Der Ampel fehlt eine Strategie

Nicht verfügbar: Knappe Arzneimittel gehören inzwischen zum Alltag in den Apotheken.
© Getty Images/Digital Vision/Luis Alvarez
Die Einsicht kam spät, wie so oft in der Politik. Rund 480 Medikamente sind in Deutschland aktuell knapp. So steht es in der Engpassliste, die das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte führt. Über viele Jahre haben die Parteien das Problem nicht wirklich ernst genommen - erst die Pandemie brachte die Wende. Jetzt hat die Ampel einen Gesetzentwurf gegen Lieferengpässe auf den Tisch gelegt. Der allerdings wird allenfalls punktuell Verbesserungen bringen.
Besonders dramatisch war die Lage zuletzt bei Kinderarzneimitteln. So mussten sich Eltern in Apotheken vielfach durchfragen, um an Fiebersaft zu kommen. Genau das hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) öffentlichkeitswirksam ins Zentrum seiner geplanten Reform gerückt. Tatsächlich setzt die Ampel in diesem Teilbereich an den richtigen Stellschrauben an: Preisregeln werden gelockert und Rabattverträge abgeschafft, über die Krankenkassen aktuell immer nur den günstigsten Herstellern den Zuschlag für die Versorgung erteilen. So wird die Produktion von Kindermedikamenten wieder attraktiver für die Industrie.
Mehr Produktion in Europa
Verbesserungen sind auch für Antibiotika in Sicht. Bei Rabattverträgen für diese Wirkstoffe sollen in Zukunft verpflichtend Unternehmen mit Produktion in Europa zum Zuge kommen. Das soll die Abhängigkeit von Asien bei der Arzneimittelherstellung reduzieren.

Hauptstadtkorrespondentin Stephanie Schersch
© W&B/André Laame
Bei allen anderen Medikamenten allerdings bleibt der Gesetzentwurf ein stumpfes Schwert im Kampf gegen Lieferengpässe. Auch Blutdrucktabletten, Insuline, Psychopharmaka oder Krebsmedikamente sind immer wieder knapp. Zwar werden Hersteller und Klinikapotheken verpflichtet, wichtige Präparate in größeren Mengen einzulagern. Vorübergehende Engpässe sollen sie damit besser abfedern können. Doch das nimmt nicht den mitunter immensen Preisdruck aus dem System.
Keine Frage: Die Lage ist komplex. Den Krankenkassen fehlt Geld. Pharmahersteller rufen zugleich teilweise Mondpreise für innovative Arzneimittel auf. Doch ganz anders sieht es bei Nachahmermedikamenten, den sogenannten Generika aus. Hier wurde die Preisschraube in den zurückliegenden Jahren bereits vielfach überdreht. Im Schnitt erhalten Hersteller 6 Cent für eine Tagesdosis. So ziehen sich Unternehmen nicht selten aus Kostengründen zurück aus der Produktion.
Wir brauchen ein Konzept für alle Generika
Zu guter Letzt stößt Lauterbach mit seiner Reform auch all jene vor den Kopf, die das Management der Lieferengpässe vor Ort übernehmen. Volle fünf Stunden pro Woche hat ein Apothekenteam im Schnitt allein mit dieser Aufgabe zu tun. In Zukunft wollen die Ampel-Parteien ihnen 50 Cent Aufwandentschädigung bei fehlenden Medikamenten zahlen – für Rücksprachen mit dem Arzt, die Organisation einer Alternative, die Aufklärung des Patienten und natürlich die Dokumentation. Viele Apothekerinnen und Apotheker empfinden das zu Recht schlichtweg als Hohn.
Eine nachhaltige Strategie gegen Lieferengpässe jedenfalls ist der Gesetzentwurf nicht. Es fehlt ein Gesamtkonzept für alle Generika. Natürlich würden die Kosten der Reform damit weiter steigen. Anhaltende Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten allerdings könnten uns am Ende noch deutlich teurer zu stehen kommen. Bleibt zu hoffen, dass in der Ampel-Regierung auch diese Einsicht langsam wächst.