachgesellschaften. Die sagen: Daten nicht nutzen heißt, Menschen in Gefahr bringen. Im kommenden Digitalgesetz gibt es eine Abwägung zwischen Datennutzung und Datenschutz.

Gibt es beim Thema Digitalisierung etwas, was Deutschland von anderen Ländern lernen kann?

Pragmatismus. Es gibt keine hundertprozentige Lösung. Andere Länder sagen: „Wir machen das jetzt und gehen voran und dann verbessern wir das Produkt wieder und wieder“. Und damit erzielen sie viel mehr Erfolg bei der Bevölkerung.

Vielleicht ist die deutsche Bevölkerung nicht bereit für die Digitalisierung?

Die meisten Bürger wissen, dass sie von einem besseren digitalen Gesundheitswesen profitieren können: Ein E-Rezept zu Hause zu empfangen, ohne in die Arztpraxis zu gehen, ist bequem. Mithilfe der elektronischen Patientenakte können Ärzte und Apotheker Wechselwirkungen von Medikamenten einfach feststellen. Und die Gemeinschaft kann von den Daten ebenfalls profitieren. Ich glaube, viele spüren inzwischen, dass ihnen durch die mangelnde Digitalisierung einiges entgeht.

Wann wird das deutsche Gesundheitssystem denn nun endgültig digitalisiert sein?

Das kann ich nicht vorhersagen. Das kommt auf die Reaktionen bei den nächsten Einführungen an und wie stringent reagiert wird. Man muss sagen: Digitalisierung braucht starken politischen Willen.

Wie stellen Sie sich das deutsche Gesundheitswesen in zehn Jahren vor?

Ich glaube, dass die junge Generation mit Digitalisierung viel unbefangener umgeht. Unter anderem KI wird auch dazu führen, dass Behandler wie Pflegekräfte mehr machen dürfen als jetzt. Und ein Arzt mit digitalem Begleiter wird besser sein als ein Arzt ohne digitalen Begleiter.

Wir können also diese ganzen medizinischen Daten nur dann zu den Patienten bringen, wenn wir mit Digitalisierung arbeiten?

Genau. Und das spüren auch mehr und mehr Bürger. Und deshalb, glaube ich, werden sie auch mehr Druck machen, nur noch von Häusern versorgt zu werden, die gut digitalisiert sind.

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