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Anna K. hat zwei Geburtstage. Den einen hat sie gerade erst zum 56. Mal gefeiert – mit Schokoladenkuchen, einem ausgedehnten Hundespaziergang und einer kleinen Kaffeerunde mit Ehemann Alois und ihren Söhnen. Der andere steht erst seit ein paar Wochen im Kalender, es ist der 25. März 2021. Der Tag, an dem Anna K. einen schweren Schlaganfall hatte. „Manchmal kann ich selbst nicht glauben, dass ich davon erzählen kann, als ob nichts passiert wäre“, sagt sie und hält inne. „Ich hatte großes Glück.“

Glück im Unglück

Tatsächlich war es mehr als das. Zwar gehören Schlaganfälle nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Rund 38.000 Menschen sterben daran jedes Jahr. Und wer überlebt, behält oft bleibende Schäden zurück. Aber: In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Versorgung erheblich verbessert. Vor allem die flächendeckende Einrichtung von Schlaganfall-Einheiten (Stroke Units) und verbesserte Behandlungsmethoden haben die Chancen erhöht, einen Schlaganfall glimpflich zu überstehen.

Laut der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe sterben daran nur noch etwa halb so viele Menschen wie einst vor 25 Jahren. „Die Prognose hat sich deutlich verbessert“, bestätigt Professor Heinrich Audebert, Ärztlicher Leiter der Klinik für Neurologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin.

Als Anna K. der Schlag traf, war sie gerade mit ihrem Mann im Wald unterwegs. Er ist Lkw-Fahrer und sollte im Forst Fichtenstämme abholen. „Wegen Corona kann ich gerade nicht in meinem Beruf als Köchin arbeiten, deshalb wollte ich ihn aus Neugier mal begleiten“, erzählt Anna K. mit weichem Oberpfälzer Dialekt.

Noch bevor der erste Baumstamm auf der Ladefläche landete, fiel Alois auf, dass etwas nicht stimmt. „Fehlt dir was?“, fragte er seine Frau immer wieder, weil sie plötzlich abwesend wirkte, sich gebeugt auf dem Armaturenbrett abstützte und beim Sprechen stark nuschelte. Ihr selbst fiel das nicht weiter auf, „ich habe mich ganz normal gefühlt und hatte keinerlei Schmerzen“, sagt sie. Bei ihrem Mann Alois aber schrillten die Alarmglocken. Seine Frau leidet schon länger unter Herzrhythmusstörungen, er kennt die typischen Schlaganfallsymptome wie Sprachstörungen, halbseitige Lähmungen, Schwindel, Verwirrtheit.

Anna K. hatte Glück: Als sie einen Schlaganfall erlitt, handelte ihr Mann sofort und rief den Rettungsdienst

Anna K. hatte Glück: Als sie einen Schlaganfall erlitt, handelte ihr Mann sofort und rief den Rettungsdienst

Weil sein Handy keinen Empfang hatte und ein Rettungswagen auf dem Forstweg stecken bleiben würde, fuhr er seine Frau kurzentschlossen selbst mit dem Laster in die Klinik nach Cham. Die Kreisstadt liegt in der Oberpfalz, nordöstlich von Regensburg und nahe der tschechischen Grenze. „Ich wollte keine Zeit verlieren“, sagt er. Es ist die erste von mehreren richtigen Entscheidungen, die seiner Frau an diesem Tag das Leben gerettet haben.

Schnelles Handeln ist entscheidend

Zeit ist der wichtigste Faktor bei der Diagnose und Behandlung von Schlaganfällen. „Je schneller alles geht, desto besser ist die Prognose“, bestätigt Neurologe Heinrich Audebert. Seine Devise: Zeit ist Hirn. Bis die Behandlung beginnt, sollte so wenig Zeit wie möglich vergehen.

Doch diese kann an vielen Stellen in der Versorgungskette fatal verrinnen: etwa weil die Rettungskräfte zu spät alarmiert werden, sich der Transport ins Krankenhaus hinzieht, die Patientin oder der Patient in der Klinik herumgereicht wird oder in eine spezialisierte Klinik verlegt werden muss. Mit jeder Verzögerung schwinden die Chancen, einen Schlaganfall gut zu überstehen. In den vergangenen Jahren wurde viel dafür getan, die Abläufe zu beschleunigen.

So arbeiten Stroke Units

Bundesweit wurden Stroke Units eingerichtet. Dort ist alles auf die optimale Behandlung der Patientinnen und Patienten getrimmt: Personal, Abläufe, Ausstattung. Mithilfe einer Untersuchung im Computertomografen (CT) können die Ärztinnen und Ärzte eine Hirnblutung ausschließen. Das ist wichtig. Denn nur bei einem Verschluss kommt eine Thrombolyse infrage. Per Infusion werden dann Mittel verabreicht, die das Blutgerinnsel auflösen.

„Das funktioniert bei vielen Patientinnen und Patienten gut, allerdings löst sich das Gerinnsel damit nicht in allen Fällen vollständig auf“, erklärt Dr. Gordian Hubert, Oberarzt an der Klinik für Neurologie und Neurologische Intensivmedizin an der München Klinik Harlaching. Seit 2015 nutzen Ärztinnen und Ärzte deshalb vermehrt eine weitere Methode: die Thrombektomie. Dabei werden Gefäßblockaden mechanisch entfernt, etwa durch Absaugen oder mithilfe eines Drahtkörbchens, in dem sich das Gerinnsel verfängt.

Der Eingriff erfolgt per Katheter, der über die Leiste bis ins Gehirn geschoben wird. Schnell angewendet, ist diese Methode sehr effektiv. Nur Spezialisten sollten sie allerdings durchführen – und diese sind rar. Deshalb müssen Patientinnen und Patienten zur Thrombektomie oft in ein anderes Krankenhaus verlegt werden, wodurch weiter Zeit verstreicht. Für die ländlichen Gebiete in Südostbayern hat man eine schnellere Lösung gefunden. Seit 2018 bringt dort ein Helikopter einen Neuroradiologen samt Assistenten zu den Patienten.

Während die Spezialisten im Anflug sind, werden die Patienten für den Eingriff vorbereitet. „Der Clou ist die Parallelität der Prozesse“, sagt Hubert. Einmal gelandet, kann es sofort losgehen. Eine Überblicksstudie hat Ende 2020 gezeigt, dass sich durch die fliegenden Ärztinnen und Ärzte viel Zeit sparen lässt: 90 bis 110 Minuten im Vergleich zu einer Verlegung. „Das sind Welten“, sagt Hubert.

Besondere Behandlung mit großer Wirkung

Von dieser Beschleunigung profitierte auch Anna K. In nur 38 Minuten flogen Spezialisten aus München zu ihr in die Klinik nach Cham. Gut eineinhalb Stunden nach ihrer Aufnahme führten diese bei ihr eine Thrombektomie durch. Die Entscheidung hierzu war zuvor per Videokonferenz gefallen. Rund 10.000 Patientinnen und Patienten in 24 regionalen Kliniken Südostbayerns profitieren von dieser telemedizinischen Unterstützung durch das Schlaganfallzentrum der München Klinik Harlaching und der Uniklinik Regensburg innerhalb des Netzwerks TEMPiS. Es wurde im Jahr 2003 gegründet, um auch Menschen in ländlichen Regionen eine bestmögliche Schlaganfallversorgung zu garantieren.

Die Behandlung zu den Patienten bringen: Auch in Berlin wird dieses Konzept erprobt. Dort sind seit über zehn Jahren sogenannte Stroke-Einsatz-Mobile (STEMO) auf den Straßen unterwegs. „Das sind speziell konzipierte Einsatzwagen der Feuerwehr, die über ein CT und ein Labor verfügen und mit einem Team aus Spezialisten besetzt sind“, erklärt Neurologe Heinrich Audebert. Denn ohne eine Hirnblutung mittels CT ausschließen zu können, darf keine Thrombolyse erfolgen. Wie in einem Mini-Krankenhaus auf vier Rädern erfolgen Diagnostik und Auflösung des Blutgerinnsels im STEMO. Dies spart wertvolle Zeit. Die Chancen, einen Schlaganfall ohne bleibende Schäden zu überleben sind 30 Prozent höher, wenn ein STEMO geschickt wurde.

Die richtige Behandlung im richtigen Moment

Eckart K. gehört zu jenen Menschen, denen dies zugutekam. Der Rentner erlitt vor zweieinhalb Jahren einen Schlaganfall. „Ich war zum Markt geradelt und wollte gerade mein Fahrrad abschließen, als meine linke Seite plötzlich taub geworden ist“, erzählt der 82-Jährige. Sein Bruder Hans-Dietrich, mit dem er auf dem Wochenmarkt verabredet war, schaltete schnell. Er rannte in eine nahe gelegene Bäckerei und wählte von dort die 112. Wenige Minuten später war die Feuerwehr vor Ort, kurz danach traf ein STEMO ein. Eckart K.: „Alles in allem hat es vielleicht zwanzig Minuten gedauert, bis ich behandelt wurde.“

Die Ärztinnen und Ärzte ließen ihn einfache Sätze nachsprechen, prüften seine Beweglichkeit und fragten nach den Medikamenten, die er einnimmt. Das Sprechen fiel Eckart K. schwer, die Worte kamen nur stockend aus seinem Mund. Doch die Gedanken des Zahnarztes im Ruhestand waren klar. Er begriff, was passiert war. „Ein Schlaganfall, jetzt also doch“, dachte er, denn die Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen kannte er bereits.

Viele Jahre seines Lebens litt er unter wiederkehrenden transitorischen ischämischen Attacken (TIA). Das sind Mini-Schlaganfälle, deren Symptome nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Ein Warnzeichen sind sie trotzdem, gelten sie doch als Vorzeichen für einen schwereren Schlaganfall.

Als ihn der Schlaganfall im November 2018 traf, wähnte er sich eigentlich in Sicherheit. Die Ärztinnen und Ärzte kontrollierten damals regelmäßig sein Herz und seine Medikation. Ein paar Wochen vor dem Schlag hatten sie seine Gerinnungshemmer geändert. Aber ob das die Ursache war? Er weiß es bis heute nicht. Sicher ist er hingegen, dass die Sache anders hätte ausgehen können: Im STEMO, geparkt zwischen Fisch- und Gemüsestand, wurde die Thrombolyse eingeleitet. Als er etwa eine Stunde später in ein Krankenhaus in Berlin-Steglitz eingeliefert wurde, waren die Symptome bereits verschwunden.

Dank einer STEMO-Behandlung überlebte Eckard K. einen Schlaganfall

Dank einer STEMO-Behandlung überlebte Eckard K. einen Schlaganfall

„Ich konnte mich unterwegs sogar mit den Ärzten unterhalten, es ging mir zusehends besser“, erinnert sich Eckart K. Zur Beobachtung blieb er einige Tage im Krankenhaus, dann durfte er nach Hause. Geblieben sind leichte Taubheitsgefühle in der rechten Hand, gelegentliche Wortfindungsstörungen – und das Gefühl großer Dankbarkeit. „Wer weiß, was passiert wäre, wenn nicht alles so schnell gegangen wäre?

Überlebennchance steigen bei einer STEMO-Behandlung

Für das Centrum für Schlaganfallforschung Berlin hat Audebert den Einsatz der STEMOs wissenschaftlich begleitet und untersucht. Im Fachmagazin JAMA stellte er die Ergebnisse Anfang des Jahres vor: Personen, die in einem STEMO behandelt wurden, erhielten häufiger und schneller eine Lyse als solche, die durch einen normalen Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht wurden.

Rückte ein STEMO aus, überlebten 93 Prozent der Patientinnen und Patienten. 51 Prozent von ihnen trugen keine Einschränkungen davon. Bei den herkömmlich Behandelten hingegen betrug letztere Quote nur rund 42 Prozent. Zur Wahrheit gehört aber auch: „Die STEMOs eignen sich vor allem für städtische Räume und rechnen sich nur dann, wenn sie häufig eingesetzt werden“, schränkt Audebert ein. Anna K. und Eckart K.sind glimpflich davongekommen.

Ihre Schlaganfälle wurden als Notfall erkannt und schnell behandelt. „In diesen Fällen hat die Versorgungskette bestens funktioniert“, sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Miriam Hilker von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Auch dort kämpft man für eine bessere Versorgung, etwa durch die Zertifizierung von Stroke Units. „Mittlerweile werden mehr als 80 Prozent aller Schlaganfallpatientinnen und -patienten in Deutschland auf spezialisierten Stationen behandelt. Von den meisten Orten in Deutschland aus sind sie in maximal 30 Minuten zu erreichen“, so Hilker. Aktuell gibt es in Deutschland mehr als 330 zertifizierte Stroke Units. Die Anzahl wächst stetig.

Allerdings hakt es mitunter noch bei der Alarmierung. Hilker machtsich deshalb vor allem für die Aufklärung stark: Welche Symptome sind typisch für einen Schlaganfall? Wie reagiert man im Notfall? Denn Stroke Units, Telemedizin, Helikopter und STEMOs helfen nichts, wenn nicht jemand sofort den Notarzt ruft.

wagen
wagen

1. Das Gehirn durchleuchten Im STEMO erfolgt eine Untersuchung des Gehirns per Computertomograf (CT) , um eine Hirnblutung auszuschließen. Durch die Wände aus Blei dringen keine Röntgenstrahlen nach draußen.

2. Das Blut analysieren Das Fahrzeug hat ein kleines Labor für schnelle Blutuntersuchungen an Bord. Bestimmt werden dort die Werte der Blutgerinnung und der Blutzuckerspiegel.

3. Expertenrat einholen Alle Ergebnisse werden über eine gesicherte Funkverbindung in ein Krankenhaus übertragen. Von dort aus gibt ein zugeschalteter spezialisierter Arzt die Therapie frei.

4. Das Gerinnsel auflösen Steht fest, dass ein Schlaganfall vorliegt, der nicht durch eine Blutung bedingt ist, erhält die Patientin oder der Patient ein Medikament, welches das Gerinnsel auflöst.

So kann einem Schlaganfall aktiv vorgebeugt werden

Daneben ist Hilker ein weiteres Thema wichtig: Vorbeugung. „Etwa 70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar“, sagt sie. Um das Risiko zu minimieren, hilft ein gesunder Lebensstil, sich also ausreichend zu bewegen und ausgewogen zu ernähren, auf Rauchen und Alkohol zu verzichten sowie Dauerstress abzubauen. Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Gefäßkrankheiten müssen unter Kontrolle sein. „Bluthochdruck etwa erhöht das Schlaganfallrisiko um das Vierfache“, so Expertin Hilker. Auch wenn sich die Therapie stark verbessert hat: „Der glimpflichste Schlaganfall ist immer noch der, der gar nicht erst auftritt.“

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