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Was ist ein Versorgungsmangel?

Einen Versorgungsmangel gibt es relativ selten – anders als Lieferengpässe. Während man bei einem Engpass oft auf andere, vergleichbare Medikamente ausweichen kann, ist das bei einem Versorgungsmangel nicht möglich. Denn Alternativen stehen in der Regel nicht zur Verfügung.

Was steckt hinter den Engpässen?

Die Gründe sind komplex. Viele Medikamente werden heute vor allem in China und Indien produziert. Die Folge sind lange und störanfällige Lieferketten. Hinzu kommt: Starker Kostendruck führt dazu, dass Unternehmen sich aus der Produktion zurückziehen. So werden viele Arzneimittel weltweit nur noch von einer Handvoll Firmen hergestellt.

Bei Antibiotikasäften für Kinder deutet nach Meinung der Krankenkassen vieles darauf hin, dass eine steigende Nachfrage verantwortlich ist für den Engpass. „Nach Auslaufen der Corona-Schutzmaßnahmen, wie dem Tragen eines Mund-Nasenschutzes, scheint es einen Nachholeffekt an Infektionskrankheiten zu geben“, erklärt ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands. Zudem könne es aber auch sein, dass weniger Arzneimittel produziert wurden, „nachdem große Infektionswellen in den letzten zwei, drei Jahren ausgeblieben sind“.

Was ändert sich mit der offiziellen Bekanntmachung des Mangels?

Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Mangel an antibiotikahaltigen Kindersäften Ende April offiziell im Bundesanzeiger verkündet. Damit können die Länder das strenge Arzneimittelgesetz nun an einigen Stellen lockern und die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland erleichtern.

Konkret bedeutet das: Importiert werden dürfen auch Antibiotika, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind. Das kann etwa ein Saft aus Frankreich sein, der keine deutsche Verpackung hat. Die gelockerten Vorgaben greifen inzwischen in fast allen Bundesländern, darunter in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Thüringen und Hessen. Hamburg und Berlin erteilen jeweils im Einzelfall die erforderlichen Genehmigungen.

Welche Antibiotika sind betroffen?

Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind aktuell vor allem die Wirkstoffe Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure und Penicillin V knapp. Sie kommen etwa bei Scharlach oder Mandelentzündung zum Einsatz.

Wie sicher sind in Deutschland nicht zugelassene
Medikamente?

Innerhalb der EU gelten vergleichbare Standards für die Zulassung von Arzneimitteln. In der Regel unterschieden sich importierte Medikamente aus anderen EU-Staaten in ihrer Zusammensetzung somit nicht von den in Deutschland zugelassenen Produkten, erklärt ein Sprecher des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung. „Ein nicht vorhandener deutscher Beipackzettel ist oftmals der einzige Unterschied.“

Das betont auch die Vorsitzende des Saarländischen Apothekervereins, Susanne Koch. Es handele sich um Präparate, die für das Ausland im Ausland hergestellt wurden und somit keine deutsche Aufschrift tragen. „Unsere Aufgabe in der Apotheke ist es, den Eltern das, was sonst im Beipackzettel stehen würde, zu erläutern, die Dosierung oder auch die Zubereitung zu erklären.“

Die Importe selbst erfolgen laut GKV-Spitzenverband durch den pharmazeutischen Großhandel und die Apotheken oder zumindest unter Kontrolle der jeweiligen Landesbehörden. „Somit sind immer Profis daran beteiligt, die sicherstellen, dass die Ware geeignet ist für den engpassbedingten Einsatz in Deutschland.

Können Apotheken Antibiotikasäfte auch selbst herstellen?

Grundsätzlich können Apotheken die Säfte für Kinder als sogenannte Rezeptur selbst anfertigen. „Wenn Wirkstoffe vorhanden sind, oder auch Fertigarzneimittel in fester Form, können wir normalerweise daraus kindgerechte Rezepturen herstellen“, sagt Susanne Koch vom Saarländischen Apothekerverein. „Bei Antibiotika fehlt es allerdings aktuell sowohl an Wirkstoff-Rohstoff als auch an festen Arzneimitteln, die wir weiter verarbeiten könnten.“

Häufig brauchen Patientinnen und Patienten darüber hinaus ein neues Rezept vom Arzt für die Rezeptur, damit die Apotheke das selbst hergestellte Medikament mit der Krankenkasse abrechnen kann. Einige Kassen zeigen sich inzwischen allerdings kulant. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel haben sich Krankenkassen und Apothekerverbände darauf verständigt, dass die Pflicht zur Vorlage eines neuen Rezepts vorübergehend wegfällt. Stattdessen reicht es aus, wenn die Apotheke noch einmal mit dem Arzt oder der Ärztin Rücksprache hält.

Kommen nun genug Antibiotika in den Markt?

Laut Gesundheitsministerium prüft das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) derzeit mögliche Kontingente an Antibiotikasäften, die nach Deutschland importiert werden könnten. Das BfArM selbst allerdings dämpft die Hoffnung auf eine schnelle Entspannung der Lage. So seien die vom Mangel betroffenen Antibiotika nahezu überall in der EU knapp, heißt es dort.

Ähnlich äußert sich ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands. Antibiotikasäfte seien in allen europäischen Ländern schwer zu bekommen. „Dennoch kann, insbesondere vor dem Hintergrund der regional unterschiedlichen Zahl relevanter bakterieller Infekte von Kindern, der Import helfen, knappe aber noch vorhandene Arzneimittel bedarfsgerechter zu verteilen.“

Wie will die Politik das Problem langfristig lösen?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Mangel mit einem neuen Gesetz in den Griff bekommen. Bei Kinderarzneimitteln sollen die Preisregeln demnach gelockert werden, um diesen Bereich wieder attraktiver zu machen für die Industrie.

Darüber hinaus will die Ampel vor allem die Produktion von Antibiotika verstärkt zurück nach Europa holen. Bei Rabattverträgen zwischen Herstellern und Krankenkassen sollen in Zukunft verpflichtend immer auch Firmen mit einem Produktionsstandort in der EU zum Zuge kommen. Kritikern gehen die Pläne allerdings nicht weit genug. Die EU-Kommission schlägt darüber hinaus ein europaweites Frühwarnsystem für Lieferengpässe vor.