Das steckt hinter dem Ärzteprotest

Volle Wartezimmer, zu wenig Personal - vielen Praxen geht es schlecht, warnen Ärztinnen und Ärzte.
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Die flächendeckende ambulante Versorgung sei in Gefahr, davor warnen aktuell viele Medizinerinnen und Mediziner in ganz Deutschland. Am 18. August kommen die Kassenärztlichen Vereinigungen zu einer Krisensitzung in Berlin zusammen. Für die kommenden Monate hat ein Bündnis aus elf Verbänden zudem Protestaktionen geplant. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Gegen wen richtet sich der Protest der Ärztinnen und Ärzte?
Der Protest richtet sich gegen Krankenkassen und Politik. Denn aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte sind Haus- und Facharztpraxen seit Jahren unterfinanziert. Kritisch sehen sie vor allem die sogenannte Budgetierung. Gemeint ist damit die Vorgabe eines bestimmten Etats, der den Krankenkassen pro Jahr für die Vergütung ärztlicher Leistungen zur Verfügung steht. Ist dieses Budget ausgeschöpft, bekommt die Praxis weniger Geld für die Behandlung weiterer Patientinnen und Patienten. Zudem ist für jede Leistung ein gedeckelter Preis festgesetzt. So könnten die Praxen die zuletzt gestiegenen Kosten nicht ausreichend gegenfinanzieren, kritisiert die Kassenärztliche Vereinigung Bayern.
Auch der Personalmangel macht den Praxen zu schaffen. Neben Ärztinnen und Ärzten fehlen vielerorts auch Medizinische Fachangestellte. Von der Politik alleingelassen fühlen sich viele Mediziner darüber hinaus mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Bislang kommt etwa die Einführung von E-Rezept und elektronischer Patientenakte in den Praxen nur recht schleppend voran.
Was wollen die Ärzteverbände erreichen?
Ärztinnen und Ärzte fordern ein Ende der Budgetierung und mehr Geld für die ambulante Versorgung. „Die Situation in den Praxen spitzt sich zu. Wir haben einen enorm gestiegenen Kostendruck durch Inflation, steigende Mieten und Energiepreise“, sagt der Chef des Virchowbunds, Dr. Dirk Heinrich. „Gleichzeitig stecken wir mitten im Fachkräftemangel. Trotz berechtigter Tarifsteigerungen bei unseren Medizinischen Fachangestellten können wir mit unseren Gehältern oft nicht mit Krankenhäusern und Krankenkassen konkurrieren.“
Zumindest sollte nach Meinung der Medizinerinnen und Mediziner die sogenannte Neupatientenregelung wieder eingeführt werden. Sie hatte ursprünglich dafür gesorgt, dass Arztpraxen unabhängig von der Budgetierung mehr Geld bekommen, wenn sie neue Patientinnen und Patienten aufnehmen. Anfang 2023 wurde die Regelung gestrichen, um die finanziell angeschlagenen Krankenkassen zu stabilisieren. Heinrich zufolge verzeichnen Praxen allein dadurch teilweise Einbußen von bis zu 10 Prozent. Darüber hinaus drängen Ärzteverbände im Kampf gegen ihre Nachwuchssorgen auf mindestens 5000 zusätzliche Medizin-Studienplätze pro Jahr.
Drohen erneut Streiks mit Praxisschließungen?
Insgesamt elf Fachverbände haben sich zusammengeschlossen und gemeinsam die Kampagne „Praxis in Not“ ins Leben gerufen, darunter der Virchowbund und der Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands. Die Kampagne soll in den kommenden Monaten den Rahmen für verschiedene regionale Aktionen bilden. Ein großer Protesttag ist demnach für den 2. Oktober geplant. Dann sollen bundesweit Demonstrationen und Informationsveranstaltungen stattfinden. Auch Praxen könnten an diesem Tag geschlossen bleiben, Details stehen aber noch nicht fest. Unabhängig davon können sich Patientinnen und Patienten in dringenden Fällen jederzeit an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116117 wenden und in akuten Notfällen die 112 wählen.
Wie reagiert die Politik auf den angekündigten Protest?
Im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kann man die Kritik in vielen Punkten nicht nachvollziehen. So sind die Ausgaben der Krankenkassen für die ambulante ärztliche Versorgung nach BMG-Angaben zwischen 2013 und 2022 um mehr als 44 Prozent gestiegen und damit stärker als etwa im Klinikbereich (rund 36 Prozent). Zudem verweist das Ministerium auf die Entbudgetierung der Kinder- und Jugendmedizin. Für diesen Bereich wird seit April 2023 kein Krankenkassen-Etat mehr festgelegt, Kinderärztinnen und -ärzte bekommen also nahezu alle Untersuchungen in voller Höhe bezahlt. Auch für Hausarztpraxen soll die Budgetierung fallen, das hatten die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag so festgelegt. Die Umsetzung dieses Schritts werde derzeit vorbereitet, heißt es im Bundesministerium für Gesundheit.