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In Deutschlands Notaufnahmen herrscht seit geraumer Zeit der Ausnahmezustand: Zu viele Fälle, zu wenig Personal, zu wenig Geld. Für Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, und die Union sind daran vor allem jene Patientinnen und Patienten schuld, die die Notaufnahmen aufsuchen, obwohl sie gar keine akuten Notfälle sind. Die will Gassen künftig zur Kasse bitten: Er schlägt eine Gebühr für Patientinnen und Patienten vor, die ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung in die Notaufnahme kommen. CDU/CSU springen ihm bei und fordern eine Gebühr von 20 Euro. Doch nicht die Hilfesuchenden sind das Problem, sondern das System, das so nicht mehr funktioniert.

In einem Punkt hat Gassen natürlich Recht: Die Notaufnahmen müssen künftig entlastet werden. Laut dem Bundesgesundheitsministerium ist die Zahl der Notfallpatientinnen und -patienten zwischen 2009 und 2019 von 14,9 Millionen auf 19,1 Millionen gestiegen, also um knapp 30 Prozent. Doch Personal ist und bleibt knapp. Und so hat ein breites Bündnis aus Rettungskräften vor wenigen Monaten bereits vor dem Zusammenbruch der Notfallrettung in Deutschand gewarnt.

Doch können Strafzahlungen das verhindern? Strafen gehen an dem, was die Betroffenen wirklich brauchen – um nicht weniger sollte es bei Gesundheitsversorgung doch gehen – weit vorbei.

Reform des gesamten Systems

Viele von ihnen werden schließlich erst zu Notfällen, weil die ärztliche Versorgung an anderer Stelle nicht funktioniert: Weil sie bei überfüllten Hausarztpraxen abgewiesen werden oder es in ihrer Nähe auf dem Land gar keine gibt. Weil sie wochenlang auf einen Termin warten oder überfordert sind, weil Deutsch nicht ihre Muttersprache ist.

Gassens Vorschlag verkennt auch, dass die ärztlichen Bereitschaftsdienste, wo die Betroffenen seiner Vorstellung nach anrufen sollen, selbst überlastet sind und die Anrufenden oft einfach weiter in die Notaufnahme schicken. All das zeigt: Das gesamte Nothilfe-System muss reformiert werden. Und zwar nicht, indem Menschen davon abgeschreckt werden, sich Hilfe zu suchen, weil sie Strafen fürchten. Viele von ihnen landen jetzt schon zu spät in den Notaufnahmen – und das kann etwa beim Herzinfarkt, wenn jede Sekunde zählt, das Leben kosten. Vielmehr muss grundsätzlich überdacht werden, wie Menschen die Hilfe erhalten können, die sie brauchen. Und die ist tatsächlich nicht immer im Krankenhaus zu finden.

Glücklicherweise gibt es schon ein Refomkonzept, das genau darauf abzielt. Nach den Plänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollen flächendeckend integrierte Notfallzentren (INZ) sowie integrierte Leitstellen (ILS) aufgebaut werden. Das klingt zwar sperrig, doch im Grunde sollen Patientinnen und Patienten damit eine zentrale telefonische Anlaufstelle bekommen, die ihnen im Notfall beratend zur Seite steht. Am anderen Ende der Leitung sitzt dann Fachpersonal, das gemeinsam die beste Lösung sucht – das kann dann der Rettungswagen oder etwa ein Hausbesuch von der Hausärztin sein. Auch in den Krankenhäusern selbst soll die Hilfe spezialisiert werden.

Das erklärte Ziel dieser Maßnahmen: eine schnellere und effektivere Versorgung der Hilfesuchenden. Strafzahlungen aber werden dazu nichts beitragen.

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