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Meine chronische Erkrankung ist wie ein zeitintensives Hobby, das ich nie wollte. Wie die ungeplante Kernsanierung einer Wohnung, die ich für ganz solide hielt. Viel Energie und Zeit habe ich in den vergangenen zwei Jahren mit der Verwaltung meiner Rezepte verbracht: telefonieren, ausstellen lassen, abholen, einlösen, mit Arztterminen für Rezepte jonglieren, Unverträglichkeiten dokumentieren, Nebenwirkungen managen.

Woran ich erkrankt bin, möchte ich nicht sagen. Nur so viel: Ich habe die Situation zwar gut im Griff, trotzdem gehören Probleme im Alltag zu meiner Erkrankung dazu. Ich bin zum Beispiel nicht der Typ, der sich ein Rezept vorsorglich mit der Post schicken lässt, sondern hetze im letzten Moment zu meiner Ärztin. Für den Arztbesuch das Haus zu verlassen, kann zu einer Aufgabe werden.

Verordnung von zu Hause aus anfordern und digital einlösen? Ein Traum!

Da klingt ein E-Rezept verlockend: eine Verordnung von zu Hause aus anfordern, digital einlösen und Medikamente von meiner Vor-Ort-Apotheke geliefert bekommen. Ein Traum! Das E-Rezept ist die digitale Version des „rosa Zettels“. Wie bereits jetzt lassen Sie sich als Patientin oder Patient ein Rezept in der Arztpraxis ausstellen. Nutzen Sie den elektronischen Weg, erhalten Sie einen QR-Code in die E-Rezept-App auf Ihrem Smartphone. Damit können Sie bei Ihrer Apotheke vor Ort Medizin bestellen und sich per Botendienst liefern lassen – sofern Ihre Apotheke den Service anbietet. Gehen Sie mit dem E-Rezept in die Apotheke, müssen Sie den Code auf dem Handy vorzeigen.

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Für Menschen ohne Smartphone gibt es ebenfalls eine Lösung: Sie erhalten einen Papierausdruck mit QR-Code. Vermutlich ab Mitte 2023 können Sie das E-Rezept zudem mit der elektronischen Gesundheitskarte abholen. Verantwortlich dafür ist die Gematik GmbH. Die halbstaatliche Gesellschaft entwickelt und verwaltet die digitale Gesundheitsinfrastruktur, die Apotheken, Praxen und Kliniken miteinander vernetzt. Und beim E-Rezept gibt es schon gute Nachrichten: Alle Apotheken in Deutschland sollten bereits E-Rezepte verarbeiten können. Stand 19. Januar 2023 wurden schon eine Million E-Rezepte eingelöst.

Erste Schritte: Neue Gesundheitskarte bestellt und E-Rezept-App heruntergeladen

Das nützt aber nichts, wenn manche Ärztinnen und Ärzte noch keine digitalen Verordnungen ausstellen, wie ich später merken werde. Dabei habe ich mir vorsorglich meine neue Gesundheitskarte bestellt und die E-Rezept-App der Gematik heruntergeladen. Es gibt sie im Google Play Store und in Apples App Store. Wenn Sie sie nutzen wollen, brauchen Sie ein Smartphone und eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit NFC-Funktion sowie eine PIN von Ihrer Krankenkasse.

NFC bedeutet Near Field Communication, zu Deutsch: Nahfeldkommunikation. Das ist eine Möglichkeit, drahtlos Daten zu senden. Sie kennen das vielleicht von Ihrer Bankkarte, wenn Sie kontaktlos zahlen. Ob Sie eine solche eGK haben, erkennen Sie am Strahlensymbol auf der Karte. Sowohl Karte als auch PIN müssen Sie vermutlich erst bei Ihrer Krankenkasse anfordern. Für die PIN müssen Sie sich bei Ihrer Kasse identifizieren. Das kann aufwendig sein, denn in vielen Fällen muss man sich per Post oder in der Filiale vor Ort ausweisen. Alternativ können Sie sich bei der E-Rezept-App über die App Ihrer Krankenkasse anmelden. Die müssen Sie aber auch erst installieren und einrichten.

Mulmiges Gefühl: Gibt es Sicherheitslücken beim E-Rezept?

Die E-Rezept-App der Gematik wirkt auf mich aufgeräumt und übersichtlich. Doch ich bekomme Zweifel am Ganzen: Bei meinen Recherchen lese ich von möglichen Sicherheitslücken beim E-Rezept. Einmal hätten Unbekannte auf Rezeptdaten von Patientinnen und Patienten zugreifen können – und so mehr über deren Erkrankungen erfahren. Grund dafür war ein technischer Lösungsweg des E-Rezepts. Die ganze Geschichte ist zu lang, um sie hier auszuführen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber erklärt den Fall in einem Interview mit der Apotheken Umschau ausführlich.

Die Geschichte endet zum Glück damit, dass Kelber die Gefahr erst einmal bannte. Trotzdem wird mir bei dem Gedanken mulmig, dass Unbekannte mehr über meine Erkrankung wissen könnten. Ich gehe ein Risiko ein, wenn eine Diagnose wie meine öffentlich wird. Finanzielle Probleme könnten die Folge sein: Ich könnte etwa keine private Berufsunfähigkeitsversicherung bekommen.

Die Hoheit über die eigenen Daten behalten

Wären also Einbußen bei der Sicherheit meiner Daten ein Risiko, das ich für das E-Rezept eingehen müsste? Nein, das E-Rezept ließe sich entsprechend gestalten. Das sagt mir ein IT-Experte vom Hacker-Verein Chaos Computer Club, der sich Flüpke nennt: „Ein hohes Sicherheits- und Datenschutzniveau schließt Komfort und eine Weiterverwertung der Daten nicht aus – wie vielfach Datensammler behaupten.“ Wichtig sei, dass die Patientinnen und Patienten durch geeignete technische Maßnahmen – wie eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – die Hoheit über ihre Daten behalten.

Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen Messenger wie Whatsapp. Daten zwischen zwei Geräten sind verschlüsselt und werden erst auf dem Empfangsgerät entschlüsselt. Wer den Schlüssel nicht hat, kann mit den Daten nichts anfangen. Beim E-Rezept ist eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht vorgesehen. Flüpke bereitet auch etwas anderes Sorge: dass Daten aus den E-Rezepten auf einem zentralen Server gespeichert werden sollen. „Dieser Speicher könnte Begehrlichkeiten wecken“, sagt er. Im Klartext heißt das: Dritte könnten im schlimmsten Fall an meine Daten kommen.

So nutzen Sie das E-Rezept

Für das E-Rezept brauchen Sie nicht unbedingt ein Smartphone. Wir schildern beide Möglichkeiten:

So bekommen Sie das Medikament

In der Arztpraxis gescheitert: „E-was?“

Besonders wohl fühle ich mich nach dieser Recherche nicht, als ich bei meiner Fachärztin anrufe. Ich erinnere mich an die Vorfreude auf ein Rezept von der Couch und schiebe meine Grübeleien beiseite. Es stellt sich aber heraus, dass ich mir erst mal keine Sorgen machen muss. „E-was?“, fragt die Medizinische Fachangestellte am Telefon. „Ne, so was haben wir nicht. Ich kann Ihnen das Rezept mit der Post schicken.“ Auch meine Hausärztin nutzt das E-Rezept nicht. Wohl oder übel muss ich das Rezept also wieder selbst holen. Ich habe das mit einem Spaziergang verbunden. Das soll auch gut für die Gesundheit sein.

Weitere Teile der Serie: Wie digital ist die Medizin in Deutschland?


Quellen: