Digital gegen Depressionen? Sieben Apps im Überblick
Laut einer Befragung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe nutzen sieben Prozent der Menschen mit einer diagnostizierte Depression, die sich aktuell in einer Krankheitsphase befinden, eine sogenannte digitale Gesundheitsanwendung (DiGA)[1]. Der Vor-Ort-Kontakt bei Hausärztin, Facharzt oder in einer therapeutischen Praxis bleibt derweil die Regel: 48 Prozent gaben an, eine Psychotherapie zu machen.
Hohe Nutzung von DiGAs bei Depressionen
Dass die beiden Zahlen so unterschiedlich hoch sind, heißt aber nicht automatisch, dass die meisten Menschen mit Depressionen DiGA skeptisch gegenüberstehen. Im Gegenteil. Eine weitere Befragung der Stiftung zeigte: Die Akzeptanz digitaler Angebote bei Depression ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Sahen 2017 noch 40 Prozent Online-Anwendungen als hilfreiche Unterstützung an, so waren es 2020 bereits 55 Prozent[2]. Der Vorsitzende der Stiftung, Psychiater Prof. Dr. Ulrich Hegerl, geht davon aus, dass sich der Trend fortsetzen wird.
Viele der Patientinnen und Patiente berichten von einem Gefühl der Hilflosigkeit. „Depressionen sind schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankungen“, so Hegerl. „Sie gehen im Schnitt mit einer Verringerung der Lebenserwartung um zehn Jahre einher. Das macht eine professionelle Begleitung so enorm wichtig.“ Gleichzeitig müssen sich Erkrankte oft viele Monate gedulden, bis sie endlich einer Therapeutin oder einem Therapeuten gegenübersitzen. Schon davor etwas tun zu können – etwa mithilfe einer digitalen Gesundheitsanwendung –, dieser Gedanke ist für einige beruhigend.
Diese Vorteile bieten die Apps
Doch die Vorteile der digitalen Helfer gehen über das Schließen von Versorgungslücken hinaus: sich über Ursachen einer Depression informieren? Nach Feierabend auf dem Sofa eine Selbstwirksamkeitsübung machen? Den Lauf der eigenen Gedanken beobachten? Mit einer App geht das. Man muss nicht jedes Mal einen Termin ausmachen. „Generell sehen wir die Stärkung der Patientenautonomie durch die DiGA als Vorteil“, sagt Hegerl.
Depressionen sind in Deutschland das Erkrankungsfeld mit den meisten digitalen Gesundheitsanwendungen. Die Apps bauen in der Regel auf dem Modell kognitiver Verhaltenstherapie auf. „Diese Therapie ist weltweit die am besten belegte Psychotherapieform bei Depressionen“, so Hegerl. Zentrale Inhalte der Apps: den Tag strukturieren, negative Grübelschleifen durchbrechen und lernen, Selbstüberforderung zu stoppen. DiGA-Anbieter stellen bei ihren Apps außerdem gerne heraus, dass diese auch Wissen über die Krankheit vermitteln: Wer eine Therapie mit grundlegendem Wissen beginnt, ist möglicherweise im Vorteil.
Ersetzen DiGAs eine Therapie?
Doch lassen sich psychische Probleme wirklich online behandeln? In vielen Fällen ja, sagt die Stiftung Warentest, die 2019 acht Online-Programme zur Akutbehandlung von oder Prävention gegen Depressionen prüfte. Darunter zwei DiGA, die heute noch im Verzeichnis gelistet sind. Eine von ihnen erhielt die Auszeichnung „empfehlenswert“, die andere das Prädikat „eingeschränkt empfehlenswert“. „Die Apps haben sich aber weiterentwickelt“, sagt die Apothekerin Dr. Bettina Sauer von Stiftung Warentest. Für eine aktuelle Einordnung müsse man sie sich erneut ansehen.
Tatsächlich gibt es inzwischen Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Digital-Angebote gut helfen und eventuell sogar mit einer Psychotherapie im direkten Kontakt vergleichbar sind. Wichtig aber: „Eine DiGA ist keine Alternative zu einer leitlinienkonformen Behandlung bei einer Depression mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie“, betont Hegerl. Nur im persönlichen Kontakt können Feinheiten wie Gesichtsausdrücke oder andere nonverbale Signale Hinweise liefern, wenn jemand in großer Not und vielleicht sogar suizidgefährdet ist.
Problem: Datenschutz
Bei sehr schweren Depressionen sieht man den Einsatz von DiGA bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe kritisch. Menschen, die teils nicht mal die Kraft hätten, morgens das Bett zu verlassen, seien mit derartigen „Arbeitsprogrammen“ wahrscheinlich überfordert, so Hegerl. Schlimmstenfalls kommen die bei Depressionen verbreiteten Schuldgefühle dazu: Noch nicht mal so ein Programm schaffe ich.
Auch das Thema Datenschutz könnte für manche Grund zur Sorge sein. „Sicherheitsmängel sind grundsätzlich nie auszuschließen. Es bleibt immer ein Restrisiko“, sagt Martin Tschirsich, Sicherheitsforscher und Mitglied des Chaos Computer Clubs. Sein Tipp an Verbraucher: Die meisten DiGA könnten unter Angabe eines fiktiven Namens genutzt werden. „Sofern die Angabe einer E-Mail-Adresse erforderlich ist, rate ich dazu, eigens hierfür einen pseudonymen E-Mail-Account einzurichten.“.
Wie komme ich an eine App?
Wie bei Arzneimitteln ist auch für DiGA der Erstkontakt mit einem Arzt oder einer psychologischen Physiotherapeutin Voraussetzung für die Verordnung. Ohne Diagnose und Freischaltung durch Fachleute kann man sich die App nicht herunterladen. Im Einzelfall können Patientinnen und Patienten sich eine DiGA auch direkt bei der Krankenkasseüber einen (möglicherweise schon älteren) Nachweis der Diagnosefreischalten lassen – also ohne ein vorausgehendes Gespräch mit einer Expertin oder einem Experten. Untersuchungen zeigen jedoch, dass digitale Gesundheitsanwendungen bei professioneller Begleitung besser helfen.
Digitale Depressions-Helfer
Diese Angebote gibt es aktuell im DiGA-Verzeichnis:
- Deprexis
Deprexis ist eine Anwendung, die auch bei schweren Depressionen zum Einsatz kommen darf. Sie reagiert interaktiv auf die momentanen Bedürfnisse der Anwenderin oder des Anwenders und will helfen, depressive Phasen „eigenständig“ zu überwinden – also explizit ohne externen therapeutischen Support, wie der Vermarkter betont. Die Stiftung Warentest schätzte das „therapeutische Potenzial“ und den „belegten Nutzen“ bei ihrem Test 2019 als „hoch“ ein.
Wichtig zu wissen: Deprexis ist keine klassische App, lässt sich aber trotzdem auf allen mobilen Endgeräten nutzen.
Kosten für Selbstzahler: Das dreimonatige Programm kostet für Selbstzahler und Privatpatienten 210 Euro.
- Selfapy
Selfapy widmet sich in zwölf Lektionen bestimmten Themen wie dem Umgang mit negativen Gedanken, Entspannungstechniken oder der Strukturierung des Tages. Im Tagebuch lassen sich Ereignisse und Stimmungen dokumentieren. Einflussfaktoren werden visualisiert, um Zusammenhänge erkennen zu können.
Wichtig zu wissen: Persönlicher Kontakt ist nur schriftlich vorgesehen (per Chat in App oder Browser). Eine vertiefte psychologische Begleitung per Mail oder Telefon muss auf Selbstzahler-Basis dazugebucht werden. Gesetzliche Krankenkassen erstatten das Extra nicht.
Kosten für Selbstzahler: Das Programm geht über 90 Tage und kostet 217 Euro.
- Elona
Elona ist als Schnittstelle zwischen ambulanter Psychotherapie und digitaler Intervention gedacht und kann nur im Zuge einer Regeltherapie verwendet werden. Das Herzstück ist ein wöchentlicher Therapieplan mit Tagesaufgaben. Den Plan generiert die App auf Basis von Inhalten, die der Therapeut oder die Therapeutin freischaltet. So können zwischen den regulären Gesprächsterminen stets Themen bearbeitet werden, die gerade in der Behandlung relevant sind.
Wichtig zu wissen: Der Freischalt-Code ist 90 Tage gültig.
Kosten für Selbstzahler: 535 Euro
- My7steps
Die Kurzzeittherapie in sieben Schritten stellt am Anfang die Frage: Was belastet mich aktuell am meisten? Im zweiten Schritt analysiert man, welche Faktoren Einfluss auf das Problem haben (etwa schlechter Schlaf oder mangelnde Konzentration). Je nach Ursache leitet die App interaktiv weiter. Bei Schritt vier wird eine „Hauptbeschwerde“ formuliert, die in den nächsten Etappen dann zu einer Lösung führen soll.
Wichtig zu wissen: My7steps ist nicht per Smartphone via App nutzbar, sondern eine reine Web-Anwendung.
Kosten für Selbstzahler: 470 Euro.
- Edupression
Patientinnen und Patienten legen pro Woche ein bestimmtes Ziel fest. Zum Beispiel: „Ich möchte wieder besser schlafen“ oder „Ich möchte den Alltag besser bewältigen“. Dafür werden dann vertiefende Informationen, Übungen und Empfehlungen angezeigt. Durch das Programm führen zwei Therapie-Avatare: „Eddy“ erklärt und begleitet durchs Programm. „Alice“ leidet selbst an einer Depression, berichtet von ihren Erfahrungen und von ihrem Weg zur Genesung.
Wichtig zu wissen: Das Programm funktioniert auf dem Rechner, Tablet und Smartphone. Eigene Therapeutinnen oder Therapeuten können auf Wunsch eingebunden werden. Kosten für Selbstzahler: Für drei Monate zahlt man 357 Euro.
Quellen:
- [1] Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention: Pressematerial Deutschland-Barometer Depression 2022. Online: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/... (Abgerufen am 22.09.2023)
- [2] Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention: Deutschland Barometer 2020, Deutschland-Barometer Depression: massive Folgen für die psychische Gesundheit infolge der Corona-Maßnahmen. Online: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/... (Abgerufen am 22.09.2023)
- Stiftung Warentest: Psychotherapie online – geht das?. Online: https://www.test.de/... (Abgerufen am 22.09.2023)
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: DiGA-Verzeichnis, Depressionen. Online: https://diga.bfarm.de/... (Abgerufen am 13.09.2023)
- Moshe I, Terhorst Y, Philippi P et al.: Digital Interventions for the Treatment of Depression, A Meta-Analytic Review. In: Psychological Bulletin 01.01.2021, 147-8: 749
- Carlbring P, Andersson G, Cuijpers P et al.: Internet-based vs. face-to-face cognitive behavior therapy for psychiatric and somatic disorders, an updated systematic review and meta-analysis. In: Cognitive Behaviour Therapy 01.12.2017, 47-2: 1-18