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Herr Lauterbach, aktuell sind rund 500 Medikamente knapp. Das beschäftigt Apotheken wie Patientinnen und Patienten. Im August ist das Lieferengpass-Gesetz in Kraft getreten. Aber die Reform braucht Zeit, um zu wirken. Haben wir diese Zeit denn überhaupt?

Strukturreformen benötigen immer Zeit, bevor sie ihre volle Wirkung entfalten. Deshalb weise ich ja auch darauf hin, dass die Vorgängerregierungen in den zurückliegenden Jahren einiges versäumt haben. Das holen wir jetzt nach: Wir geben neue Regeln für Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern vor. Wer den Zuschlag bekommt, muss Vorräte einlagern, die für den deutschen Markt reserviert sind. Greifen wird das allerdings erst, wenn Altverträge ausgelaufen sind. Außerdem setzen wir Anreize für Hersteller, in Europa zu produzieren. Aber auch das gelingt natürlich nicht über Nacht.

Welche Rückmeldungen erreichten Sie denn aus der Industrie? Gibt es Hersteller, die Interesse an der Produktion in Europa oder vielleicht sogar in Deutschland haben?

Ja, die gibt es. Wir sind bereits mit Unternehmen im Gespräch. Bewegung sehen wir vor allem bei Kindermedikamenten. Dort haben wir viele Preisregeln kurzfristig gelockert. Einige Firmen produzieren inzwischen deutlich mehr für den deutschen Markt, teilweise liegt die Steigerung bei 100 Prozent.

Deutschland wird also wieder attraktiver für die Pharmaindustrie?

So ist es. Mittelfristig werden wir damit auch unsere Abhängigkeit von Asien reduzieren.

Trotz gesteigerter Produktion drohen aktuell aber wieder Lieferengpässe bei vielen Kindermedikamenten.

Wir können nicht alle Probleme sofort lösen. Auch in diesem Herbst und Winter werden wir vermutlich gegen Lieferengpässe kämpfen müssen. Aber ohne das Gesetz wäre die Lage deutlich dramatischer. In den zurückliegenden Jahren haben sich viele Hersteller aus dem deutschen Markt zurückgezogen, diesen Trend konnten wir stoppen. Außerdem können Apotheken bei nicht lieferbaren Kindermedikamenten nun einfacher auf Alternativen ausweichen. Auch das wird uns helfen, besser durch die kalte Jahreszeit zu kommen.

Apothekerinnen und Apotheker fangen viele Probleme auf, die durch die Arzneimittelknappheit entstehen. Ausgerechnet die fühlen sich aber aktuell von Ihnen nicht so wirklich wertgeschätzt. Ist da ein falscher Eindruck entstanden?

Ich habe immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass ich die Apotheker und Apothekerinnen sehr schätze. Sie haben Großartiges in der Pandemie geleistet und ich traue ihnen viel zu. Die Standesvertretung, also die ABDA, vermittelt aber teilweise den Eindruck, als wäre meine einzige Möglichkeit, Wertschätzung zu zeigen, die Erhöhung des Honorars von 8,35 Euro pro Packung auf 12 Euro. Das macht es für mich schwierig, da wir derzeit geringe finanzielle Spielräume haben.

Wie könnten Sie Ihre Wertschätzung denn stattdessen zum Ausdruck bringen?

Wir müssen gezielter unterstützen, gerade in strukturschwachen Gebieten. Es gibt Apotheken auf dem Land, die zum Teil zwei Notdienste pro Woche machen. Das ist beachtlich. Ich kenne wenige Berufsgruppen, die dazu noch bereit wären. Das werden wir besser vergüten. Außerdem wollen wir die Kompetenz der Apotheker und Apothekerinnen stärker nutzen, zum Beispiel in der Prävention von Schlaganfällen und Herzinfarkten. Im Rahmen gezielter Vorsorgechecks können Werte wie Cholesterin oder Blutdruck routinemäßig in der Apotheke überprüft werden.

Eine bessere Notdienstvergütung reicht sicher nicht, um die finanzielle Schere zwischen wirtschaftlich stabilen Großstadtapotheken und Offizinen auf dem Land etwas zu schließen. Welche Hebel sehen Sie hier noch?

Wir arbeiten derzeit an einem Gesetzesentwurf. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich den internen Beratungen nicht vorgreifen kann.

Zuletzt wurde über die Presse bekannt, dass sie Apotheken die Möglichkeit geben wollen, Filialen zu eröffnen, für die nicht die gleichen Voraussetzungen gelten wie für die Mutterapotheke. Es müsste dort zum Beispiel nicht immer eine Apothekerin oder ein Apotheker vor Ort sein und diese Filialen müssten auch nicht über eine eigene Rezeptur verfügen.

Das wollen wir nicht flächendeckend einführen, sondern in unterversorgten Gebieten ermöglichen. Es geht also nicht darum, bestehende Apotheken in Filialen umzuwidmen. Im Fokus stehen ganz klar Gebiete, wo sich die Frage stellt: Habe ich eine Filialapotheke oder gar keine Apotheke? Ich sage klar: Mir wären Filialen lieber als dort alles dem Versandhandel zu überlassen.

In diesen Filialen sollen dann pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten (PTA) die Versorgung sicherstellen. Aber es gibt viel zu wenige PTA aktuell. Der Beruf wurde gerade erstmals als Engpassberuf eingestuft…

In einer Filialapotheke Verantwortung übernehmen zu können, würde den Beruf aber aufwerten und attraktiver machen. Um die Versorgung auf dem Land mit Apothekerinnen und Apothekern abzudecken – dafür haben wir gar nicht genug Nachwuchs. Und daran würde übrigens auch eine Anpassung der Honorare nichts ändern.

Sondern?

Der Apothekerberuf wird interessanter, wenn mehr wichtige medizinische Aufgaben in Kooperation mit den Ärzten gemacht werden können. Zum Beispiel bei der Betreuung von Menschen mit Diabetes. Wir nutzen die wichtige Ressource Vor-Ort-Apotheke noch viel zu wenig. Das sagen uns auch Wissenschaftler, die uns hierzu beraten.

Was wird die Ärzteschaft dazu sagen, wenn Apotheken weitere medizinische Leistungen anbieten dürfen? Es gab von dieser Seite ja bereits Kritik, etwa an den Impfungen in den Apotheken.

Richtig, aber Standesdenken bringt uns keinen Schritt weiter. Egal ob stationär versus ambulant, Apotheke versus Hausarztpraxis, Pflege versus Ärzteschaft. Ich setze auf ein Miteinander der unterschiedlichen Berufsgruppen. Nur so können wir die Versorgungsqualität bieten, die wir bieten wollen.

Was aktuell alle Berufsgruppen eint, ist der Wille zu Protest und Streiks. Haben Sie Verständnis für die aufgeheizte Stimmung?

Sehr viel Verständnis sogar. Ich bitte aber auch um Verständnis für die aktuelle Lage. Die finanziellen Spielräume sind derzeit sehr eng. Ich wünschte, es wäre anders. Mein Vorgänger hinterließ mir ein Kassendefizit von 17 Milliarden. So ein Defizit gab es noch niemals. Wir haben es ausgeglichen.

Aktuell packen Sie das ehrgeizige Vorhaben an, das Kliniksystem in Deutschland zu reformieren. Dazu gehört ein Qualitätsatlas im Internet, mit dem Patientinnen und Patienten ab Mai 2024 eine bessere Übersicht über Leistungen und Behandlungsqualität von Krankenhäusern bekommen. Was erwarten Sie sich von diesem Verzeichnis?

Wer eine Operation benötigt, kann in Zukunft unkompliziert herausfinden, welche Klinik in der Region für diesen Eingriff am besten geeignet ist. Patientinnen und Patienten können im Qualitätsatlas zum Beispiel sehen, über welche Zertifizierungen eine Klinik verfügt, wie viel Pflegepersonal es vor Ort gibt, wie häufig eine Operation durchgeführt wird und wie oft es dabei in der Vergangenheit zu Komplikationen kam.

Fachleute gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren ungefähr jede fünfte Klinik vor dem Aus steht. Kann die geplante Krankenhausreform verhindern, dass es die falschen Häuser trifft?

Mit der Reform wollen wir ja gerade verhindern, dass es zu einem kalten unsystematischen Strukturwandel kommt. Ich kann nicht ausschließen, dass die eine oder andere Klinik Insolvenz anmelden muss, bevor das Gesetz richtig wirkt. Aber ich hoffe, dass wir die Reform bis Ostern beschließen werden und es uns gelingen wird, alle Kliniken, auf die wir nicht verzichten können, auch weiterhin am Netz zu halten.

Was sind denn unverzichtbare Kliniken?

Das kann man pauschal nicht sagen. Aber die Rettung kleiner Kliniken auf dem Land ist ein zentrales Ziel der Reform. Viele dieser Krankenhäuser kommen heute nicht auf die nötigen Fallzahlen, um überleben zu können. Mit dem Gesetz wollen wir Kliniken in Zukunft nicht mehr hauptsächlich dafür bezahlen, dass bestimmte Operationen stattfinden. Stattdessen sollen sie Geld dafür bekommen, dass sie die Infrastruktur bereithalten, um bei Bedarf Leistungen zu übernehmen. Die Vorhaltepauschalen sind also eine Art Existenzgarantie.

Chefredakteurin Julia Rotherbl und Stephanie Schersch, Leiterin des Politikressorts, beim Interview in Berlin mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Chefredakteurin Julia Rotherbl und Stephanie Schersch, Leiterin des Politikressorts, beim Interview in Berlin mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Dennoch sind gerade Menschen auf dem Land in Sorge. Mit der Reform sollen sich Kliniken künftig spezialisieren. Wer eine bestimmte Operation benötigt, könnte also weitere Wege zurücklegen müssen, um zum nächsten geeigneten Krankenhaus zu kommen.

Wir haben in Deutschland in weiten Teilen des Landes eine spektakulär hohe Klinikdichte. Ich rechne daher nur mit unwesentlich längeren Fahrzeiten bis zum nächsten passenden Krankenhaus, im Durchschnitt wird es vermutlich nur um wenige Minuten gehen. Und stellen wir uns doch selbst einmal die Frage! Wenn ich eine Behandlung benötige, wähle ich da die spezialisierte Klinik oder den zehn Minuten kürzeren Anfahrtsweg? Ich bin sicher: Die meisten wählen die bestmögliche Versorgung.

Die Reform ist noch nicht in trockenen Tüchern. Gegenwind kommt insbesondere aus den Bundesländern. Kann die Reform scheitern?

Das können wir uns nicht leisten, gerade im Sinne der Krankenhäuser. Es gibt noch viel zu klären zwischen Bund und Ländern, aber ich bin optimistisch, dass wir das Gesetz bald beschließen können.